«Hoch­häu­ser sind kein Ver­dich­tungs­tool»

Leserbrief

Wir beziehen uns auf die aktuelle Online-Reihe «Vertikales Wohnen» auf espazium.ch vom Juni und Juli dieses Jahres, in der eher unkritische Hochhausbefürworter zu Wort kommen, die den derzeitigen Trend zum Hochhausbau bestätigen. Unzählige kritische Stimmen von Architekten, Soziologen und Baupsychologen bleiben dabei unberücksichtigt.

Publikationsdatum
29-07-2020
Horst Eisterer
Architekt SIA, Arbeitsgruppe Städtebau und Architektur Zürich

«Zur Frage, wie sich Zürich entwickeln soll, favorisiert Herr Stadtrat Odermatt das Hochhaus als «einen qualitätsvollen Beitrag». Das Amt für Städtebau der Stadt Zürich fokussiert sich durch die Testplanung zur Überarbeitung der Hochhausrichtlinien auf das Hochhaus. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, Hochhäuser seien das Kernstück der Stadtplanung zur Lösung wesentlicher städtebaulicher Probleme.

Sind es wirklich die wenigen noch freien Brachen, die das Wachstum der Bevölkerung – prognostizierte 5000 bis 10 000 Personen pro Jahr – mittels Hochhäusern auffangen können? Liegt das grosse Potenzial nicht im ganzen übrigen Stadtgebiet? Sollte man dabei nicht auch über die Stadtgrenzen hinaus denken? Haben Hochhäuser, mit Ausnahme der mit der Geschosszahl steigenden Rendite und der schönen Aussicht – auf Kosten der durch Schattenwurf beeinträchtigten Nachbarschaft – noch weitere unerkannte Vorteile?

Zur Beurteilung von Hochhäusern beziehen wir uns auf ökologische (inkl. Klimawandel, Stadt- und Mikroklima), ökonomische, soziale, psychologische, städtebauliche und stadtlandschaftliche Kriterien; auch auf humanwissenschaftliche Aspekte, die zu wenig abgedeckt sind, wenn – wie im Beispiel oben – das Beurteilungsgremium fast ausnahmslos nur durch Architekten und Architektinnen besetzt ist.

Der Hochhausbau ist in allen Phasen (bei der Planung, Erstellung, im Betrieb, Unterhalt und Rückbau) wesentlich aufwendiger und teurer als der verdichtete Flachbau (Low rise – High density Housing). Einer der Gründe ist der erheblich grössere, systembedingte Flächenbedarf pro Nutzer bzw. Nutzerin (resp. Bettenplatz) durch Erschliessungen, Aufzüge, Haustechnik, Statik, Brandschutz und dergleichen. (Ein Vertreter der CS räumt in seinem Beitrag immerhin Mehrkosten für Hochhäuser von 15 bis 20% ein.)

Wir sind der Auffassung, es wäre hilfreicher gewesen, die Anstrengungen der letzten Jahre zur Verbilligung von Hochhäusern auf preisgünstige, soziale und ökologische Bauweisen zu konzentrieren. Selbst Prof. Schwehr (Hochschule Luzern) relativiert den Erfolg seiner (von der Stadt Zürich unterstützten) Studie, die mittels des Holzbaus Kostensenkungen zum Ziel hat. Weil es mit Hochhäusern kaum möglich ist, preisgünstige und sozial verträgliche Wohnungen anzubieten, beteiligen sich Genossenschaften – mit Ausnahme eines Experiments auf dem Zürcher Kochareal – nicht an an dieser Wohnbauform.

Der ökologische Fussabdruck von Hochhäusern ist sehr gross, verglichen mit der weitaus geringeren Umweltbelastung durch Flachbau, der eine einfachere Bautechnik mit ökologischen Materialien zulässt. Besonders zu Buche schlägt bei Hochhäusern die noch zu wenig berücksichtigte graue Energie, die sich während der ganzen Lebensdauer der Gebäude in der Grössenordnung der Nutzenergie bewegt. Die neuen, im Routinedenken «von gestern» geplanten Hochhaussiedlungen dürften allein wegen des Klimaschutzes nicht mehr gebaut werden, zumal sie schlicht nicht notwendig sind.

