Wer hat Ang­st vor So­lar­fas­sa­den?

Forschungs- und Werkplatz

Die Photovoltaik legt ihren bisher unvermeidlichen Nadelstreifenanzug ab und zeigt eine zunehmende Farb- und Formenvielfalt. TEC21 besucht Labors, Werkhallen und Demonstrationsbauten, um sich einen Eindruck von der gestalterischen Annäherung zwischen Architektur und Photovoltaikindustrie zu verschaffen.

Data di pubblicazione
30-11-2017
Revision
01-12-2017

Nordeuropa ist eine von der Sonne häufig vernachlässigte Zone. Umso kreativer kümmern sich Architekturbüros vor Ort darum, die spärlichen Licht­strahlen ge­winnbringend zu nutzen. In Drammen, einem Vorort von Oslo, erzeugt der neue Geschäftssitz eines Baukonzerns selber Strom, mithilfe von Photovoltaikfassaden in sattem Grün. An der Hafenkante von Kopenhagen steht das aktuell grösste Photovoltaikgebäude Europas, eine internationale Sprachschule. Ihre Fassaden schimmern, mit dem Meerwasser wetteifernd, in verschiedenen Blautönen. Und dass in den Niederlanden Photovoltaikmodule im braun­roten Backsteinlook entwickelt werden, versteht sich angesichts der lokalen Bautradition von selbst.

Auch das heimische Architekturschaffen entdeckt die ungewohnte Gestaltungspalette. In Zürich Altstetten glänzen Photovoltaik-Balkonbrüstungen grüngold­braun, farblich auf die Holzfassade der Wohnhäuser abgestimmt. Ähnlichen Farbglanz wollen die Solar­fassaden am künftigen Sitz der Umweltbehörde von Basel-Stadt vermitteln (vgl. «Im Glanz der Sonne», TEC21 36/2013). Der geplante Neubau soll sich so den Sandsteinhäusern am historischen Fischmarkt auch gestalterisch annähern.

Die schwarz-silbern glänzende Optik von PV-Modulen ist nicht mehr comme il faut; nun wagt man eine Erweiterung der Ausdrucksform (vgl. TEC21 46–47/2017: «Photovoltaik I – die Architektur»). Diese Sty­lingwelle greift ein überfälliges architektonisches und städtebauliches Thema auf: Die Solararchitektur will Energie erzeugende Gebäudehüllen farblich und gestalterisch besser in die gebaute Umgebung integrieren.

Gratwanderung: Design oder Leistung?

Nicht nur Gestalter, auch Lieferanten suchen Alternativen zum uniformen PV-Modul. Nachdem sich Industrie und Forschung lange Zeit auf Leistungssteigerungen konzentrierten, wird die handwerkliche und gestalterische Performance zum nächsten Entwicklungsschritt (vgl. «Solar-Design-Boom», Kasten unten). Wie aber kann es gelingen, das technoide Bauteil stärker in die Gebäude­architektur einzubinden? Eine Antwort, so scheint es, müssen Architekten und Industrie gemeinsam finden. Am gegenseitigen Austausch wäre man interessiert; aber es «fehlt die gemeinsame Sprache. Zudem erschweren Berührungsängste die mögliche Zusammenarbeit», glaubt Solarplaner Christian Renken. Eine kurze Umschau auf dem Werk- und Forschungsplatz soll deshalb zeigen, ob die Angst vor Solarfassaden berechtigt ist.

Die globale PV-Branche boomt; in der Schweiz ist die Produktion jedoch preisbedingt am Schrumpfen. Nicht erst in den letzten Monaten, sondern seit Jahren verschwinden einst vielversprechende Start-up- und Spin-off-Unternehmen wieder von der Bildfläche. Weiterhin profitiert die Forschung im Inland von fast 40-jäh­riger Erfahrung; das Know-how genügt bis heute für Neuentwicklungen, Prototypen und Weltrekorde im Photovoltaikbereich. In der noch jungen Entwicklungsgeschichte sind deswegen namhafte Pionierleistungen zur Netzkopplung, Gebäudeintegration und Entwicklung von Farbmodulen gelungen (vgl. Zeittafel «Architektur auf dem Weg zur Sonne»). Bis heute ge­niesst Photovoltaik «made in Switzerland» einen besonderen Ruf.

