Erhalten und weitertragen
Am prominenten Rand des traditionellen Dorfs Gluringen hat der Architekt Roman Hutter eine Stallscheune umgebaut. Das Alte erhalten und in eine zeitgenössische Wohnform überführen, so lautete der Auftrag von privater Seite. Der Bau ist einer von jener Art, die zum authentischen Fortbestand der Baukultur im Goms beiträgt.
Ein alter Mann im Dorfkern von Münster befestigt an einem von der Sonne schwarz gefärbten Stall ein auffällig helles neues Brett. Er erzählt, wie schwierig es sei, die traditionellen Gebäude zu renovieren. Nicht etwa, weil sie so kompliziert konstruiert wären – im Gegenteil, die massiven Blockhäuser sind direkt und einfach zusammengesteckt und können, wenn es nötig sein sollte, wieder auseinandergenommen werden. Seine Bemerkung zielt vielmehr darauf ab, dass im Goms die Gebäude weitervererbt werden und bei jeder Generation ein paar Erben hinzukommen, bis am Schluss ein winziger Stadel von 6 m2 wie der, an dem er gerade werkt, ein halbes Dutzend Besitzer hat. «Stellt sich nur einer gegen die Renovation quer, so ist es gelaufen», meint er.
Eine Stallscheune in einer Schaufront
Günstiger war die Ausgangslage für den Umbau einer Stallscheune ein paar Dörfer talabwärts in Gluringen. Das Gebäude – im Erdgeschoss ein Stall, in den Stockwerken darüber ein Heu- und Strohlager – bestand aus drei Einheiten und gehörte vier miteinander verwandten Eigentümern; man einigte sich, dass eine Partei die Anteile kaufte – Pascal Imoberdorf, der so 2017 kurz nach dem Inkrafttreten der Massnahmen der Zweitwohnungsinitiative in den Besitz des Gebäudes kam. Ein unsicherer Zeitpunkt. Später stellte sich heraus, dass er umbauen durfte. Es existierte ein Inventarblatt mit Schutzverfügung gemäss kantonalem Baugesetz. Die Gemeinde Goms stellte das für das Ortsbild wichtige Gebäude 2018 «als besonders schutzwürdig» unter Einzelschutz. Es ist im Gebäudeinventar der kantonalen Denkmalpflege als erhaltenswertes Kulturdenkmal eingetragen.
Der Bau ist einer von fünf, die giebelständig am Kappelenweg liegen. Ein Haus reiht sich an das andere, alle ähnlich und doch keine zwei gleich. Die Situation ist auch im nationalen ISOS-Verzeichnis aufgeführt. Die Talseite der Häuser, gegen die Furkastrasse hin, bildet ein eindrückliches Ortsbild aus der Front der Kirche, des Gemeinde- und des Schulhauses, einem Walliserhaus sowie fünf Landwirtschaftsgebäuden. Diese Schaufront des Dorfkerns, die sich über einer langen Wiese erhebt, ist eine Besonderheit im Goms und steht der sonst eher lockeren Bebauung von etwa 20 Wohnhäusern mit vielen Stadeln, Gaden und Speichern gegenüber.
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Im Inventar der Gemeinde ist auch die Stallscheune beschrieben: «Die Hauptgiebelseite des Gebäudes weist die typischen Baumerkmale auf: zwei Stalltüren, drei ‹Ätzporten› (Scheunentüren), bei zwei die dazugehörenden Treppen. Auf der Rückseite gibt es sieben ‹Lischporten›, fünf zur Scheune über dem Hauptstall, zwei in der Scheune über dem Zustall. Die Konstruktion ist in einem guten Zustand. Das Dach ist mit Wellblech eingedeckt.»
Anschlüsse und Raumaussparungen
Pascal Imoberdorf beauftragte Roman Hutter als Architekt. Der Gommer hat schon bei anderen Umbauten wie dem Heidenhaus in Münster Feingespür und Sachverstand bewiesen. Doch der Bau in Gluringen war das erste Landwirtschaftsgebäude. An seiner Rückseite liegt der Kappelenweg. Geht man die Seitenfassade entlang, deren sonnenverkohlte Schicht wie eine dicke, schwarze Kruste die Blockbalken überzieht, und dann um die Hausecke, wo das Holz von tiefem, goldenem Kaffeebraun durchdrungen ist, so gelangt man zu den zwei auffälligen Treppen aus geviertelten Stammscheiben, die zu den oberen Scheunentüren führen.
