«Trotz 2TG wäre die rollende Strasse richtig!»
Leserbrief
Zu TEC21 9/2022 über die zweite Röhre des Gotthard-Strassentunnels erreichte uns ein Leserbrief von Hugo Wandeler. Der Architekt und Raumplaner verfolgt seit den 1960er-Jahren die Entwicklung des Verkehrs am Gotthard und legte die interessante Überlegung einer rollenden Strasse anstatt eines Selbstfahrtunnels bereits in TEC21 50/2015 dar. Auch nach Baubeginn der zweiten Röhre sieht er noch Chancen für dieses Konzept.
«Nach 40 Jahren Betrieb wird der Strassentunnel jetzt durch einen zweiten ersetzt, damit der erste anschliessend saniert werden kann: ein beispiellos aufwendiges Vorgehen, jenseits jeder Klimavernunft, und nur möglich, weil in der Schweiz Geld im Überfluss vorhanden und die freie Fahrt im privaten Auto nach wie vor das höchste Gut ist.
Als die Sanierung des Gotthard-Strassentunnels zum Thema wurde, hat eine Arbeitsgruppe der Alpeninitiative das Konzept der rollenden Strassen erneut in die Diskussion gebracht und aufgezeigt, wie der Verkehr während der Sanierung des Strassentunnels über zwei rollende Strassen geführt werden könnte: Eine für Lastwagen im Basistunnel Erstfeld–Biasca, eine zweite für Personenwagen im Bahntunnel Göschenen–Airolo.
Die technische, betriebliche und finanzielle Machbarkeit dieses Konzepts ist in einem ausführlichen Bericht vom Januar 2010 nachgewiesen.1 Dieser Vorschlag hatte in der politischen Diskussion keine Chance. Der Umstand, dass die Verladeanlagen nur temporär genutzt würden und deshalb verlorene Investitionen wären, wurde zum Killerargument. Es wäre jedoch sachlich richtig gewesen, beide rollenden Strassen auch nach der Sanierung des Strassentunnels beizubehalten. Die Strecke Erstfeld–Biasca wäre damit dauerhaft vom Schwerverkehr und dessen massiver Umweltbelastung befreit worden. Weil eine rollende Strasse keine künstliche Lüftung braucht, hätte der Strassentunnel Göschenen–Airolo mit einem Bruchteil des Aufwands, der nun in die zweite Röhre investiert wird, in eine rollende Strasse für Personenwagen umgebaut werden können.
Aber nicht einmal der VCS und die Alpeninitiative, deren erklärtes Ziel es ist, die Alpen von den Immissionen des Schwerverkehr zu befreien, hatten den Mut, dieses konsequente Konzept zu vertreten. Diese «politische Rücksichtnahme» wurde nicht honoriert. Am 28. Februar 2016 hat das Schweizer Stimmvolk, angeführt durch die damalige Bundesrätin Doris Leuthard, den Kredit für die zweite Strassenröhre durch den Gotthard mit 57% Ja-Stimmen angenommen.
Bauen – nicht nur Wohnungsbau, insbesondere auch grosse Infrastrukturbauten –, ist massgeblich für die Klimaprobleme verantwortlich. Getreu den Grundsätzen: «Umbauen statt neu bauen» und «für Güter die Bahn» ergäbe sich für den Verkehr am Gotthard das folgende, konsequente Betriebskonzept: Der Basistunnel Erstfeld–Biasca – der ohnehin als «Flachbahn für den Güterverkehr» propagiert wurde, dessen Kapazität für den Güterzüge jedoch durch schneller fahrende Personenzüge empfindlich reduziert wird – dient primär dem Güterverkehr. Auch die 500‘000 Lastwagen, die am Gotthard noch zulässig sind, werden zwischen Erstfeld und Biasca auf einer rollenden Strasse für Lastwagen durch den Tunnel transportiert. Personenzüge werden im Basistunnel nur so viele geführt, wie mit dem Güterschwerverkehr vereinbar ist.
Die übrigen Personenzüge und leichtere Güterzüge verkehren weiterhin auf der Bergstrecke durch den zweispurigen Eisenbahntunnel. Heute ist dieser eine weitgehende brachliegende Infrastruktur – pro Stunde verkehrt durch ihn nur ein Regionalzugspaar. Für Störfälle im Basistunnel muss er aber als Ausweichroute beibehalten werden. Der übrige Nord-Süd-Güterverkehr wird von Grenze zu Grenze auf der Bahn abgewickelt.
Der nun im Bau befindliche neue Strassentunnel Göschen–Airolo dient, mit Ausnahme der wenigen Lastwagen, die für die lokale Versorgung zwischen Erstfeld und Biasca noch nötig sind, ausschliesslich dem Personenverkehr. In ihm wird deshalb eine rollende Strasse für Personenwagen, sowie die wenigen Lastwagen und Cars eingerichtet. Die bestehende Röhre muss nicht saniert werden, weil sie für den Verkehr gar nicht mehr benötigt wird.
Soweit das Konzept eines alten, unverdrossenen Raumplaners. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht wird sich, wenn das 17 km lange Loch und die weiteren 13 km Nebenröhren ausgebrochen sind, doch noch die Einsicht durchsetzen, dass es klüger ist, statt einer Lüftung eine rollende Strasse einzubauen. Der bestehende Strassentunnel wird zu einem Lager für nationale Kulturgüter umgebaut oder zu einer Kathedrale für Barbara, die Schutzheilige der Tunnelbauer und eigentliche Nationalheilige der Schweiz.»
Anmerkung
1 Konzept für ein Ersatzangebot während der Gesamtsanierung des Gotthard Strassentunnels. Eine Untersuchung der Alpeninitiative, Januar 2010