Klu­ge Bo­den­po­li­tik

Armon Semadeni Architekten und Michael Meier Marius Hug Architekten: Wohnhaus, Winterthur ZH

Ein junger Architekt durfte einen der letzten Obstgärten in Oberwinterthur überbauen. Die Stadt hatte dafür gesorgt, dass ein Wettbewerb durchgeführt wurde. Damit sicherte sie die hohe Qualität des Neubaus.

Data di pubblicazione
11-04-2014
Revision
18-10-2015

Der Weg zum Erstling von Armon Semadeni führt nach Oberwinterthur. An einem leichten Hang, entlang ruhiger Wohnstrassen, reihen sich frei stehende Siedlungsbauten, vornehmlich aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dazwischen verstreut einige Einfamilienhäuser. Historische Bürgerhäuser mit Läden und Beizen rund um die Kirche markieren das Zentrum, rückwärtige Gärten mit Obstbäumen und Nutzpflanzen erinnern an das ehemals dörfliche Leben.

In diesem beschaulichen Umfeld hatte sich die Stadt Winterthur ein für das Quartier besonders wertvolles Grundstück gesichert: den Bungert (Baumgarten), der zwischen mehrgeschossigen Wohnbauten als grüner Freiraum übrig geblieben war. Kleine Fusswege führen von hier zum Dorfzentrum, für das Auto endet die ­Strasse an dieser Stelle. Die Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen in Winterthur GAIWO, der einige der benachbarten Wohnbauten gehören, konnte das Grundstück von der Stadt erwerben. Zu bebauen war der Bungert allerdings nur unter der Auflage, dass qualitätvolle Architektur den Verlust des grünen ­Freiraums kompensiere und ein Wettbewerb durchgeführt würde, in dessen Jury auch der Stadtbaumeister Michael Hauser vertreten war. Unter den eingeladenen Architekturbüros war die Planergemeinschaft Michael Meier Marius Hug Architekten und Armon Semadeni Architekten aus Zürich. Die Zulassung erhielt das Team dank zwei Referenzobjekten von Meier und Hug – ­darunter eines, an dem auch Semadeni beteiligt war. Das Holzbaubüro Reusser aus Winterthur und Müller Illien Landschaftsarchitekten aus Zürich waren ebenfalls seit dem Wettbewerbsprojekt dabei.

Der Neubau besteht aus zwei miteinander verbundenen Volumen, die in Höhe und Längsentwicklung zueinander versetzt stehen. Satteldächer und volu­metrische Kniffe versöhnen ihn geschickt mit den unterschiedlichen Grössen und Stilen der umliegenden Bauten; die Dachform und die Gauben ermöglichen zudem eine höhere Ausnützung. Ein kompaktes, lichtes Treppenhaus organisiert die zwei Haushälften im Splitlevel. Ein Gang erschliesst jeweils drei Wohnungen pro (Halb-)Geschoss. Alle 22 Wohnungen sind übereck angeordnet, bieten grosszügige Ausblicke in alle Himmelsrichtungen, verfügen über Loggien oder Balkone, sind in den Grundrissen differenziert und reagieren auf die bewegte Volumetrie der Häuser – keine Norm­einheiten also, sondern wohl überlegte, individuelle Raumzusammenhänge.

Im leicht ansteigenden Terrain erweisen neu gepflanzte Zwetschgen- und Apfelbäume dem verschwundenen Obstgarten ihre Reverenz. Storchenschnabel, Wilder Salbei und Sonnenhut schlängeln sich am Fussweg ums Haus, und der grosszügig angelegte Nutzgarten lädt zur Selbstversorgung ein – naturnah, vielfältig und gemeinschaftlich. Die eingetretenen Fusswege zum Dorfkern bleiben erhalten, ankommende Autos dagegen verschwinden in der Tiefgarage.

Qualität dank Zusammenarbeit

Die Materialisierung ist hochwertig und ebenso sorgfältig durchdacht wie die Volumetrie. Tiefgarage, Keller, Decken, Wohnungstrennwände und Treppenhaus sind betoniert; im Erdgeschoss betonen zudem Versatzstücke aus Beton die feine Gliederung des Baukörpers, und sie markieren den Eingang und die Ecken. Die tragenden Aussenwände sind aus vorgefertigten Holzelementen, vor Ort zusammengefügt. Das Material Holz trug dazu bei, die graue Energie zu verringern, und erhöhte die Identifikation der Bauherrschaft mit dem Projekt. Auch die äusserste Fassadenschicht besteht aus Holz. Die Lattung ist in teilweise geschossübergreifenden Feldern angeordnet, die einmal horizontal, einmal vertikal ausgefacht sind. Das so gebildetete Muster und die zwischen die Felder «eingewobenen» Spenglerarbeiten unterstreichen das geometrische Spiel des Volumens. Für niedrige Heizkosten und frische Luft sorgen hochgedämmte Bauteile, Erdsonden und eine Komfortlüftung.

Zum Einsatz kamen einerseits Standardpro­dukte, die abgewandelt und adaptiert wurden, zum Beispiel die Schiebeverglasungen der Loggias, und andererseits langlebige Materialien wie Jurakalk im Treppenhaus und in den Aufenthaltsräumen der Wohnungen. Das Farbkonzept und alle wichtigen Details wurden an einem 1 : 1-Übereck-Fassadenmodell überprüft. Das Graugrün der Holzfassade, das matte Uginox und die sandfarbene Eloxierung der Holz-Alu-Fenster fügen sich zu einem stimmigen Kanon zusammen.

So, wie das Haus heute dasteht, wurde es im Wettbewerb gedacht; die Übersetzung in die gebaute Realität gelang nahezu perfekt. Dahinter steckt nicht nur die Kompetenz der Architekten und Fachplaner, sondern auch die ­kluge Bodenpolitik der öffentlichen Hand, eine kooperationswillige Bauherrschaft, ein erfahrener Projektentwickler, gute Handwerker und ein fähiger Generalunternehmer. Das gegenseitige Vertrauen musste anfänglich hart erarbeitet werden, denn die Architekten waren jung und die Ansprüche hoch. Doch es hat sich gelohnt: Der vormalige Bungert musste zwar weichen, jedoch für einen Bau, der den Verlust mit einer anderen, einer architektonischen Qualität ausgleicht.

Armon Semadeni kann nach zehn Jahren Selbstständigkeit einige massvolle Um- und Anbauten aus Direktaufträgen und mittlerweile auch etliche Wettbewerbsgewinne vorweisen, die sich im Status Ausführungsplanung oder Realisierung befinden. Sein Büro plant zurzeit unter anderem den Neubau für das Naturmuseum St. Gallen, die Fachhochschule in Fribourg und grosse Wohnüberbauungen in Bern und Zürich. Sein «erstes richtiges Haus» jedoch ist das Wohnhaus im Obstbungert am Kastellweg in Winterthur.

Projektdetails
 

Auftragsart
Projektwettbewerb auf Einladung, 2010, 1. Preis


Realisierung
20.10–.2014


Raumprogramm
22 Alterswohnungen


GF SIA 416
3000 m2


GV SIA 416
8900 m3


HNF SIA 416
1800 m2


Kosten BKP 1–9
total BKP 1–9: 8 Mio. Fr. - Gebäudekosten BKP 2: 930.– Fr./m3

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