Ungleiches Paar
Free-Flow-Form aus Holz
Norman Foster Architects und Küchel Architects ergänzten den alten Eispavillon in St. Moritz durch zwei dynamisch geschwungene Zuschauertribünen. Mittels 3-D-Holzbearbeitungs-Techniken entstand eine architektonisch anspruchsvolle Free-Flow-Form.
Schon bei der Ankunft in St. Moritz ist das imposante Kulm Hotel ein Blickfang. An das Hotel schliesst sich der Kulm Park mit einem grossen Platz an. Letzter wurde über viele Winter hinweg als Eisfeld genutzt. 1905 baute der Besitzer des Kulm Hotel entlang der Strasse einen Eispavillon: Ob als Hauptquartier der Eislaufathleten zur Olympiade 1928, als Umkleidekabinen während der Olympiade 1948 oder viele Jahre als Schlittschuhausleihe, der Pavillon war ein beliebter Treffpunkt für Besucher und Einheimische. Aus Kostengründen schloss der Betreiber die Anlage aber 1988. 2007 wurde die Initiative, daraus ein Olympiamuseum zu machen, vom Stimmvolk abgelehnt. Erst im Vorfeld der Ski-Alpin-Weltmeisterschaften im Januar 2017 entschied der Hoteleigentümer, die Anlage samt Eispavillon zu neuem Leben zu erwecken.
Dieser architektonischen und städtebaulichen Aufgabe nahm sich Pritzker-Preisträger Norman Foster an. Die St. Moritzer Küchel Architects, mit denen er 2004 schon die «Chesa Futura» gebaut hatte, unterstützten ihn dabei.
Ergänzung fasst den Raum
An der Ausfahrtsstrasse Via Maistra in Richtung Celerina befand sich die Anlage seit ihrer Stilllegung abseits vom Tagesgeschehen. Dies sollte sich ändern. «Der Menschenfluss sollte aus dem Dorfkern heraus wieder in Richtung Kulm Park geleitet werden», so Arnd Küchel von Küchel Architects.
Mit diesem Leitbild entwarf Norman Foster ein neues Ensemble. Neben der Renovation des Eispavillons konzipierte er zwei neue Tribünen für kulturelle und sportliche Veranstaltungen für Sommer und Winter. Dicht neben den alten Pavillon setzte er entlang der Strasse die Haupttribüne. Die in einem Winkel von 45 Grad daran anschliessende Nebentribüne schafft eine Verbindung zum zurück versetzten Al-Parc-Restaurant. Die halbkreisförmig um das Eisfeld platzierten Gebäudeteile bestehen nun aus dem im Grundriss winkelförmigen Eispavillon und den beiden neuen Tribünen. Nicht nur von den Zuschauerreihen, sondern auch von der Pavillon-Terrasse sind Sportanlässe samt Alpenpanorama überblickbar.
Nach der Renovation erhielt der Eispavillon den neuen Namen «Kulm Country Club» vom gleichnamigen Golf Club. Für die Rückwand der Neubauten gegen die Strasse hin und für die Dachkonstruktion der Tribünen wählten die Architekten Holz, das auch das Hauptbaumaterial des Kulm Country Clubs ist.
Statik gestaltet Form
Die Dächer sind auf auf sechs Kragträgerpaaren abgelegt. Als primäres Tragwerk nehmen sie die Lasten aus Eigengewicht, Wind, Schnee und Unterhaltsarbeiten auf dem Dach auf. Die Schneelast nahmen die Architekten und Ingenieure für die statischen Berechnungen mit 450 kg/m2 an. Die paarweise angeordneten Träger verlaufen unter dem Dach v-förmig auseinander. Die Tragwerkskonstruktion entwickelten die Planer in Zusammenarbeit mit der Firma SJB Kempter Fitze, die die statischen Berechnungen durchführte. «Eine tragfähige, 7.50 m auskragende und zugleich schlanke Konstruktion zu definieren, war herausfordernd», sagt Holzbauingenieur Stephan Rick. An den Eckpunkten und im Fussbereich der Kragträger sind die Lasten am grössten, daher ist dort der Querschnitt am dicksten ausgebildet. Um zu verhindern, dass sich die Träger nach unten biegen, sind sie mit Gewindestangen aus Metall ausgesteift; solche sind auch in den Fussbereichen angebracht, um das Kippen und Drehen des Tragwerks zu vermeiden.