Die Fassade der International School in Kopenhagen, das grossflächigste Solargebäude Europas, verwendet Photovoltaikmodule, die in Labors der EPF Lausanne erfunden worden sind. Die Sihlweid-Hochhäuser in ­Zürich Leimbach sind vor vier Jahren rundum mit PV-­Modulen eingepackt worden, in einem damals europaweit einmaligen Projekt. Und ebenfalls im Grossraum Zürich stehen zwei Wohnhaustypen, die es sonst nur als Forschungsstationen gibt: Beide Mehrfamilien­häuser decken den eigenen Energiebedarf mithilfe von einheitlich eingefärbten PV-Fassaden. Eines befindet sich mitten in der Stadt, als Studienobjekt für die Gratwanderung zwischen Leistung, Kosten und Design (vgl. «Es blinkt in alle vier Himmelsrichtungen»). In Textur und Struktur der Gebäudehülle wurde mindestens so viel Planungsarbeit gesteckt wie in die elek­tro­technische Optimierung. Architekt und Mitinvestor Karl Viridén will damit beweisen, dass Photovoltaik und Städtebau vereinbar sind und «schon bald als Selbstverständlichkeit» wahrgenommen werden dürften.

Das hofft man auch in Niederhasli, in der Zürcher Flughafenregion, wo die industrielle Fertigung der Photovoltaik 2.0 vor dem Durchbruch steht. ETH-­Professor Ayodhya Nath Tiwari lud Ende September zur Weltpremiere. Aus Europa und Asien reisten Investoren und Medienschaffende an und staunten, wie ultradünn und flexibel neueste Solartechnik ist.

Freie Gestaltung mit dünnen Folien

Bislang dominieren die gestreiften Siliziumzellen den Solarmarkt; der Anteil liegt bei 80 %. Die Alternative zum starren, kristallinen Halbleitermaterial sind nun amorphe Feststoffe (CIGS), die auf aufrollbare Folien gepresst werden und homogene Oberflächen aufweisen. Vor vier Jahren haben Forscher von ETH und Empa gemeinsam das «Flexible Solar Module» (Flisom) erfunden, das mit 20.4 % Wirkungsgrad den Weltrekord hält. In der Industriehalle beim Bahnhof Niederhasli sind roboterhafte Maschinen und Arbeiter in Schutzkleidung am Werk; sie drucken, lasern und prüfen die serielle Fabrikation der Dünnschicht-Solarfolien.

Gerade wird eine Bestellung für die Weltraumfahrt ausgeführt. Miterfinder Marc Kälin erzählt, dass die Solarfolien für ein Bogendach in den Niederlanden bereits ausgeliefert und montiert sind. Die weither angereisten Besucher bekommen ergänzend eine CIGS-Testfläche auf dem Empa-Areal in Dübendorf zu sehen. In Kürze wird gleich daneben die frei gestaltete Version eingebaut: Das Forschungsgebäude NEST erhält ein ge­faltetes Leichtbetondach mit der PV-Dünnschichtfolie aus Niederhasli obendrauf. Zum Abschluss der Besichtigungstour bittet CIGS-Forscher Tiwari allerdings um Geduld. Erst bis in zehn Jahren werde daraus ein marktfähiges, vielfältig verwendbares Industrieprodukt.

Ohne störendes Fassaden-Patchwork

In Süddeutschland hat die Forschungskonkurrenz die Dünnfilmtechnologie jetzt schon mit architektonischer Mithilfe ausgerollt. Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) ist der nächste Halt auf der Photovoltaik-Besichtigungstour. Seit Sommer 2017 stellt das neue Institutsgebäude mitten in Stuttgart selbst entwickelte Solarzellen zur Schau. Die Photovoltaikabdeckung für drei Fassadenseiten hat das dänische Architekturbüro Henning Larsen ­zugeschnitten, als Nachtrag zum ursprünglichen Wettbewerbsentwurf, der eine helle Gebäudehülle aus Metall vorsah. Nun ist das Gebäude einheitlich dunkel. Sowohl die Module an den Solarfassaden als auch die in Blech und Glas gefassten Nachbarwände glänzen schwarz-an­thrazit. Anstelle des oft üblichen geometrischen Patchwork ergibt die Photovoltaik am ZSW-Gebäude ein fein parzelliertes, vertikales Tektonikmuster.

Hinterlüftungsraum und Verkabelung sind wichtige Konstruktionsparameter und nehmen darum häufig Einfluss auf die Gestaltung. «Doch das Standardformat von Photovoltaikmodulen gilt als bislang grösste Einschränkung für die Fassadenarchitektur», sagt Andreas Schulte, Projektleiter bei Henning Larsen. Am Stuttgarter Gebäude wurde darauf geachtet, variabel und paarweise angepasste Solarmodule zu verwenden. Abweichungen vom Standardformat nahm man für das Demonstrationsprojekt bewusst in Kauf, sie haben aber ihren Preis (vgl. «Kosten und Lebensdauer», Kasten unten): «Die Solarfassade kostet doppelt so viel wie eine Metall­hülle. Auch der Planungsaufwand für die PV-Variante steigt», berichtet ZSW-Projektleiter Dieter Geyer an der Konferenz «Advanced Building Skins» in Bern.1

