Urban Colouring: zwischen Kunst und Vandalismus
Editorial
Die wohl dünnste Schicht an einem Haus ist die der Fassadenfarbe – trotzdem übertrifft ihre visuelle Wirkung die aller anderen Schichten. Umso mehr Sorgfalt wird ihr in den meisten Städten beigemessen. So haben Farbkonzepte für Altstädte oder Siedlungen lange Tradition – man denke an die ursprünglich farbigen Bauten der Moderne, etwa von Bruno Taut oder Le Corbusier, oder an die vom Künstler Friedensreich Hundertwasser gestaltete Strasse in Wien. In aller Regel werden diese Farben nach einem übergeordneten Schema angebracht.
Was passiert aber, wenn die Bevölkerung einer Stadt oder eine grosse Gruppe Farbe extensiv und scheinbar planlos einsetzt? Unsere Spaziergänge durch Marseille und Tirana beleuchten das Phänomen: Farbe nach dem Lustprinzip, vermeintlich wild, einem Gefühl, einem Mitteilungsbedürfnis folgend und von einer Autorenschaft aufgetragen, die von der Allgemeinheit als unprofessionell betrachtet wird. Endet das nicht unweigerlich im Chaos? Gibt es in der Vielfalt Verbindendes? Oder zerfallen der Raum und seine Oberflächen optisch? Und wie kommen allfällige individuelle Botschaften an – kitschig, pathetisch oder dilettantisch? Auf diese Fragen gibt es kaum allgemein verbindliche Antworten.
Offensichtlich ist jedoch, dass diese spontan und manchmal anarchistisch entstandenen Bilder, mit denen sich die «Verursacher» den öffentlichen Raum aneignen, nicht gleichgültig lassen und Faszination oder Widerwillen auslösen. Darüber hinaus folgen sie Gesetzmässigkeiten und Regeln, die ein überraschendes Ganzes ergeben.
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