«Ak­tu­el­le Wett­be­werbs­ver­fah­ren sind volks­wirt­schaft­li­cher Blöd­sinn»

Leserbrief

Der offene Wettbewerb gilt als Schlüsselwerkzeug für die hohe Qualität der hiesigen Baukultur. Unser Leser hinterfragt das Verfahren und schlägt Alternativen vor.

Publikationsdatum
17-12-2019

Ein Wettbewerb soll das beste Resultat hervorbringen, fair sein, Chancengleichheit bieten und Innovation fördern. Was aber bedeutet das?

Manchmal nehmen mehr als hundert Büros an einem Wettbewerb teil. Es gibt fünf bis acht Preisträger, ein Teilnehmer erhält den Hauptpreis plus den Auftrag. Oft müssen Details bis zum Massstab 1 : 20, ein Modell und Visualisierungen eingereicht werden. Der Aufwand dafür ist immens. Es werden im Schnitt ca. 500 –1000 Arbeitsstunden pro Team plus ca. 50 – 200 Arbeitsstunden von Fachplanern unentgeltlich geleistet. Dazu kommen die Kosten für das Drucken der Pläne, für das Modell und die Visualisierungen. Im Schnitt werden so pro Team 40 000 – 60 000 Franken investiert. Anders gesagt: Die Teilnahmegebühr für einen Wettbewerb beträgt ca. 50 000 Franken. Die «Verlierer» erhalten eine Mail mit einem freundlichen Dank für die Teilnahme und im besten Fall eine Broschüre, in der die «Gewinner» bewertet werden.

Ist das sinnvoll?

Der Juryentscheid ist meist exzellent formuliert und stichhaltig. Welches Resultat käme heraus, würde zeitgleich eine andere Jury die Projekte bewerten? Wie viel Zufall ist dabei enthalten? Oder basiert eine Bewertung auf einer subjektiven, zum Zeitpunkt der Jurierung bestehenden Stimmung? Bei einem Wettbewerb mit so vielen Eingaben müssen zuerst 80–90 % der Beiträge im Schnelldurchgang aussortiert werden. Dabei ist es unmöglich, diese adäquat zu begutachten. Die Entscheidungsfindung basiert auf individueller Wahrnehmung der Jurymitglieder und ist meist von einer Gruppendynamik mit Leitfigur geprägt. Das ist menschlich. Nachträglich wird der Entscheid plausibel erklärt – selbstverständlich hat das beste Projekt gewonnen. Nur: Ist es wirklich das beste? Und: Ist dieses Vorgehen fair gegenüber den anderen Teams?

Offene Wettbewerbe haben den Vorteil, dass alle daran teilnehmen können. Jene mit Präqualifikation sind bequemer für die Auslobenden und profitabel für etablierte Büros, die dazu regelmässig eingeladen werden. Nachwuchs und kleinere Büros haben das Nachsehen.

Auswahlverfahren mit selek­tiver Präqualifikation steuern durch Vorbedingungen, wer teilnehmen darf, sind also nicht anonym. So wird der Wettbewerb zur Farce. Hier geht es oft um öffentliche Bauten, bezahlt aus Steuergeldern: Schulen, Museen, Verwaltungsbauten, Wohnüberbauungen, Infrastrukturbauten usw. In diesen Verfahren wird entschieden, wer un­sere Städte und unsere Umgebung plant. Eine Nach­kontrolle, mit Rechenschaft und Verantwortung nach der Realisierung, findet nicht statt. Die ausschreibenden Stellen setzen bei ihrer Auswahl auf Sicherheit (renommierte Büros, vorhandener Wettbewerbserfolg…) – konservative, für ein Amt notwendige Mechanismen. Sagt dies aber etwas über Kompetenz, Qualität und Nachhaltigkeit der ausgewählten Projekte aus? Sind die der Auswahl zugrunde liegenden Werte nicht innovationsverhindernd und wettbewerbsverzerrend? (Aktuelles Beispiel Life Science Turm in Basel: Dreimal die Eröffnung verschoben und 110 Mio. Fr. Mehrkosten...) Für einen Entwurf braucht es neben Kompetenz auch Fantasie. Wäre es nicht wünschenswert, faire, transparente, garantiert anonyme und von Zufall befreite Verfahren zu entwickeln?

Faire Standards

Der Knackpunkt liegt im Entscheidungsprozess. Für einen chancengleichen Wettbewerb braucht es ein standardisiertes Verfahren, das den Zufall minimiert und jedem Team gleichwertige Chancen garantiert – inhalts-, nicht «namensbezogen». Voraussetzung dafür ist eine transparente, wissenschaftliche Bewertungsmatrix mit Hierarchisierung der Kriterien und nachvollziehbarer Dokumentation des Verfahrens. Alle Teilnehmer, die eine qualifizierte Arbeit abliefern, sollen eine gleichwertige schriftliche Bewertung erhalten und korrekt entlohnt werden. Die in ihren Arbeiten vermittelten Ideen sollen geschützt werden. Chancengleichheit und Anonymität sollen gesichert sein, also soll auch keine Selektion bei öffentlichen Verfahren stattfinden.

Eine korrekte Bezahlung der geleisteten Arbeit schafft Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, eine Wertschätzung der Leistung und die verantwortungsvolle Handhabung der Arbeiten. Die Auslobenden erhalten einen Lohn, wie auch Jurymitglieder und Organisatoren. Dafür braucht es neue Verfahren. Eine Möglichkeit wäre ein Losverfahren mit Rotation, sodass jeder einmal eine Chance erhält. Die meisten aktuellen Wettbewerbsverfahren sind volkswirtschaftlicher Blödsinn. Chancengleichheit ist inexistent und die Teilnahmegebühr exorbitant.

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