Diskurs als Strategie
Auf dem Weg zur WerkBundstadt
Mitten in der Stadt plant der Berliner Werkbund ein dichtes, funktionsgemischtes Wohnquartier. Dabei schlägt das Projekt einen ungewöhnlichen Weg ein. Was ist das Besondere an diesem Entwicklungsprozess? Und was macht die WerkBundStadt aus?
Der Berliner Werkbund hat ein bemerkenswertes Projekt auf den Weg gebracht: die WerkBundStadt. Ungewöhnlich ist es aus mehreren Gründen. Erstmals trägt eine Planung des Werkbunds die «Stadt» im Namen – obwohl bereits frühere Projekte, wie etwa die 2007 initiierte Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München,
im städtischen Kontext entwickelt wurden. Damit zeigt die WerkBundStadt augenscheinlich ihren besonderen Fokus: Hier stehen der städtebauliche Ansatz, die Stadträume und die Idee des Wohnens in der Stadt, inmitten eines Quartiers von sehr hoher Dichte, im Vordergrund.
Auch das Verfahren, das die beiden Projektverantwortlichen – der Vorsitzende des Deutschen Werkbunds, Paul Kahlfeldt, und die Vorsitzende des Berliner Werkbunds, Claudia Kromrei – wählten, weicht ab von dem, was bislang üblich war: Sie entschieden sich für einen disziplinenübergreifenden kooperativen Konzeptions-, Entwurfs- und Umsetzungsprozess. 33 Architekturbüros haben sich auf Anfrage zusammengetan, um gemeinsam «ein Stück Stadt» zu entwerfen. Auf einem ehemaligen Industrieareal mitten in Berlin-Charlottenburg soll ein dichtes, funktionsgemischtes Wohnquartier entstehen.
Da drängen sich viele Fragen auf: Wie läuft ein solcher Prozess ab? Ist es überhaupt möglich, dass so viele Architekten einen Entwurf konstruktiv gemeinsam erarbeiten und dafür einen Konsens erzielen? Und welche Aussichten hat ein derartiges Projekt auf Realisierung?
Gemeinsame Wissensbasis
Schaut man sich den Prozess der Planung näher an, so zeigt sich, dass die Grundlagen sorgfältig über einen Zeitraum von über einem Jahr geschaffen wurden, um darauf aufbauend die Entwürfe zu diskutieren: Im Rahmen von sieben mehrtägigen Klausurtagungen erarbeiteten sich die beteiligten Architekten gemeinsam mit Experten der unterschiedlichen Fachdisziplinen nicht nur ein umfangreiches Wissen, sondern die Verantwortlichen stellten die Weichen für eine erfolgreiche Umsetzung, indem sie im Rahmen der Tagungen auch die Stadt Berlin, Politik, Anwohner und Investoren frühzeitig in diesen Prozess involvierten.
In den ersten vier Konzeptklausuren wurden die gestalterischen, bautechnischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Leitlinien des Bauens und Wohnens entwickelt. Konkret standen diese Klausuren unter den Leitthemen Politik und Investment, Energie und Nachhaltigkeit, Nutzung und Gestalt sowie öffentlicher Raum und Verkehr. Die Ergebnisse wurden als Regularien formuliert, sie lagen dem Entwurfsprozess zugrunde.
Regularien zur WerkBundStadt – Städtebau und Architektur der Häuser
Meilensteine der Entwicklung
Ein erster Meilenstein war mit der fünften Klausur erreicht, in der das städtebauliche Konzept der WerkBundStadt aufbauend auf Entwürfen von acht Städtebauteams erarbeitet wurde. Ziel war es, die besten Ansätze der verschiedenen Entwürfe herauszukristallisieren und daraus einen Masterplan zu entwickeln, der von allen Architekten mitgetragen wird. Dieser erste Stand eines städtebaulichen Rahmenplans wurde gleichzeitig mit den behördlichen und politischen Vertretern des Bezirks Berlin-Charlottenburg diskutiert und abgestimmt. Die baurechtliche Situation ist erwartungsgemäss sehr komplex, wenn man bedenkt, dass ein ehemaliges Tanklager zu einem Wohngebiet umfunktioniert werden soll. Noch sind einige Hürden zu nehmen, doch laut dem Leiter des Stadtentwicklungsamts von Charlottenburg-Wilmersdorf, Rainer Latour, ist man hier auf gutem Weg. Dies belegen die aktuellen Entwicklungen: Mit einer Überarbeitung des städtebaulichen Rahmenplans wird das Verfahren zum Bebauungsplan nun eingeleitet.
