Chan­cen und Gren­zen

Recyclingbeton in der Anwendung

Wie können die Vorteile von Recyclingbeton genutzt werden, ohne Kompromisse bei hochwertigen Eigenschaften einzugehen? Der Schlüssel liegt in einem fundierten Verständnis der Materialeigenschaften und der Anwendungskriterien sowie im gezielten, materialgerechten Einsatz.

Date de publication
11-11-2024

Wenn es um den Einsatz von Recyc­ling­beton (RC-Beton) bei Tragwerken geht, wird in erster Linie der Hochbau betrachtet. Denn im Tiefbau, wo hohe Anforderungen an die Dauerhaftigkeit gegen Frost und Tau­salz gestellt werden, können erhöhte Anteile an Recyclingzuschlägen – dazu gehört auch Kies – oft nicht die benötigte Widerstandsfähigkeit gewährleisten. 

Für Hochbaubeton der Expositionsklassengruppen A, B und C sind hingegen hohe Anteile an Recyclingzuschlägen problemlos möglich. Da in der Schweiz ­ohnehin rund 80 % des Betonvolumens im Hochbau – einschliesslich Tiefgaragen – verbaut werden, liegt hier das grösste Potenzial für Recycling, Ressourcenschonung und CO²-Einsparung. Dabei kommt RC-Beton mit Mischgranulat, kurz RC-M, oder RC-Beton mit Betongranulat, kurz RC-C, zum Einsatz. Bei weniger anspruchsvollen statischen Anforderungen oder wenn aus gestalterischen Gründen gestrahlt oder gestockt wird, kann RC-M geeignet sein. Bei statisch anspruchsvollen Tragwerken hingegen kommt nur RC-C zur Anwendung, weil die Festigkeitswerte und die Homogenität des Baumaterials höher sind als bei RC-M. 

Die Qualität von Recyclingkies kann in seiner Kornform und -grösse variieren, da er diverse Abbruch­materialien mit verschiedenen Eigenschaften enthält. Es ist eine sorgfältige Auswahl und Aufbereitung erforderlich. Der Recyclinganteil wird bei der Sorten­codierung mit RC-C25 oder RC-C50 angegeben, was einen RC-Anteil von 25–49 beziehungsweise mindestens 50 Massenprozent bezeichnet. Beton mit weniger als 25 Massenprozent Betongranulat gilt als Primärbeton. In Primärbetonen steckt also ebenfalls wiederverwertetes Material.

Mal gleichwertig wie Primärbeton…

Viele für die Gestaltung von Tragwerken relevanten Eigenschaften von RC-C wie Oberflächenbeschaffenheit, Farbe und Aussehen unterscheiden sich nicht von jenen des Primärbetons. Von deutlich grösserem Einfluss auf die Farbe des erhärteten, ausgetrockneten Betons sind die Art und Menge des Zements, allfällige Zusatzmittel und die Witterungsverhältnisse beim Einbringen des Betons. 

So erkennt ein Experte bei einer unbearbeiteten Betonoberfläche mit Schalungsstruktur oder bei einer taloschierten Oberfläche oft kaum einen visuellen Unterschied. Selbst bei nachträglich gestockten, gestrahlten oder geschliffenen Oberflächen ist RC-C in der Regel nur anhand der Farbunterschiede des sehr geringen Anteils an Fremdmaterialien wie roten Backsteinfragmenten erkennbar.

Ebenfalls keinen Einfluss – weder negativ noch positiv – auf die Eigenschaften hat die seit einigen Jahren angewendete Sequestrierung (Carbon Capture), bei der das Betongranulat künstlich mit CO² angereichert wird. Hier reagiert das CO² in den Resten von Calciumverbindungen, die noch aus dem ursprünglichen Zement stammen, und bildet Calciumcarbonat (CaCO3), ein stabiles, festes Mineral. Dieser Prozess ähnelt der natürlichen Carbonatisierung, die über lange Zeit im normalen Beton stattfindet, wird hier jedoch künstlich beschleunigt. 

Das bei der Reaktion gebildete Calciumcarbonat bleibt dauerhaft im Betongranulat eingeschlossen. Der Kohlenstoff, der vorher in Form von CO² gasförmig vorlag, wird jetzt als stabiles Feststoffmineral in Form eines Zuschlagsstoffs in den Beton eingebunden und kann nicht mehr in die Atmosphäre gelangen. 