Unsere solare Architekturreise führt uns in den Kursaal zu Bern, wo im Oktober 2017 mehrere hundert Forscher, Architekten, Baufachleute und Manager über Gebäudehüllen fachsimpelten. Die meisten Präsentatio­nen enthielten verspielte bis verrückte Skizzen sowie mutige Entwürfe für die solare Zukunft des Gebäudeparks. Der Hauptsitz der Regionalbehörde im franzö­sischen Rouen versteckt sich hinter einem Vorhang aus buntem Photovoltaikglas. Oder ein silberner Solarflügel umkreist die kugelförmige Cité musicale mitten in Paris. Ob schrill, ruhig, kontrastreich oder dezent: An schwarz glänzender Photovoltaik ist niemand mehr interessiert. Vielmehr gewinnt die Debatte um das Design von gebäudeintegrierter Photovoltaik an Fahrt. Neue, ebenso wichtige Überlegungen tauchen auf: «Soll die Photovoltaik erkennbar sein, oder will man sie lieber kaschieren?», fragt Christian Renken, Mitorganisator der Konferenz in Bern.Wie aber gehen Architekten vor, um eigene Entwürfe, etwa für künftige Projektwettbewerbe, zu realisieren? Werden sie selbst zu Forschern und Mitentwicklern von Solarbauten der nächsten, architektonisch befriedigerenden Generation?

Photovoltaikmodule gestalterisch seziert

Tatsächlich sind Demonstrationsprojekte eine gute Gelegenheit, um Photovoltaik-Formate frei von Leistung oder geografischer Ausrichtung auszuprobieren und von der Zusammenarbeit mit Hochschulen zu profitieren. Wir besichtigen ein weiteres Bürogebäude mit Solarfassade, das Resultat des EU-Forschungsprojekts «Con­structPV»2 – zufällig ebenfalls in Stuttgart. Die niederländischen Designer vom United Network Studio sowie Akademien und Hersteller auch aus der Schweiz haben daran mitgewirkt. Der gestalterische Ansatz beruht auf Eingriffen in die Anatomie eines PV-Kristallinmoduls. Denn nicht nur die Glasabdeckung, auch die inneren Schichten können unabhängig voneinander in Geometrie, Farbe und Oberflächenbeschaffenheit modifiziert werden. Selbst die kristallinen Zellen lassen sich in einem Modul asymmetrisch komponieren.

Der Besuch von Labors, Zukunftswerkstätten und Schaufassaden geht zu Ende. Wie sieht die Realität im Alltag aus? Wie gut kann die Industrie Gestaltungswünsche erfüllen? Ist die Photovoltaik bereits frei wählbare Architektur? Antworten suchen wir an einem Ort, an dem der Planer bereits weiss, wie das nächste Gebäude mit energieaktiver Glasfassade aussehen wird, das Produkt dazu aber in keinem Katalog zu finden ist. Erste Farbmuster für ein Mehrfamilienhaus, das das Architekturbüro Viridén + Partner bis 2019 realisieren will, liegen auf dem Bürotisch; die erhofften Farbtöne aber noch nicht. «Hersteller sind an der Zusammenarbeit sehr interessiert; auch Sonderwünsche sind willkommen», hat Karl Viridén erfahren. Dass ein Lieferant in dieser jungen Branche äusserst kurzfristig ausfallen kann, gibt es wohl. Doch Ersatz kann mittlerweile fast ein halbes Dutzend Firmen aus der Schweiz und Europa bieten. Photovoltaik-Fassadensysteme gelten als hochwertige Produkte, mit denen sich die Branche in Europa vom weltweiten Massenmarkt abheben kann.

Puzzle aus ungewohnten Komponenten

Worauf Architekten bevorzugt achten, ist die Homo­genität von Optik und Oberfläche der neuartigen Solar­module. Der Zusatzaufwand und der Klärungsbedarf weiten sich über die visuelle Qualität auf Statik und Geometrie einer Solarfassade aus. Danach beginnt ein grosses Puzzlespiel, weil vom Entwurf bis zur Ausführung neue technische, konstruktive Komponenten zu berücksichtigen sowie unbekannte Lieferketten zu überwachen sind: Wer baut die Module ein? Wie sorgt man dafür, dass jedes Fassadenelement reversibel gehängt und ersetzt werden kann? Oder wo werden kilometerlange Kabel und Dutzende Elektrogeräte im schmalen Hinterlüftungsraum versteckt?