Auf Grundlage des gemeinsam verabschiedeten Masterplans fertigten die Verantwortlichen einen Parzellierungsplan, in dem sie insgesamt 39 Parzellen auswiesen. Jedes beteiligte Architekturbüro soll mit einem Gebäudeentwurf beauftragt werden. Die einzelnen Parzellen wurden schliesslich auf der sechsten Klausurtagung ausgelost: Jedes Büro bearbeitete zunächst drei Entwürfe für drei unterschiedliche Parzellen, um aus diesem Fundus die stimmigste Lösung für das grosse Ganze – die WerkBundStadt – zu finden. Ausserdem diskutierten die Beteiligten auf dieser Klausur die architektonischen Regularien für die Entwürfe der Häuser und legten hierzu ein Regelwerk fest (Link oben rechts). Mit diesen Grundlagen entwickelten die Architekten ab März 2016 ihre Häuser für das Quartier, die einzelnen Bausteine der WerkBundStadt. Die Vorentwürfe stellten sie bis Sommer 2016 fertig und präsentierten sie auf der siebten Klausur.
Ein gemeinschaftliches Werk
Diese Klausur war der zweite Meilenstein in der Entwicklung: Hier wurden die Vorentwürfe diskutiert und unter der Federführung der Verantwortlichen ausgewählt – ein spannender und zugleich herausfordernder Prozess, denn ein derartiges Vorgehen muss gesteuert und moderiert werden. Dazu braucht es diejenigen, die die Rolle der Regisseure annehmen und das kollektive Ganze im Auge behalten, und diejenigen, die im Sinn des Ganzen vermitteln. Und diese Konstellation scheint stimmig gewesen zu sein. Tatsächlich gelang es, einen gemeinsamen Konsens zu finden und eine Lösung zu formulieren, die von der Gemeinschaft mitgetragen wird. Das sei das Ziel dieses Verfahrens, so die Verantwortlichen: Die WerkBundStadt solle ein Entwurf aller Beteiligten werden. Welche Erfahrungen beteiligte Schweizer Architekten daraus gewonnen haben, werden wir in der folgenden TEC21-Ausgabe zur WerkBundStadt zum Thema machen.
Hervorheben kann man zu Recht das grosse Engagement aller Beteiligten: seitens der Verantwortlichen des Werkbunds, Claudia Kromrei und Paul Kahlfeldt, der Projektleiterin Corinna Scheller, seitens der Architekten – die bislang ohne Honorar und in Vorleistung arbeiten – und seitens sämtlicher involvierter Gremien und Institutionen. Das war auf der Veranstaltung im vergangenen September spürbar, auf der die Ergebnisse dieses Arbeitsstands der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Das Projekt wird von vielen mitgetragen, und damit ist eine solide Basis für die Realisierung geschaffen. Die Beteiligten haben einen beachtlichen Zwischenstand erarbeitet, der noch Entwicklungspotenzial hat. Die inhaltlich offenen Punkte, etwa die Gestaltung der Stadträume, die Konzeption der Wohnungen oder neue Formen kollektiver Räume und Angebote, werden nun in weiteren Schritten vertieft. Zu wünschen wäre allen Beteiligten, dass sich für die anstehende Herausforderung, wie die Entwürfe im Sinn der WerkBundStadt zusammen mit Investoren realisiert werden können, tragfähige Konzepte finden lassen.