Hochhäuser sind kein Verdichtungstool. Das Zürcher Amt für Städtebau bestätigt selbst, «das Hochhaus sei nicht zur Verdichtung gedacht». Dies deshalb, weil der Freiflächengewinn durch Geschosshäufung mit zunehmender Geschosszahl exponentiell abnimmt und die Bevölkerung vor Dichtestress durch unsere Baugesetzgebung geschützt wäre, wenn nicht auf bestimmten Arealen Gestaltungspläne und Ausnahmeregelungen eine masslose Verdichtung und Ausnützungsziffer von über 300% erlauben würden, ohne dass die Bevölkerung in den Quartieren etwas dazu zu sagen hat.

Wohnhochhäuser – kürzlich von Hans E. Widmer treffend als «Bettenhäuser« bezeichnet – fördern keine Haus- und Wohngemeinschaften, sie isolieren die Menschen vom Boden und unter sich und erzeugen ein soziales Gefälle von oben nach unten. Sie sind für Kinder ungeeignet. Das wurde von Soziologen, Baupsychologen und Ärzten vielfach bestätigt, auch wenn ausnahmsweise in der Zunft der Soziologie Eveline Althaus eine Befürworterin des Hochhauses ist. Immerhin ist der am selben ETH-Wohnforum wirkende Soziologe Prof. Christian Schmid ein dezidierter Gegner des Wohnhochhauses.

Frau Althaus räumt immerhin ein: «In der Architekturtheorie hat sich deshalb die Erkenntnis durchgesetzt, dass Dichte nicht unbedingt Hochhausstrukturen erfordert. Nichtsdestotrotz erfreuen sich Hochhausprojekte heute in vielen Schweizer Städten grosser Attraktivität. Dies hängt natürlich in erster Linie mit ökonomischen Interessen zusammen – und vielleicht auch mit dem Interesse, Inseln von Urbanität zu schaffen.» Dazu gibt ein Zitat von Hans Weiss zu denken: «Solange der Boden Investition für wenige statt Lebensgrundlage für alle ist, läuft Planung leer.»

Wollen wir nicht einen Städtebau, wie er kürzlich von der Stadtarchitektin Anne Pfeil und Prof. Jürg Sulzer in der NZZ vom 15.7.2020 beschrieben wurde? Wir brauchen die Stadt und ihre Häuser für Lebensgemeinschaften, die sich in gebundenen und bergenden Aussenräumen entwickeln können, in denen sich die Menschen begegnen und sich austauschen. Setzen Sie sich, liebe Leserin und lieber Leser, doch neben die bedrohlichen Hausmonster («Vulcano», «Hardau», «Sunrise» oder wie immer sie heissen), in die zwischen diesen riesigen Türmen oder Scheiben verbliebenen ungemütlichen, fallwindanfälligen und für viele beängstigenden Resträume. Sie werden hier auch keine spielenden Kinder in für sie geeigneten Refugien finden, und auch keine Abstufungen zwischen privaten und öffentlichen Räumen wie im Flachbau.

Demgegenüber ist das einzelne Haus in der Hauszeile Teil eines grösseren Ganzen, dessen Aussenräume uns – wie in alten Städten oder neueren, vorbildlichen Siedlungen – Schutz und Geborgenheit bieten. Als Orientierungs- und Merkpunkte dienen die Hochhäuser in der Stadt Zürich in ihrer willkürlichen Häufung schon lang nicht mehr. Überdies wird die besondere Lage unserer Stadt zwischen den sanften Hügelzügen durch die fortgesetzte Anhäufung von Hochhäusern zusehends verunklärt sowie die Stadtdurchlüftung an Hitzetagen behindert.

Wir vertreten den menschenfreundlichen, sozial engagierten und umweltschonenden Städte- und Wohnungsbau. Abgesehen von stringent begründeten Ausnahmen gelingt dies ohne Hochhäuser besser.«

Dieser Beitrag kann das Thema nur andeutungsweise beleuchten. Wer an unserer Arbeit interessiert ist, wende sich bitte mit einer E-Mail an: h.eisterer [at] hispeed.ch.

Wir sind gern bereit, uns von einer kritischen Leserschaft belehren und widerlegen zu lassen.
Arbeitsgruppe Städtebau und Architektur Zürich

Hier gehts zur Reihe «Vertikales Wohnen».

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