Photovoltaikhüllen sind im Prinzip eine Untervariante der Vorhangfassade mit Glas- oder Metallabdeckung. Unterkonstruktion, Befestigung und Wetterbeständigkeit basieren daher auf bewährten Standards. Neuland sind dagegen die unzähligen Kabelan­schlüsse; ebenso erhöhen sich die Anforderungen an Brandschutz und Tragstruktur. Angesichts der vielen Schnittstellen sind neue Abläufe zu finden. Verbesserungswürdig ist auch die Projektabwicklung. Gemäss Solarplaner Christian Renken hat sich die Photovoltaikbranche ein adaptives Vorgehen angewöhnt: Solar­dächer werden nachträglich installiert, weshalb die Fachplanung fliessend einsetzen kann. «Für Photovoltaikfassaden passt diese Praxis nicht mehr; gestalterische und konstruktive Ansprüche lassen sich nur erfüllen, wenn sie in genau definierten Leistungsphasen einfliessen.»

Der Wandel von Adaption zu Integration ist daher nicht nur konstruktiv anzustreben: Zur besseren Kombination von Photovoltaik und Architektur braucht es eine integrative Planungsstrategie. Karl Viridén hofft dabei, dass sich Architekten selbst stärker einbringen, weil sie prädestiniert sind, ein derart komplexes Gesamtpaket zu überblicken. Allerdings seien Gestalter gefragt, die sich für die ganze Planungskette «vom Entwurf über die Konstruktion bis zur Ausführung ver­antwortlich fühlen». Solarfachmann Renken erwartet ­hingegen, dass die gebäudeintegrierte Photovoltaik vermehrt Teil einer eigenen Fachplanung wird. Es werden bald also nicht mehr nur Architekten bestimmen, wie bunt oder angepasst die solare Architektur in Zukunft aussehen soll.

Anmerkungen
1 Tagungsband 12th Conference on Advanced Building Skins; Advanced Building Skins GmbH 2017.
2 Mosaic Modules for Improved Design Options in Building Integrated Photovoltaic Modules; EU-Project Construct PV; Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems ISE, UNStudio, Züblin Zentrale Technik, ­Stuttgart 2016.

Weitere Informationen
Schweizer Kompetenzzentrum BiPV (Gebäude- und Produkteliste): www.bipv.ch
Solardatenbank, ETH Zürich: www.buk.arch.ethz.ch/Solardatenbank/Solardatenbank


Kosten und Lebensdauer

Die Kosten für Solarfassaden sinken: Vor gut zehn Jahren waren sie drei- bis viermal höher als für vorgehängte Metallfassaden. Inzwischen sind markt­übliche Photovoltaiksysteme nur noch 50 bis 100 % teurer. Für die Rentabilitätsberechnung ist aber nicht allein die Zusatzinvestition relevant; zu berücksichtigen gilt es ebenso den Energieertrag, der seinerseits von der Leistung der Photovoltaikfassaden abhängig ist.

Herkömmliche Gebäudehüllen sind für eine Lebensdauer von 40 Jahren konzipiert. Für Solarmodule wird eine Laufzeit von 25 Jahren garantiert. Wie dauerhaft eine Solarfassade wirklich ist, wird auch durch den konstruktiven Aufbau bestimmt. So kann es im Hinterlüftungsraum bis zu 80 °C warm werden, weshalb die passive Kühlung respektive das Abführen der Abwärme zwischen Rohbau und PV-Hülle wesentlich ist. Das Labor für Photovoltaiksysteme der Berner Fachhochschule führt langjährige Messprogramme zur Analyse von Dauerhaftigkeit und Wirkungsgrad an mehreren gebäudeintegrierten Anlagen durch. (Paul Knüsel)


Solar-Design-Boom

Grundsätzlich ist bei farbigen Photovoltaikmodulen ein Kompromiss zwischen Farbton und Lichtdurchlässigkeit zu finden. Die Gestaltbarkeit nimmt zwar zu; Design und Leistung können sich daher gegenseitig in die Quere kommen. Trotzdem sind in vielen europäischen Ländern öffentliche und halbprivate Forschungsstätten daran, die Gestaltungsvielfalt der Photovoltaikmodule zu erhöhen. Für Aufsehen sorgt u. a. das niederländische Forschungszentrum für erneuerbare Energie ECN mit dem «Dutch Solar Design»: Die Glasober­flächen ähneln optisch einer Backsteinwand respektive verfügen über ein ­glitzerndes Muster.

Derweil haben CSEM und Uni­ver­sität Neuenburg ein Druckverfahren für Abdeckgläser entwickelt, das hochaufgelöste Bilder möglich macht (vgl. «Schaufassade für die Forschung», TEC21 11/2016). Und das Labor für ­So­lar­energie und Bauphysik an der EPFL hat ein «Ver­färbungs»-Verfahren erfunden, das die Farbpigmentierung durch einen Lichtinterferenzprozess an der Glasoberfläche ersetzt, mit gerin­gerer Leistungseinbusse als bei einer Farb­abdeckung. (Paul Knüsel)

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