… mal abweichende Eigenschaften

Relevante Unterschiede sind in den statischen Eigenschaften von RC-C (und insbesondere von RC-M) zu verzeichnen. Sie erreichen in den meisten Fällen nicht die Werte von Primärbeton, wobei selbst diese in Abhängigkeit der Eigenschaften des verfügbaren Gesteins regional stark variieren können. 

Die für die konstruierenden Ingenieure relevanten reduzierten Eigenschaften des Festbetons sind hauptsächlich der niedrigere Elastizitätsmodul, das grössere Schwindmass, verstärktes Kriechen, eine reduzierte Schubfestigkeit und der teilweise höhere Chloridgehalt. Letzterer resultiert häufig daraus, dass das verwendete Betongranulat aus tausalz­exponierten Konstruktionen wie Stützmauern, Brückenplatten oder Tiefgaragen stammt. Ein erhöhter Chloridgehalt ist in erster Linie limitierend für den Einsatz von Vorspannkabeln.

Bauingenieurinnen und -ingenieure können mit diesen reduzierten Eigenschaften umgehen, indem sie geeignete Anpassungen in der Planung, Bemessung und Bauausführung vornehmen. Den niedrigen Elastizitätsmodul und die geringere Steifigkeit können sie durch eine Anpassung der Dimensionen ausgleichen, womit die Verformung minimiert wird. Das grössere Schwindmass und das verstärkte Kriechen, was zu Spannungen und Rissbildung führen kann, kontrollieren sie mit Dehnungsfugen, konstruktiver Bewehrung oder mit Zusatzmitteln. Auch der reduzierten Schubfestigkeit kann mit einer entsprechenden Dimensionierung des Querschnitts oder mit einer Querkraftbewehrung entsprochen werden. 

Zudem können Bauingenieurinnen und -ingenieure durch die Wahl geeigneter Zementarten und Zusatzstoffe – zum Beispiel Flugasche oder Silikastaub – die Eigenschaften von RC-Beton verbessern und an die Anforderungen des Projekts anpassen. Um die gewünschte Betonqualität zu gewährleisten, ist somit eine enge Zusammenarbeit mit den Betonlieferanten entscheidend. Die Betonhersteller konnten mit umfangreichen Versuchen ihre Rezepturen dahingehend optimieren und angleichen, dass RC-Betone keinen höheren Zementgehalt mehr erfordern als Primärbeton.

Skepsis bleibt – oft unbegründet 

Trotz der zunehmenden Akzeptanz von RC-Beton herrscht bei Ingenieuren, Baumeistern und System­anbietern weiterhin – teils unbegründete – Skepsis. Diese Zurückhaltung beruht auf erhöhten Werten des Schwindmasses und negativen Erfahrungen bei der Verarbeitung, insbesondere bei anspruchsvollen Bauvorhaben wie der Erstellung wasserdichter Bauwerke. Denn Recyclingkies kann eine höhere Wasseraufnahme aufweisen, was das Wasser-Zement-Verhältnis und entsprechend die Konsistenz und Festigkeit des Betons beeinflussen kann. 

Zwar erfüllen viele RC-C-Betone die Anforderungen an Wasserdichtigkeit bezüglich Wasseraufnahme und Wasserleitfähigkeit, doch bleiben Vorbehalte – vor allem im Hochbau, wo ein erheblicher Anteil des Betons unter Terrain verbaut wird und Wasserdichtigkeit ein zentrales Kriterium ist. So sind viele Systemanbieter für weisse Wannen, also wasserundurchlässige Betonkonstruk­tionen, nur unter bestimmten Bedingungen bereit, den Einsatz zu unterstützen – zum Beispiel mit einem erhöhten Bewehrungsgehalt und kleineren Betonieretappen. Solche Massnahmen können allerdings den ökologischen Vorteil von RC-Beton und wirtschaftliche Aspekte projektabhängig infrage stellen.

