«Was Ar­chi­tek­tur sein kann»

Welches sind die spannendsten, engagiertesten, innovativsten Nachwuchsbüros der Schweizer Architektur? Welche Themen beschäftigen sie? Seit 2010 wird der Förderpreis «Foundation Award» an frisch gegründete Büros vergeben. Zwei Jurymitglieder im Gespräch.

Data di pubblicazione
30-05-2024

Es ist nicht einfach, in der Architektur­szene Fuss zu fassen. Bauaufgaben sind vielschichtig und komplex, Netzwerkarbeit braucht viel Zeit und der finanzielle Druck ist spürbar. Dabei leisten gerade neu gegründete, ambitionierte Büros wertvolle Beiträge zum Architekturdiskurs.

Seit 2010 wird der Foundation Award an mindestens drei Schweizer Architekturbüros vergeben, deren Gründung nicht mehr als vier Jahre zurückliegt. Die Auszeichnung soll den Architekturschaffenden helfen, auf die Bildfläche der Schweizer Architektur­szene zu rücken. Initiantin und Ausloberin des Preises ist die Softwarefirma ComputerWorks.

Pascale Bellorini, Architektin und Mitglied der diesjährigen Jury, begleitet als Dozentin an der HSLU Architekturstudierende in ihren Entwurfsarbeiten. Philippe Jorisch, ebenfalls Architekt und Jurymitglied, war zwei Jahre an der ETH als Entwurfsassistent tätig und wurde 2016 zusammen mit seinen Büro­partnern mit dem Foundation Award ausgezeichnet.


Frau Bellorini, Herr Jorisch, Sie beide mögen den Austausch mit dem Nachwuchs der Branche. Was beschäftigt denn angehende Architektinnen und Architekten heute?

Pascale Bellorini: Aus meiner Sicht stehen für die jungen Kolleginnen und Kollegen wieder vermehrt Fragen zur gesellschaftlichen Relevanz unseres Metiers im Vordergrund. Dem Dialog und der Vermittlung von Architektur und Baukultur wird mehr Aufmerksamkeit zuteil, was sehr erfreulich ist. Zudem ist es offensichtlich, dass die drängenden Herausforderungen der Gegenwart – der Klimawandel und die damit verbundene Forderung nach mehr Nachhaltigkeit in der Baubranche – ernst genommen werden und ihren Niederschlag in den Projekten finden. Die Beschäftigung mit handwerklicher Tradition und Qualität scheint gegenüber einer «oberflächlichen Reproduktion von Bildwelten» Oberhand zu gewinnen. Das sind allesamt Beobachtungen, die uns im Hinblick auf die Zukunft unseres Fachs sehr zuversichtlich stimmen sollten!

Philippe Jorisch: Junge Architektinnen und Architekten wollen eine Antwort darauf finden, wie man die Architektur vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen sehen soll – und darf, wobei die sozialen Aspekte des Zusammenarbeitens im Mittelpunkt stehen. Es ist eine starke Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Rolle der Architekturschaffenden und das Berufsbild neu definiert werden können. Die Eingaben für den Foundation Award 2024 zeigen, dass bereits am Anfang der Laufbahn ein hohes Bewusstsein vorhanden ist. Heute ist ein allgemein breiteres Verständnis dafür erkennbar, was Architektur sein kann und wie man diese Auffassung in den Diskurs einbindet. Architektinnen und Architekten stehen nicht nur in Wechselwirkung mit der Gesellschaft, sondern auch mit anderen Diszi­plinen. Haltungen sind differenzierter, spezifischer und ausgereifter als noch vor zehn Jahren.

Hier finden Sie mehr Informationen zu den Nominierten und Siegerprojekten des diesjährigen Foundation Awards

Die jungen Büros hinter den eingereichten Dossiers wollen ihren Platz in der Schweizer Architektur­szene finden. Wie sind Sie den Beurteilungsprozess angegangen?

Bellorini: In erster Linie interessierten uns die jeweiligen Büroprofile. Wir beurteilten die Haltung der Büroinhaberinnen und -inhaber anhand der eingereichten Projekte. Dabei wollten wir als Jury herausfinden, ob sich ihre Haltung in der Arbeit wiederfindet, die sie zur Beurteilung eingereicht haben. Wichtig ist, dass es zwischen dem, was sie anstreben, und dem, was sie in ihren Arbeiten dokumentieren, keine Diskrepanz gibt. Ist es ein Beitrag zu einer zukunftsfähigen Baukultur? Daran werden wir täglich gemessen. Und daran müssen wir auch unseren Nachwuchs messen.

