Ei­ne Trep­pe zum Him­mel

Neubau Hochhaus Regensbergbrücke, Zürich; Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Über das 1960 errichtete Dreischeibenhaus in Düsseldorf sagte Helmut Jahn: «Das ist so interessant und markant, das wird nie aus der Mode kommen.» Nun scheint Zürich sein eigenes zu erhalten: nicht ganz so hoch, elegant und ikonisch, nicht ganz so ­konsequent in der Materialwahl, aber mit ähnlichen Grundrissen und glänzenden Stirnseiten.

Data di pubblicazione
07-11-2024

Die SBB besitzt eine Reihe an Grundstücken entlang ihrer Gleise, deren Bebauung erst in den letzten zwei Jahrzehnten zum Thema geworden ist. Mit dem neuen Hochhaus an der Regensberg­brücke möchte die Auftraggeberin künftig zum Rahmenplan um den Bahnhof Zürich-Oerlikon beitragen. Sie wünscht sich ein «gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch attraktives» Gebäude mit einer Misch­nutzung aus Büros, Raum für Bildung, Gesundheit, Gastronomie und Retail. Eine Flexibi­lität, von der sich viele potenzielle Mieter angesprochen fühlen, soll ver­eint werden mit einem an­sprech­en­den Aussenraum und ökologisch nachhaltig entsiegelten Bodenflächen, Stichwort Schwamm­stadt.

Bereits in einem früheren Beitrag (vgl. TEC21 25/2023, «50 % Wohnen + 50 % Arbeiten = 100 % Leben?») sprach ich vom «Erfolgsrezept Neu-­Oerlikon» und erwähnte, dass die Gebietsentwicklung als Erfolg zu werten sei. Dieser resultiere aus erheblichen Energien und Ressourcen, die in die kulturelle Versorgung gesteckt würden. Nun sollen diese Überlegungen beim selektiven Projektwettbewerb um die Bebauung des Baufelds Südwest zwischen Frank­linturm und Regensbergbrücke weitergeführt werden. Hinsichtlich der Büronutzung stellt sich dennoch die Frage, ob es wirklich noch mehr Quadratmeter für Dienstleistende braucht; stehen doch im ­Norden Zürichs immer mehr Büro­flächen leer.

Zehn geladene Generalplaner-Teams stellen sich der sichtbar schwierigen Aufgabe. Das Betrachten der rangierten Entwürfe fühlt sich an wie ein Spaziergang durch die architektonischen Stilepochen. Beginnend in den 1960er-­Jahren werde ich in die 70er geführt, weiter in die 90er und zurück in die 80er. Habe ich etwas vergessen? Schauen Sie selbst.

«Ein Schiff wird kommen»

Es fällt auf, dass Scheibenstrukturen, rhomboidartige Grundrisse oder Kombinationen aus beiden die Anforderungen auf dem Grundstück am besten zu erfüllen scheinen. Zumindest weicht keines der rangierten Projekte stark von diesen Formen ab. Als Zweites stechen einem – und das ist vielerorts bei Neubauten zu beobachten – die vielen runden Fenster ins Auge; ein Phänomen, das doch eigentlich zum Ende der Postmo­derne als unpraktisch und formalistisch abgetan wurde.

Beim zweitrangierten Projekt «Rägebögli» versieht das Team um das Zürcher Büro Enzmann Fischer Partner gleich den ganzen Sockel mit axial schwenkbaren Bullaugen. Auch die schmale, sonst geschlossene Stirnseite wird damit in Manier des nun abgerissenen Nakagin Capsule Towers in Tokio geschmückt. Weiter vermitteln runde Gucklöcher in den Zwischenwänden das Gefühl, sich im Innern eines Schiffs zu befinden. Die Jury bemängelt aber die inkonsequente Weiterführung der Innovationskraft in Bezug auf Nachhaltigkeit, wie den Einsatz von Photovoltaik und rezyklierbaren Bau­materialien, auf die Nutzbarkeit der ausformulierten Fassade im Innern. Die in grossen Teilen geschlossene äussere Erscheinung resultiert in einer abweisenden Wirkung gegen den Stadtraum.

Der «Soul Train» des Teams um Boltshauser Architekten beschwingt uns mit einer industriell anmutenden Fassade auf einem Zweischeibensystem. Auch dieser Zug möchte nicht ohne Rundfenster auskommen. Das aus drei Schichten entwickelte Gebäude zeigt sogar noch mehr Parallelen zum Nakagin Tower als das «Rägebögli». Die erste der recht massiven Scheiben schwebt über den Gleisen, die zweite steht auf dem soliden Sockel. Beide sind durch eine schmale Erschliessungsfuge verbunden, die stirnseitig mit den besagten Rundfensterelementen abschliesst. Erschliessung, Gestaltungsaufwand und Aussenraum konnten die Jury aber nicht vollends überzeugen. Aus­serdem wird durch die auf Strassenniveau abgesenkte Scheibe die Chance verpasst, sich zum Strassenraum hin zu öffnen und so vor allem für kommerzielle Einrichtungen anziehend zu wirken.

Ganz ohne Bullaugen kommt der Entwurf des Zürcher Büros Karamuk Kuo daher. Dafür vergleicht die Jury die Einbettung des Gebäudes im Gelände mit dem Andocken eines Schiffs. Ohne maritime Vergleiche geht es wohl doch nicht. Während die Konzeption des Aussenraums gelobt wird, misslingt die Darstellung des «üppigen Grüns» in der Visualisierung und verliert so an Überzeugungskraft. Zudem scheint mir, dass die CO²-Bilanz eher rechnerisch als gesamtkonzeptionell balanciert wird. Die Jury lotste das «gedrungene Volumen», das «an den Schmalseiten über Faltungen vertikalisiert» wird, auf den dritten Rang.

