Kon­struk­ti­ver Dia­log

Tetris mit der Spätmoderne

Das Gemeindehaus von Horw musste erneuert werden. Harry van der Meijs und raumfalter Architekten suchten den grössten gemeinsamen Teiler zwischen dem Bestand aus den 1970er-Jahren und der Gegenwart. 

 

Data di pubblicazione
22-04-2016
Revision
25-05-2016

Auch wenn es sich bei der Bauaufgabe um die Auffrischung eines etwas in die Jahre gekommenen Verwaltungsbaus handelt – dem Gebäude im Zentrumsbereich von Horw kommt eine wichtige Rolle zu. Es entstand in den Jahren 1977 bis 1979 in einem der Stadt vorgelagerten Dorf, ­­das sich zu einem wichtigen Brennpunkt der Agglo­mera­tion Luzern entwickeln sollte.

Einst ein typisches Strassendorf mit dem bescheidenen Ansatz eines ­Kerns um die Kirche herum, ist Horw entlang der Haupt­er­schliessungsachse am Fuss des ostseitigen Abhangs gewachsen. Auf der westlich angrenzenden, breiten Talebene wurde aufgrund des sumpfigen Bodens nur wenig gebaut. Erst mit den Boomjahren nach dem Zweiten Weltkrieg weitete sich das Siedlungsgebiet in die Ebene aus.

Aufbruch in eine neue Epoche

Die optimistische Grundhaltung der Zeit und das markante Bevölkerungswachstum brachten es mit sich, dass eine grössere Gemeindeverwaltung notwendig wurde. Wie in anderen Gemeinden in Stadtnähe sollte die Planung den gewachsenen dörflichen Strukturen einen neuen Akzent entgegensetzen.

So wurde das neue Zent­rum als praktisch autonome Neubebauung und ohne direkte Anbindung an die Hauptstrasse ausgeführt. Das Gemeindehaus bildete damit den Kopf zum Dorfkern, und als Teil der Gesamtbebauung war es Abschluss des angrenzenden und sehr grosszügigen Schulareals.

Umgeben von öffentlichen Räumen, die die städtebauliche Ordnung neu bestimmen sollten, fehlte jedoch eine räumliche Prägnanz. Wenn auch auf einem etwa 1.5 m hohen Plateau gelegen – die Tiefgarage konnte aufgrund der schwierigen Bodenverhältnisse nicht tiefer gebaut werden –, blieb die Unentschiedenheit der Zuordnung eine schwerwiegende Hypothek. Südseitig liegt die Zufahrt von der Strassenverbindung zum Bahnhof, im Norden die Fussgängerachse. Beide versuchen, die Erdgeschosse dem öffentlichen Raum zuzuordnen.

In die Mitte gerückt

Mitte der 1990er-Jahre kam mit der Neuplanung der Autobahnzufahrt Luzern-Horw eine einschneidende Veränderung: Die südseitige Erschliessungsachse mutierte zu einer extensiven Verkehrsanlage. Verkehrstechnisch optimiert schwächte die Anlage die nordseitige Fussgängerachse, trug jedoch nur wenig zur Qualität dieses öffentlichen Raums bei.

Um diese zwischenzeitlich rückwärtige Achse zu stärken, hat die Gemeinde einen neuen Bebauungsplan erarbeitet. In einem Baukörper westlich des Gemeindehauses ist seit Kurzem eine Filiale der Migros eingemietet – so entsteht eine kommerzielle Achse zum Coop an der Hauptstrasse. Die letzten Planungsschritte sehen eine hohe Verdichtung mit 520 Wohnungen und 1700 Arbeitsplätzen auf beiden Seiten entlang der Bahnlinie vor; damit rückt das Gemeindehaus definitiv in die Mitte von Horw.

Eine typische Aufgabe …

Das von der Architektengemeinschaft Martin D. ­Simmen, Gastone Battagello und Robert Sigrist erstellte Gemeindehaus war als Stahlbeton-Skelettbau konzipiert. Die Trennung der Büros erfolgte durch nichttragende Wände, sowohl untereinander wie auch zum Korridor.

Die Aussenmauern wurden als Zweischalenmauerwerk mit vorgehängten Fassadenelementen aus Kupfer ausgeführt. Da in den vergangenen Jahren keine grösseren Investitionen erfolgten und die Anforderungen bezüglich Energie und Sicherheit gestiegen sind, musste das Haus an die aktuellen Bedürfnisse angepasst werden. Gleichzeitig sollte eine zeitgemässe Raumdisposition und Gestaltung für die Verwaltung entstehen.

Die Gemeinde führte ein Planerwahlverfahren durch, dessen Ziele sich wie folgt zusammenfassen ­lassen: die Sicherheit des Betriebs erhöhen, die Orientierung auf die Kundschaft verbessern, die Effizienz der Arbeitsplätze und die Behaglichkeit erhöhen sowie Schäden an Fenstern und Böden sanieren. Diese durchaus gängige Ausgangslage enthielt im vorliegenden ­Fall aber einige weiter reichende Bezüge.

… mit einer passgenauen Lösung

Neben der ortsbaulichen Ausgangslage ist ein weiterer Aspekt für das Gemeindehaus von Horw von Bedeutung: seine formale und materielle Ausprägung. Wohl als Kritik an der Moderne suchten die Planer eine «sprechende» Architektur für die Erscheinung. Die äussert sich einerseits in der volumetrischen Ausprägung der Öffnungen als leicht aus der Wand hervorragende Rahmen und andererseits in den Backsteinwänden, ­die sich im Innenraum fortsetzen.