Beteiligte Architekturbüros
Bernd Albers Architekten, Berlin
Bayer & Strobel Architekten, Kaiserslautern
Brandlhuber+, Berlin, mit June14 Meyer-Grohbrügge & Chermayeff, Berlin/New York
Klaus Theo Brenner – Stadtarchitektur, Berlin
Caruso St John Architects, London/Zürich
Cramer Neumann Architekten, Berlin
Dierks Sachs Architekten, Berlin
Max Dudler, Berlin/Zürich
E2A, Zürich
Hans van der Heijden Architect, Amsterdam
Heide & von Beckerath, Berlin
Hild und K Architekten, München
ingenhoven architects, Düsseldorf
jessenvollenweider architektur, Basel
Petra und Paul Kahlfeldt Architekten, Berlin
Kleihues + Kleihues, Berlin
Prof. Hans Kollhoff Architekten, Berlin
Thomas Kröger Architekt, Berlin
Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart
Christoph Mäckler Architekten, Frankfurt a. M.
Modersohn & Freiesleben, Berlin
Nöfer Architekten, Berlin
nps tchoban voss, Berlin
Office Winhov, Amsterdam
Patzschke Planungsgesellschaft, Berlin
Rapp + Rapp, Amsterdam
RKW Architektur+Städtebau, Düsseldorf
schneider + schumacher, Frankfurt a. M.
Uwe Schröder Architekt, Bonn
Schulz und Schulz Architekten, Leipzig,
mit bayer uhrig Architekten, Kaiserslautern
Staab Architekten, Berlin
Studio di Architettura, Mailand
Weinmiller Architekten, Berlin
Kommentar des Schweizerischen Werkbunds zur WerkBundStadt
Mit der Werkbundsiedlung Neubühl (1930–1932) haben wir uns als Vorstandsmitglieder des Schweizerischen Werkbunds (SWB), Ortsgruppe Zürich, intensiv beschäftigt und sind immer wieder beeindruckt von deren Qualität und Aktualität. Damals haben die noch jungen Werkbundarchitekten Grosses geleistet, und dies aus persönlicher Motivation und aus einem professionellen Netzwerk heraus, in dem man auf persönliches Vertrauen bauen konnte.
Es gibt Parallelen zum Entstehen der WerkBundStadt in Berlin. Der Berliner Werkbund hat in ehrenamtlicher Tätigkeit und unter Zuhilfenahme eines bestehenden Netzwerks ein riesiges Projekt professionell und mit hohem Anspruch auf die Beine gestellt – dafür haben wir grössten Respekt. Die Qualität in dem Projekt liegt vor allem darin, ein Stück Stadt auf dieses unwirtliche Grundstück in zentraler Lage zu bringen. Mit dem städtebaulichen Ansatz wird eine Diskussion lanciert, die wichtig ist und die Investoren und anderen Bautätigen in Berlin Anreize geben kann und sollte.
Neben dem gut dokumentierten und nachvollziehbaren Prozess der Erarbeitung des Städtebaus in Workshops vermissen wir überraschende Momente im Umgang mit der Frage des Wohnens im Allgemeinen.Aus unserer Sicht ist der beim Werkbundtag vorgestellte Stand des Projekts jedoch nicht als fertiges Produkt zu sehen, sondern als Baustein in einem Prozess, aus dem sich noch viel entwickeln wird.
So wie wir eine SWB-Gästewohnung-Neubühl betreiben (www.swb-gästewohnung-neubühl.ch), um die Werkbundsiedlung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, wünschen wir uns mindestens eine Gästewohnung, wenn nicht sogar ein Gästehaus vom Deutschen Werkbund in dem neuen Stadtteil – als Ankerpunkt einer Diskussion über Städtebau und Wohnformen.
Anja Meyer und Sandra König, Architektinnen, Vorstand Schweizerischer Werkbund, Ortsgruppe Zürich