Das Auge von Minergie
Die meisten Gebäudelabels setzen einen Energienachweis voraus, der auf Planungsdaten beruht. Der populärste Standard der Schweiz schaut neu auch bei der Ausführung über die Schulter.
Trägt man Klischees über Minergiebauten zusammen, stünde das Einfamilienhaus aus Holz in ländlicher Umgebung an erster Stelle. Objekt SH-2536 in Rheinklingen ist genau ein solcher Fall. Trotzdem wird diese Beschreibung dem Wohnhaus, das das Schaffhauser Architekturbüro von Peter Sandri letztes Jahr realisiert hat, bei Weitem nicht gerecht. Die klassische Hausform leitet sich im Wesentlichen vom Standort ab; der zweistöckige Neubau mit Giebeldach ist nun Teil eines geschützten Ortsbilds.
Vor allem aber zeichnet sich das Gebäude mit dem Standard Minergie MQS Bau aus, als erstes in der Schweiz überhaupt. Die Erweiterung des bestehenden Zertifizierungsverfahrens betrifft insbesondere den Kontroll- und Dokumentationsaufwand. Vor Ort zu prüfen sind die Bauprodukte und die Ausführungsstandards; ebenso gehört die Inbetriebnahme und die Instruktion der gebäudetechnischen Anlagen dazu. Wie bisher wird das Gebäudezertifikat nach Bauabschluss übergeben; ein Zusatz «MQS Betrieb» zur Überprüfung der Betriebsqualität ist ebenfalls in Vorbereitung.
Zurück zum Pilotprojekt im Kanton Schaffhausen: Das Wohnhaus mit Blick auf den Rhein passt sich in eine enge, abschüssige Parzelle und ist aus vorgefertigten Holzelementen zusammengesetzt. Bei den erweiterten Baustellenkontrollen ist man hierzu auf keine böse Überraschung gestossen: «Die industrielle Fertigung kann die hohen Qualitätsanforderungen problemlos erfüllen», so Sandri. Dagegen ist unter den angelieferten Fenstern eine fehlerhafte Charge entdeckt worden: Die Verglasung entsprach nicht den bestellten Eigenschaften; sie konnten noch vor dem Einbau ausgetauscht werden.
Nicht nur Minergiehäuser haben eine vielfältige Palette von Ansprüchen und Normen zwingend zu erfüllen, etwa zum sommerlichen Wärmeschutz oder zur Dämmung von Heizungsrohren und Lüftungskanälen. Peter Sandri bezeichnet das MQS-Label deshalb als generell vorteilhaft, weil auf einer Baustelle sonst viele Mängel schnell übersehen werden. «Die Checklisten helfen, auch nicht Minergie-relevante Fehler aufzudecken» – und verbessern den Qualitätsstandard bei der Schlüsselübergabe an die Bauherrschaft. Die Betriebswerte sämtlicher technischer Gewerke sind nun im Sinn eines Garantiescheins dokumentiert. Architekt Sandri hat das Wohnhaus am Rhein bewusst als Pilotprojekt angemeldet, um eigene Erfahrungen bei überblickbarem Projektumfang sammeln zu können. Erwartet wird jedoch, dass der Qualitätsausweis Minergie-MQS künftig bei grossen Bauprojekten stärker nachgefragt wird.
Positive Marktbefragung
Dies hat nämlich eine Marktstudie zur Erweiterung des Gebäudestandards ergeben: Ein Überprüfen der Ausführungsqualität wird im Segment der Mehrfamilienhäuser von Architekten, Planern und Bauherrschaften wohlwollend begrüsst. Die Studie haben Wissenschaftler der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau (BFH) im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE und des Vereins Minergie durchgeführt.
Ein knappes Drittel der Befragten gab ein positives Feedback für eine Einführung des Minergie-Qualitätssystems MQS ab. Dafür spreche unter anderem, dass die Diskrepanz zwischen Planung und Ausführung vermieden werde, sowie eine optimierte Inbetriebsetzung der Haustechnik. Dagegen stünden die Mehrkosten und der Zeitaufwand, so die Einschätzung eines weiteren Drittels der befragten Baufachleute. Architekt Sandri widerspricht aus eigener Erfahrung: «Wir sind nicht häufiger auf die Baustelle gegangen als zuvor. Dank den Prüfanleitungen haben wir aber genauer hingeschaut.»
Am Bau Beteiligte
Architektur
Sandri Architekten, Schaffhausen
HLKS-Planung
EnConsult Ingenieure, Schaffhausen
Holzbau
Norm Holz Bau, Ramsen
Tragwerksplanung
Ing. Büro Locher, Siblingen