Horw war lange Zeit ­ein wichtiger Ziegeleistandort und sehr eng mit dem Backstein verbunden. So war der gesamte Komplex mit Gemeindehaus und den Geschäfts- und Wohnhäusern ursprünglich in einem Sichtmauerwerk ausgeführt. Nach der Sanierung der Zeile mit den Geschäfts- und Wohnhäusern ging dieses Bild zu einem grossen Teil verloren.

Die ursprüngliche Oberfläche wurde unglücklicherweise durch eine zeittypische Putzfassade ersetzt. Dies wird wohl auch beim zweiten Teil passieren, sodass das Gemeindehaus als einziges Gebäude dieses Erbe weitertragen dürfte. Mit seiner Gebäudeform – eine Assemblage ­aus dem klaren Kubus des Bürobereichs, den eingeschobenen Schrägdachflächen um die grosse Halle und den expressiven Formulierungen der Fensterpartien – erhielt das Gebäude eine äusserst eigenständige Erscheinung.

Hier klingen Analogien zu öffentlichen Bauten der Zeit an, wie sie in Skandinavien und den Nieder­landen erstellt wurden. Dies hat massgebend dazu bei­getragen, dass das Gebäude in der Bevölkerung von Horw eine herausragende Stellung einnimmt und zur Identität beiträgt – trotz dem Umstand, dass es zuweilen etwas schwerfällig und düster wirkt.

Beim Umbau wurde dieses Bild, obwohl es nicht ­gerade dem heutigen formalen Mainstream entspricht, wei­tergetragen und an zwei Eckausbildungen durch neu aufgesetzte Kronen zusätzlich akzentuiert. Dies unter anderem auch als Reaktion darauf, dass sich das unmittelbare Umfeld des Gebäudes baulich enorm ver­ändert hat. 

Auch wenn das Buch «A Pattern Language» ­von Christopher Alexander 1977 genau in der Planungsphase erschienen ist und damit wohl kaum als direkter Einfluss gesehen werden kann, wird dieser Bezug hinsichtlich der Instandsetzung interessant: Der Architekt ­und Theoretiker Alexander postulierte, anhand von «Patterns» direkt auf der Baustelle zu entwerfen und im Dialog mit dem Ort die Beziehungen zwischen den physischen Teilen der Stadt herzustellen. Der Umbau wurde nun von den Architekten mit vergleichbaren kompositorischen Mitteln in Angriff genommen.

Anpassung und Eigenständigkeit

Während das äussere Bild die Kontinuität des Bestands anstrebt, zeigt sich im Innern eine zweiteilige Herangehensweise. Insbesondere bei der Haupthalle finden die Themen des Bestands eine Entsprechung: Die dunklen Holzwände der Büroräume zur Halle werden durch hellere Backsteine ersetzt und die Massnahmen für ­die neuen Brandschutz- und Sicherheitsanforderungen in die bestehende formale Sprache integriert.

Eine andere Position zeigt sich aber bei den eigentlichen Büroräumen der Verwaltung. Der Bestand war geprägt durch eine düstere Stimmung und dunkle Korridore. Die Tragstruktur wurde freigestellt und mittels transparenter und farbiger Scheiben ein Raumkontinuum gesucht, das sich heute wohltuend von der Zellenstruktur der einstigen Einzelbüros abhebt.

Damit gelingt es, die vormals krasse Zweiteilung in die offene Struktur der Halle und die tristen, geschlossenen Erschliessungskorridore in eine durchgehend offene Raumabfolge überzuführen – ohne die deutlich gesteigerten Anforderungen bezüglich der Sicherheit einer Gemeindeverwaltung zu vernachlässigen.

Kontrollierte Bricolage

Ausgangspunkt der Entwurfsstrategie bildet das vertiefte und durchaus intuitive Lesen des Bestands. In einem ersten Schritt ging es darum, sich an diese ungewohnte Ausgangslage heranzutasten und die Formensprache schätzen zu lernen. Das Planerteam suchte nicht den Kontrast, sondern führte die vorgefundene Sprache weiter. Allerdings mit der deutlichen Absicht, diese mit feinen Gesten vom Bestand abzusetzen.

Basis für dieses Vorgehen war aber nicht eine umfassende Analyse, sondern die kontinuierliche und direkte Interaktion mit dem Bestand. Umbau und Entwurfsprozess fanden parallel statt, und aus dem Dialog heraus entstanden die gestalterischen Massnahmen. So kennzeichnen sich die Eingriffe nicht unbedingt durch eine starre Kohärenz, sondern vielmehr durch miteinander verknüpfte Einzelentscheidungen, die an gewissen Stellen durchaus unvermittelt aufeinanderstossen. 

Gerade diese kontrollierte Bricolage wirkt ­spannend und erfüllt den Bau mit einer Lebendigkeit, die den Umbaumassnahmen zu verdanken ist. Die Herangehensweise wirkt neben der digitalen Realität heutiger Projekte, der vor allem Neubauprojekte unterworfen sind, schon fast anachronistisch. Sie zeugt ­jedoch von der unmittelbaren Kraft spezifischer Eingriffe, da sie methodisch auf Bestehendes Bezug nehmen und sich real daran messen kann.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Gemeinde Horw Immobilien

Gesamtleitung
ARGE Harry van der Meijs ir. dipl. Architekt TU SWB, Luzern, mit raumfalter dipl. Architekten USI SIA, Zürich

Tragwerksplanung
Emch + Berger AG

Lichtplanung
Neue Werkstatt GmbH

Elektroplanung, MSR
Elektroplan, Horw

HLKS-Planung
Schumacher Partner, Sempach Stadt

Bauphysik
Martinelli + Menti AG

Beratung Oberflächen
Martin Hüppi, Restaurator SKR, Luzern Littau

Bauherrenberatung
Oliver Dirr, Zürich; Bruno Weishaupt, Horw

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