Die Stützen sind auf einen in Lage und Höhe druckfest positionierten Stahlfuss montiert, der wiederum mit 1.80 m langen Metallstangen im Beton verankert ist. Als Holz wurde die tragfähige Esche verwendet. Das umlaufende Randdach, als sekundäres Tragwerk, besteht dagegen aus günstigerer Lärche. Es dient zur Aussteifung der Konstruktion und gibt Stabilität. Bandförmig geht das Randdach der grossen Tribüne in eine Gehwegsbegrenzung über und führt bis zum Dachende der kleinen Tribüne.
Frei geformt mit 3-D Technik
Das nur 31 cm dünne Dach besteht aus sechs Schichten. Lamellenförmig sind an der Dachunter- und -oberseite Lärchenholzlatten angenagelt. Dazwischen ist zur Abdichtung eine Kautschukbahn eingelegt. Bei der Tribünenwand sind horizontal Lärchenholzlatten angeordnet, was das Durchblicken zur Strasse ermöglicht.
Die Firma Blumer-Lehmann erstellte die Elemente von Träger, Randdach und Latten. Als besonders anspruchsvoll stellte sich die Ausarbeitung der zweifach gekrümmten und mit Einfräsungen versehenen Einzelteile heraus: Das Randdach wurde z.B. mit der CNC-Fräse aus lediglich 3 mm starken Dünnschicht-Lamellen zusammengesetzt. Die Einzelteile verleimte die Firma Neue Holzbau in Lungern zu Brettschichtholz. Von dort aus transportierte man die fertigen Elemente auf Lastwagen nach St. Moritz. Die Einzelteile vom Randdach wurden vor Ort montiert und die Träger auf den Stahlfuss gesetzt. Der Dachabschluss ist mit Kupfer versehen, das nicht nur vor Witterung schützt, sondern auch ein Blickfang ist.
Filigran-statisch, skulptural-dynamisch
Strassenseitig sind die neuen Tribünen und der alte Pavillon zusammengebaut und fügen sich ins Dorfbild mit den mehrgeschossigen geschlossen Häuserzeilen. Durch die Lamellen-Zwischenräume der Tribünenwand kann man im Vorbeigehen vom Trottoir aus auf das Eisfeld und das Alpenpanorama blicken.
Auf der von der Strasse abgewandten Seite, im ersten Stock von der Terrasse des Country Pavillon aus, vermittelt der Blick in Richtung Tribünen ein stimmiges Ensemble. Die Treppe der Zuschauertribüne, die an den Altbau grenzt und über einige weitere gegenläufige Stufen auf die Pavillon-Terrasse führt, verzahnen Alt- und Neubau miteinander. An dieser obersten Stelle kommen die Dächer der beiden Bauten eng zusammen Klarer artikuliert sich ihre formale Unterschiedlichkeit wohl nirgendwo: Der filigrane Pavillonbau mit den feinen Fensterdetails und dem mehrfach gegliederten Dachabschluss steht dem elegant, wie aus einem Guss wirkenden geschwungenen Tribünendach gegenüber. Hier zeigt sich Fosters Haltung, sich am Bestand zu orientieren, ihn aber nicht zu kopieren. Die Bauten bilden durch Material, Proportionen und Gebäudefluchten eine Einheit.
Vom Eisfeld aus zeigt sich ein anderes Bild der beiden Bauten: Es braucht noch etwas Zeit, bis das formal unterschiedliche Paar, statisch und filigran auf der einen Seite und monoform und dynamisch auf der anderen, in den Augen der Betrachterinnen zueinander findet.
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft
Grand Hotel Engadinerkulm, St. Moritz
Projektleitung Planung
Blumer-Lehmann, Gossau
Architektur
Foster + Partners, London; Küchel Architects, St. Moritz
Tragwerk Holzbau
SJB Kempter Fitze, Frauenfeld
Tragkonstruktion
Dino Menghini, Pontresina
Holzbau
ARGE A. Freud Holzbau, Samedan; Blumer-Lehmann, Gossau; Neue Holzbau, Lungern