«Goin’ to Oerlikon»

Was macht «Led Zeppelin» zum besten Entwurf des Projektwettbewerbs? Der Jury gefällt das «spannungsvolle Gleichgewicht», das das Team um Esch Sintzel erreicht, indem es seinen Bau zwischen zwei Welten vermittelnd sowohl in den Gleisraum als auch in den Stadtraum auskragen lässt. So werden die unterschiedlichen Niveaus bereits im Sockel aufgefangen. Anstelle von Vordächern heben die Planenden die an die Mittelscheibe angesetzten Volumen vom Boden ab. Die so entstehenden Auskragungen formulieren eine wetter­geschützte Vorzone für die Erd­geschossnutzungen.

Die Struktur im Innern organisiert sich um einen zentralen Kern, der durch zwei tangentiale Korridore die Ausläufer des langgestreckten Grundrisses bedient: Eine clevere Lösung, um möglichst viel Nutzfläche zu generieren. Das ausgeklügelte Tragsystem aus Stahl und Holz ermöglicht eine flexible Umstrukturierung. So sieht die Jury das Gebäude als einen «selbstbewussten Solitär», der einfach und verständlich die Forderungen erfüllt – städtebaulich, freiraumplanerisch, ökonomisch und ökologisch.

Die Überzeugungskraft des Vorschlags liegt meines Erachtens primär in der Erfüllung der Ansprüche an Ökonomie und Ökologie. Wenngleich die Gestaltung des Aussenraums hohes Lob findet, wird der Einsatz von Holzkonstruktion und PV-Modulen hinter einer Form versteckt, die nicht gerade vor Innovation sprüht, sondern eine Mischform altbekannter Designelemente vergangener Jahrzehnte beschreibt: Fensterbandfassaden, halbtransparentes Glas, ein Flatterdach, das den Gebäudeabschluss nach oben nicht sehr markant formuliert.

Sind die ausgezeichneten Entwürfe wirklich geprägt von Formen und Räumen, die diesen Ort zu einem Anziehungspunkt werden lassen? Wird in der Wettbewerbs­ausschreibung etwas gefordert, das lediglich in derartigen Formen gelöst werden kann? Vielleicht sind die gesetzten Parameter für die Bebauung des Grundstücks fragwürdig. Vielleicht ist das Volumen zu niedrig oder die Ausnützung zu hoch? Oder ist es einer gewissen Mutlosigkeit geschuldet, die die Kreativität von Büros zurückhält, deren Bauten sich normalerweise durch Innovation und Wegweisung auszeichnen?

Natürlich hatte Helmut Jahn recht mit seiner eingangs erwähnten Aussage zum Düsseldorfer Dreischeibenhaus und sie ist wohl auch auf die Rocklegende Led Zeppelin anwendbar. Aber grosse Stadien füllt heute Taylor Swift und nicht die Coverband einer Ikone der 1970er-Jahre. «Led Zeppelin» (das Siegerprojekt, nicht die Band) ist aber genau dies: ein Ausruhen auf altbekannten, funktionierenden Herangehensweisen. Man legt die Platte gerne mal wieder auf und wippt mit zu «Stairway to heaven». Die Massen bewegt aber «Shake it off». Ob man das nun mag oder nicht.

Den Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Projekte im dritten Rundgang

1. Rang: «Led Zeppelin» 
Esch Sintzel, Zürich; Studio Céline Baumann, Basel; EBP Schweiz

2. Rang: «Rägebögli» 
Enzmann Fischer Partner, Zürich; Skala Landschaft Stadt Raum, Zürich; HKP Ingenieure, Zürich; Wirkungsgrad Ingenieure, Rapperswil-Jona; Boess + Partner, Zürich

3. Rang: «Regi» (ex aequo)
Karamuk Kuo, Zürich; Archobau, Zürich; Eder Landschaftsarchitekten, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich; Wald­hauser + Hermann, München­stein; IBG Engineering, Winterthur; Schmutz + Partner, Olten / Basel

3. Rang: «Soultrain» (ex aequo)
Boltshauser Architekten, Zürich; manoa landschaft, Meilen; Seforb, Uster; Balzer Ingenieure, Winter­thur; Mettler + Partner, Zürich

3. Rang: «Gem» (ex aequo)
10:8 Architekten, Zürich; Drees & Sommer Schweiz; planikum, Zürich; Dr. Lüchinger Meyer, Zürich; Pirmin Jung Schweiz; J. Willers Engi­neering; Zürich

Fachjury

Ursula Hürzeler, Architek­tin, Basel (Vorsitz); David Leuthold, Architekt, Zürich; Felix Krüttli, Architekt, Zürich; Carola Antón, Architektin, Zürich; Anouk Trautmann, Amt für Städtebau; Gian-Marco Jenatsch, Amt für Städtebau (Ersatz)

Sachjury

Markus Siemienik, SBB Immobilien, Leiter Anlageobjekte Ost; Barbara Zeleny, SBB Immobilien, Leiterin Anlageobjekte Entwicklung Urban; Thomas Rinas, 
SBB Immobilien, Gesamt­projektleiter (Ersatz)

Philipp Funke ist Architekt und Fotograf und analysiert architektonische Inhalte sowohl auf formaler als auch auf politischer und gesellschaft­licher Ebene. Er schreibt als freier Autor für TEC21 und andere Fachzeit­schriften.

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