Die Herausforderung besteht immer darin, allen gerecht zu werden: Betrachten wir alle Projekte mit der nötigen Aufmerksamkeit? Bringen wir ihnen eine angemessene Wertschätzung für ihr Engagement ent­gegen? Im Team kann man sich aufteilen und später wieder zusammenfinden, um die Argumente in der Diskussion zu schärfen. Letzten Endes legt man den Weg als Jury immer gemeinsam zurück, und das ist jedes Mal eine schöne Erfahrung.


Was zeichnet die Nominierten und Gewinner des diesjährigen Foundation Awards aus?

Bellorini: Ein fundiertes Handwerk, eine gros­se Begeisterung für das, was sie tun, und eine sehr sorgfältige Herangehensweise. Es ist wichtig zu erkennen, dass junge Architektinnen und Architekten ihren Job mit der nötigen Verantwortung wahrnehmen, in die Zukunft denken und sich bewusst sind über die aktuellen Herausforderungen, die unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten meistern muss.

Jorisch: Sämtliche Projekte sind sehr bedacht auf ihre Wirkung in Bezug auf die Gesellschaft. Heute gilt es als selbstverständlich, dass man über den Tellerrand hinausdenkt. Auf der einen Seite stelle ich fest, dass junge Architektinnen und Architekten mehr Internationalität in ihre Arbeiten einfliessen lassen. Das erkenne ich sowohl in der Lehre als auch in einer grossen Anzahl der eingereichten Arbeiten. Auf der anderen Seite gab es Dossiers, die handfest und lokal verankert sind. Diese grosse Bandbreite an Eingaben hat mich sehr erfreut.


Die Eingaben zum diesjährigen Foundation Award haben Sie überzeugt. Sie führen inzwischen beide ein etabliertes Architekturbüro. Worauf legen Sie in Ihrer Überzeugungsarbeit besonders Wert?

Bellorini: Ein wichtiger Aspekt unseres Berufs ist die erfolgreiche Vermittlung unserer Ideen, damit die Qualität der Architektur entsprechend angenommen wird. Bei Projekten, die noch nicht gebaut sind, soll eine gewisse Zustimmung stattfinden, damit sie eine Realisierungschance erhalten. Das ist es, was beispielsweise das Siegerprojekt in der Kategorie «Ungebaut» auszeichnet: das persönliche Engagement im Sinne der Baukultur.

Jorisch: Am Ende des Tages ist die Qualität der Projekte nach wie vor das übergeordnete und entscheidende Kriterium. Die Eingaben zeigen, dass eine Öffnung der Architekturdisziplin funktioniert, ohne dass ihre Qualität darunter leidet.

Foundation Award 2024

 


KATEGORIE «GEBAUTES PROJEKT»


Umbau Arbeiterhaus, Winterthur
steigerspielmann, Luzern (Auszeichnung)


Umbau Mehrfamilienhaus Zürcherstrasse, Uitikon-Waldegg
Lengen Hajdarevic, Zürich (Nominierung)


2007 Zolli, Zollikon
Alias architects, Zürich (Nominierung)


Ateliers für Maison Shift, Zürich
squadra, Zürich (Nominierung)

 


KATEGORIE «UNGEBAUTES PROJEKT»


Sankt Galler Spitzen: Zentrum für Baukultur Ostschweiz (ZfBK), St. Gallen
Studio Romano Tiedje, St. Gallen (Auszeichnung)


Second Breakfast, Yvonand
detritus., Lausanne (Nominierung)

 


KATEGORIE «INNOVATION»


Oracle, Lausanne; Water Purification Plant, Rio de Janeiro
Michel Kessler +, Zürich (Auszeichnung)


A Fish Odyssey, Lago di Lugano
Horkulak Kellner König, Zürich (Nominierung)

JURY

 

Judit Solt, Architektin und Chefredaktorin TEC21


Pascale Bellorini, geschäftsleitende Inhaberin Bellorini Architekt:innen, Bern


Philippe Jorisch, Gründungspartner von JOM Architekten, Zürich, Gewinner Foundation Award 2016


Mehr zum Foundation Award: www.foundation-award.ch

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