Diesem traditionellen und robusten äusseren Blockbau hat Roman Hutter ein zartes, fast zeltartig aufgespanntes, helles Inneres einverleibt: ein Haus im Haus. Das eigentlich Besondere ist aber weniger diese Holz-in-Holz-Konstruktion, die im Wallis bei zeitgenössischen Umbauten beliebt zu sein scheint, sondern die diversen überraschenden räumlichen Dispositionen im Innern. Der an manchen Stellen grosszügige Umgang mit dem Volumen und die Art, wie die innere und die äussere Holzschicht zusammengeführt, getrennt oder der einen oder der anderen Schicht den Vorzug gegeben wird. Sowohl ganze Räume als auch Bauteile stülpen immer wieder die alte Holzstruktur ins Innere. So ist das Eingangsfoyer zwischen die Aussenwand und die Wohnungstür als klimatische Zwischenschicht geschoben. Im Wohnungsinnern, schon vom Korridor aus, ist die zweigeschossige Stube sichtbar – ein unerwartetes und bereicherndes Spiel mit der Höhe, das die reduzierte Nutzfläche in Kauf nimmt. Auch ist an der Gebäudeecke eine ebenfalls zweigeschossige Loggia mit raumhohen Fenstern vom Wohnraum abgetrennt. Sie stellt eine Geste, eine Verbindung zum Dorf dar: Die Öffnung in der Fassade zur Strasse ohne Vorgarten macht fast auf Augenhöhe den unmittelbaren Kontakt mit den Vorbeigehenden möglich – sicherlich kein gängiges Architekturelement im hiesigen Wohnkontext, aber eine schöne Neuinterpretation, die in ihrer Einfachheit berührt und überzeugt.
Gemeinschaftsbezug statt Ausnutzung
Zum Glück hatte der alte Stall bereits grosse Öffnungen, es handelte sich um Tore, durch die das Heu und das Stroh von der Strasse aus hineingeschoben wurden. Diese können bei Ökonomiegebäuden – anders als bei alten Wohnhäusern – für den Umbau beibehalten bzw. zu teils grosszügigen Fenstern umfunktioniert werden. Durch deren Rahmen wirken die zum Greifen nahen Holzwände der Nachbargebäude mit ihren Rillen, Spalten und den Astlöchern umso plastischer, und es ist klar wo man sich befindet: in einem Gegenüber mit ebensolchen Aussenwänden.
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Die freie Wiese vor dem Haus ist den Vorfahren des Nachbarn zu verdanken. Es gab eine Zeit, als das Grundstück hätte eingezont werden können – sie haben weitsichtig darauf verzichtet. Der Keller, der ehemalige Stall im Erdgeschoss, grenzt an diese Grünfläche. Er ist nur instand gesetzt und nicht umgebaut worden. Der Kies am Boden wird über die Luft bei Regen feucht und trocknet wieder. «Das ist eher ungewöhnlich, denn das Erdgeschoss wird bei Umbauten sonst meist der Wohnfläche zugeschlagen», meint Pascal Imoberdorf.
So grosszügig bei einigen Eingriffen mit dem Raum umgegangen wurde, so sparsam ist er andernorts. Die Treppenstufen nach oben in die Schlafzimmer, führen auf ein Endpodest, von wo aus eine stufenhohe Schwelle in die drei anliegenden Räume führt – so wird der Platz für den Auftritt gespart. Eine weitere Besonderheit ist die traditionelle über Nut und Kamm verzahnte Wandkonstruktion, die, um 90 Grad «gekippt», zur Decke oder zum Boden wird.
Architektur, Handwerk und mehr
Vielleicht noch mehr als andernorts wird einem im kleinen Dorf Gluringen bewusst, dass architektonische Qualität nur zum Tragen kommt, wenn auch das soziale Umfeld funktioniert – ohne es bleibt ein Bau nur eine isolierende Hülle.
Den Fortbestand vom Tourismus abhängig zu machen, sei er noch so sanft und ökologisch, geht nicht auf. Ein Dorf ohne belebten Dorfplatz, dafür mit Parkplatz vor der Langlaufloipe; Läden ohne Alltagsprodukte, aber mit teurem Trockenfleisch, hübsch verpackten Dörrfrüchten oder mit Skikleidung; eine stillgelegte Bahnstation, die nur noch als Schlittendepot gebraucht wird – das sind keine Grundlagen für lokale Leute. Auch leer stehende Ferien- oder Zweitwohnungen sind dies bekanntlich nicht. So weit ist es in Gluringen allerdings nicht. Dennoch sagt Pascal Imoberdorf: «Ich weiss nicht, was passiert, wenn hier die alte Generation ganz weg ist», und schaut auf eine Wiese, zu einem seltsamen Holzbau mit kleinen, geschlossenen Türchen auf etwa drei Meter Höhe. Es handelt sich um ein stattliches, kürzlich stillgelegtes Bienenhaus. Die traditionelle Landwirtschaft ist rückläufig und fast vollständig aus den Dorfkernen verschwunden oder durch wenige grosse Betriebe ersetzt. Zudem sind auch einige neue Häuser mit Ferienwohnungen entstanden.
Es stellt sich die Frage, wie weit Architektur über ihren eigentlichen Zweck hinaus wirken und auch kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Komponenten Rechnung tragen kann. Die Antwort von Roman Hutter stimmt zuversichtlich: «Die historische Bausubstanz im Goms ist neben der Landschaft ein Magnet für Menschen, die solche Orte schätzen. Dass dem so bleibt, muss mit Sorgfalt und Weitsicht um- und neu gebaut werden. Nicht zuletzt kann damit auch das ortsansässige Handwerk gepflegt werden – ein für die Region wichtiger Arbeitszweig.»
Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 31/2022 «Walliser Holzbaukultur».
Stallscheune Gluringen
Bauherrschaft
Pascal und Ditte Imoberdorf
Architektur
Roman Hutter Architektur, Luzern
Holzbau
Weger Holzbau, Münster VS