Ästhe­tik ver­sus Nu­tzen

Das Viadukt Mühle Rickenbach bei Wil SG wurde 1964 nach Plänen von Christian Menn gebaut. Bis 2020 wird die Spannbetonbrücke ­instand gesetzt, verstärkt und verbreitert.

Data di pubblicazione
07-06-2019

Eine Spannbetonbrücke, Korrosionsschäden, eine Instandsetzung. Nahe der Autobahnausfahrt Wil SG überquert das Viadukt Mühle Rickenbach Strassen und Gewässer. Auf den ersten Blick nichts Überraschendes, und doch fällt im Anfangssatz des technischen Berichts auf, dass der Planer der Brücke namentlich genannt ist: Das Viadukt wurde 1964 nach Plänen von Prof. Dr. Ch. Menn gebaut, heisst es dort. Es war damit eines seiner frühesten Werke. «Die Konstruktion ist sehr schlank und elegant und zeigt die typische materialsparende Bauweise der damaligen Zeit», sagt Sandro De Luca, Projektleiter und Oberbauleiter des Kantons St. Gallen.

Tragende Teile verstärken

Eine umfangreiche Untersuchung im Jahr 2012 zeigte den schlechten Zustand der Brücke. Vor allem in die Gerbergelenke drang chloridhaltiges Wasser ein, was zu Bewehrungskorrosion und infolgedessen zu Betonabplatzungen führte. Das Viadukt muss dringend ­instand gestellt werden. Das sah auch Christian Menn so. In einem Interview mit TEC21 sagte er einmal: «Ein Eingriff in ein Bauwerk wird dann notwendig, wenn die Funktionalität nicht mehr gewährleistet ist – sei es aufgrund der Geometrie, der ungenügenden Trag­sicherheit oder von Mängeln mit Schadenfolgen.»

Mehr zum Thema Christian Menn gibts im Dossier.

Wichtigste Vorgabe bei der aktuellen Instandsetzung in Wil: Das Befahren der Brücke im Gegenverkehr – rund 21 000 Fahrzeuge täglich – muss während der Bauzeit und künftig möglich sein. Deshalb wird die Brücke beidseitig um je 70 cm auf insgesamt 12.30 m verbreitert. Eine längere Vollsperrung, Umfahrung oder sonstige Alternativen gab es nicht. Die Verbreiterung der drei Fahrspuren wird im Endzustand den Forderungen für Kantonsstrassen entsprechen.

Infolge der Mehrlast und der notwendigen Dimensionierung auf Verkehrslasten gemäss SIA 269 (2011) mussten die Längsträger verstärkt werden. Hierzu wurde an den Innenseiten der Stege jeweils ein zusätzliches Vorspannkabel eingebaut. Ausserdem wurden bereits im Herbst/Winter 2017/2018 die Stützenfundamente verbreitert und teilweise mit Mikropfählen verstärkt.

Gerbergelenke eliminieren

Die beiden hoch beanspruchten Gerbergelenke beim Einhängeträger waren in einem besonders schlechten Zustand. «Wir haben uns entschieden, den Einhängeträger monolithisch mit dem Träger zu verbinden. Bei anderen Brücken haben wir den Einhängeträger auch schon ausgetauscht. Das wäre hier aufgrund der Vorgabe ‹Bauen unter Verkehr› nicht möglich», sagt de Luca.

Die Fuge wurde ausinjiziert, die Teilstücke der Fahrbahnplatte zusammenbetoniert und die Trägerstege auf der Innen- und Aussenseite mit vorgespannten Betonscheiben ergänzt bzw. verstärkt. So wurde die Brücke zu einem Durchlaufträger über sechs Felder. Mit dem Fugenschluss wurden zudem potenzielle Schwachstellen wie Undichtigkeiten in der Gerbergelenkfuge beseitigt und die Erdbebensicherheit verstärkt. Die Dauerhaftigkeit und die Redundanz des Tragwerks werden erhöht. Allerdings verändert sich durch die monolithische Verbindung der einzelnen Tragwerkselemente nun das statische System. Die Bewegungen aus Temperaturdifferenzen sind über die ganze Brückenlänge zu berücksichtigen und müssen bei den Wider­lagern aufgenommen werden. Deshalb werden die bestehenden Fahrbahnübergänge ausgebaut und durch Gleitfingerübergänge ersetzt.

Eleganz behalten

Die Verantwortlichen sind sich bewusst, welcher berühmte Bauingenieur die Brücke entworfen hat, doch die tägliche Baustellenarbeit beeinflusst dieses Wissen nicht. Hier geht es vor allem darum, die Probleme, die die damalige Bauweise mit sich bringt, normgerecht und technisch einwandfrei zu lösen – das heisst, die geringe Bewehrungsüberdeckung zu reprofilieren oder alten Beton mit neuem möglichst kraftschlüssig zu verbinden.

Bauwerk modernisieren

Unter Denkmalschutz steht das Viadukt Mühle Rickenbach nicht. «Wir bauen aber trotzdem im Sinn der Brücke», sagt Marcel Eisenring, Projektleiter beim Kanton St. Gallen und örtlicher Bauleiter. Das ist wiederum entspricht der Vorstellung von Christian Menn, der die Meinung vertrat, man solle den Projektverfasser, falls er noch lebt, bei einer Anpassung beiziehen und seine Erfahrungen nutzen. «Aber auch wenn er tot ist, sollte ihn jemand gleichsam vertreten.»

«Natürlich werden die Massnahmen der Brücke ein neues Aussehen geben», sagt Eisenring. Die Brücke werde aber auch nach Abschluss der Bauarbeiten im Sommer 2020 ein elegantes Bauwerk sein. Dann jedoch modernisiert und aktualisiert in die Gegenwart transferiert.

Bauherrschaft: Kanton St. Gallen

Planungsbüro: Edy Toscano, Winterthur

Unternehmung: Strabag, Schlieren

Brückenlänge: 257 m

Spannweiten: 34/42/57/48/42/34 m

Breite bisher/neu: 10.90 m/12.30 m

Stützenhöhen: 8.94/15.04/16.33/17.16/11.25 m

Planung: 2014–2017

Bauzeit: Herbst 2017–Sommer 2020

Dieser Artikel ist erschienen in
TEC21 22-23/2019 «Chris­ti­an Menn (1927–2018)»

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