Ein weiterer Faktor, der zur Skepsis beiträgt, sind die Frischbetoneigenschaften, die stark von den logistischen Möglichkeiten und der Erfahrung des Lieferwerks abhängig sind. Hohe Temperaturen, lange Transportzeiten oder ungeplante Wartezeiten können dazu führen, dass der Beton auf der Baustelle schwer zu verarbeiten ist, was allfällige Vorbehalte, insbesondere des Poliers, zusätzlich bekräftigt. Effiziente Transport- und Einbringungsbedingungen können die Situation wesentlich verbessern. Wenn diese Prozesse gut organisiert sind, lässt sich sicherstellen, dass der RC-Beton auf der Baustelle pro­blem­los verarbeitet werden kann. 

Es spricht auch nichts gegen den Einsatz von RC-Beton für tragende Innenwände – selbst bei hohem Recycling­anteil an Betongranulat. Eine Ausnahme bilden Kernwände schlanker Hochhäuser, die zur Minimierung der horizontalen Auslenkungen und Schwingungen infolge Windeinwirkungen einen möglichst hohen E-Modul und oft auch eine erhöhte Druckfestigkeit erfordern. Der unbedenkliche Einsatz gilt auch für konventionelle Geschossdecken, denn für ihre Dimensionierung sind aufgrund der internen Schallschutzanforderungen und erforderlichen Einlagen oft bauphysikalische und gebäudetechnische Kriterien massgebend. Sollte jedoch tatsächlich die Durchbiegung oder der Durchstanzwiderstand massgebend sein, können die statischen Defizite von RC-Beton durch eine nur 1 bis maximal 2  cm dickere Decke ausgeglichen werden.

Vorspannkraft im RC-Beton

Für Spannbeton gibt es keine spezifischen Normen zum Einsatz von RC-Beton; lediglich Voruntersuchungen sind vorgeschrieben, deren Umfang und Zweck jedoch nicht klar definiert sind. Für den Chloridge­halt in RC-Spannbeton sind hingegen klare Grenzwerte festgelegt: 0.10 % statt 0.20 %. Viele Betonwerke können diesen reduzierten Wert mittlerweile auch für erhöhte Anteile an Betongranulat nachweisen, was den breiteren Einsatz von Spannbeton ermöglicht. 

Da Vorspannungen aber meist zur Reduktion der Durchbiegung bei minimierten Bauteilstärken eingesetzt werden, muss projektspezifisch geprüft werden, wie sich der niedrigere E-Modul eines RC-Betons auf die Dimensionierung und Ökobilanz auswirkt. Nur fachlich genaue Analysen können aufzeigen, ob die Kombination von Vorspannung mit RC-Beton eine ökologisch sinnvolle Variante ist. Ein vertieftes Fachwissen des Bauingenieurs ist unerlässlich. 

Kein Potenzial für Vorfabrikation

Im Bereich der Vorfabrikation hat RC-Beton noch wenig Einzug gehalten. Institutionelle Bauherrschaften wie das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich schreiben beispielsweise immer wieder vorgefertigte Betonelemente in RC-Beton aus – jedoch bislang mit nur bescheidenem Erfolg. Einzig beim Depot Hard – den beiden neuen Hochhäusern am Escher-Wyss-Platz – bestehen die Betonelement-Fassaden aus RC-C. 

Die Gründe für das geringe Einsatzvolumen liegen in der hocheffizienten Herstellung. Die Elementwerke sind darauf angewiesen, die Bauteile möglichst früh, oft kaum einen Tag nach dem Betonieren, ausschalen zu können. Auch wenn dies zwar nichts mit den Recyclingzuschlägen zu tun hat, sondern nur mit der Frühfestigkeit des verwendeten Zements, so sind neben einer raschen und hohen Festigkeitsentwicklung dennoch minimierte Schwind- und Kriechwerte erforderlich. Insbesondere beim Spannbettverfahren ist dies entscheidend für eine effiziente Logistik in der Produktion. 

Hinzu kommt, dass die hohe Leistungsfähigkeit vorfabrizierter Elemente, wie etwa bei Rippenplatten oder Stützen, deutlich schlankere Konstruktionen als jene aus Ortbeton ermöglicht. Dies hat ökologische Vorteile und stellt die Frage nach dem Einsatz von RC-Beton häufig in den Hintergrund. Insofern gilt es auch für den RC-Beton das richtige und schlüssige Einsatzgebiet zu finden. Wenn er denn fachgerecht und seinen vorteilhaften Eigenschaften entsprechend eingesetzt wird, ist er eine umweltfreundliche und tragfähige Alternative zu Primärbeton. 

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