Wie wol­len wir in Zu­kunft woh­nen?

Wohnen in der Gemeinschaft wird nicht nur der knappen räumlichen und finanziellen Resourcen wegen Erfolg haben, sondern auch wegen veränderter familiärer Strukturen. Das Vitra Design Museum zeigt zeitgenössische Projekte und deren historische Vorläufer und eröffnet damit eine notwendige Diskussion für die Zukunft.

Data di pubblicazione
30-06-2017
Revision
05-07-2017

In den 1960er-Jahren wurde die Frage nach dem Wohnen in der Zukunft mit verdichtetem, metabolistischem Bauen, wie es die japanischen Architekten propagierten, beantwortet und futuristisch anmutende riesige terrassierte Wohnkomplexe entworfen. Vollkommen anders stellt sich die Situation heute dar. Die von Andreas und Ilka Ruby mithilfe der Architekten EM2N kuratierte Ausstellung im Vitra Design Museum, die ursprünglich für den Schweizer Pavillon 2016 an der Architekturbiennale Venedig geplant war (siehe auch: E-Dossier Architekturbiennale 2016), behauptet, in den letzten Jahrzehnten sei es durch die Verknappung des Wohnraums und den Anstieg der Wohnpreise in den Grossstädten zu einem «revolutionären» Umdenken gekommen. Dabei würde neues gemeinschaftliches Wohnen auch zu neuen Formen der Architektur führen.

Vornehmlich in Deutschland, der Schweiz und in Japan wird auf ganz unterschiedliche Art und Weise auf Wohnfläche verzichtet und stattdessen mehr Wert auf Gemeinschaftsräume wie das Wohnzimmer und die Wohnküche gelegt. Diese neue Form des kollektiven Wohnens, das auch generationsüberschreitend sein kann, wird im ersten Raum der Ausstellung historisch von den Reformideen des 19. Jahrhunderts bis zur Hippie- und Hausbesetzerszene hergeleitet, wobei die Schweiz eine Vorreiterrolle zu spielen scheint. Die Kolonie Monte Verità im Tessin zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird ebenso gezeigt wie die Genossenschaftssiedlung Karthago in Zürich aus den 1980er-Jahren.

Die ersten sozialen Wohnideen entwickelten sich aus dem Protest gegen bestehende Verhältnisse, was in der Ausstellung mit Filmen veranschaulicht wird, während Plakate über die verschiedenen Konzepte informieren. Die Aktualität dieser Ideen hat nicht nur finanzielle Gründe, sondern auch gesellschaftliche, denn die ehemaligen Familienstrukturen lösen sich immer mehr auf, und andere Wohnmodelle werden notwendig. Durch die Digitalisierung ist ein zusätzlicher Aspekt entstanden: Die Möglichkeit, Arbeit zu Hause zu arbeiten, erfordert soziale Kontakte beim Zusammenleben, will der Mensch am Computer nicht vereinsamen. Wohnen und Arbeiten vermischen sich deswegen immer häufiger.

Clusterwohnungen

Diese Umschichtungen im Zusammenleben zeigt am eindrücklichsten der dritte Raum in der Ausstellung, in dem das 1:1-Modell einer «Clusterwohnung» begehbar ist. Die Raumgrössen sind direkt nachvollziehbar und der grosszügige gemeinschaftliche Wohnbereich erlebbar, wobei die einzelnen Wohnungen oder Wohneinheiten jeweils eine kleine Küche bzw. Kochnische sowie ein eigenes Bad besitzen. Dass nicht überall dieselben Ideen hinter den gemeinschaftlichen Wohnräumen stecken und die Realisierung der Projekte jeweils sehr unterschiedlich, teils beschwerlich und ein organisatorischer Kraftakt sein kann, vermitteln der zweite Raum und das Obergeschoss. Die Architekten entwarfen ein neues Sitzarrangement – von hier aus kann man einerseits die Architektur von Frank O. Gehry für einmal richtig geniessen und erlebt zugleich physisch ein Gemeinschaftsgefühl, andererseits kann man auf die 21 Modelle hinunterschauen, die zu einem grossen fiktiven Stadtmodell zusammengeschlossen sind.

Dieses Zusammenfügen der unterschiedlichen Projekte zu einer Stadt deutet die Chancen für eine Verschmelzung der öffentlichen und privaten Räume an. Allerdings sind viele der interessanten Beispiele, wie von ifau – Institut für angewandte Urbanistik, Jesko Fezer und Heide & von Beckerath, Michael Maltzan Architecture, ON design partners, pool Architekten oder Ryue Nishizawa, mit ihren spärlichen Beschreibungen etwas kurz gehalten. Die Innovation des Gebauten oder die andersartige Architektur lassen sich am besten in den Fotografien von Daniel Burchard nachvollziehen, die das Wohnen an den Aussenwänden der Clusterwohnung dokumentieren.

Anhand von fünf Projekten wird die ökonomische Situation an Arbeitstischen detailliert ausgelegt. So definiert etwa das Projekt Kalkbreite die Rolle des Eigentums grundsätzlich neu, als «sharing economy» – die Hälfte seiner Fläche ist Gewerbefunktionen vorbehalten. Schade, dass diese Ausstellung, die betont niederschwellig angelegt wurde, nicht sowohl die ökonomische als auch die architektonische Konzeption der Beispiele gemeinsam verdeutlicht.

Die Ausstellung «Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft» im Vitra Design Museum in Weil am Rhein ist bis zum 10. September 2017 zu sehen.
Informationen zur Ausstellung: www.design-museum.de
Katalog, 352 Seiten, ca. 443 Abbildungen, ISBN: 978-3-945852-14-9, 49,90 Euro

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