Nach uns die Sintflut?
Zehn Parlamentarier interessierten sich für die «Umsetzung des Klimaabkommens von Paris im Gebäudepark Schweiz» und haben am SIA-Parlamentarierfrühstück teilgenommen. SIA-Vertreter unterbreiteten den Politikern konkrete Vorschläge.
«Der Gebäudepark muss und kann dekarbonisiert werden.» Mit diesem Standpunkt führte Peter Richner, Vizepräsident des SIA-Fachrats Energie und stellvertretender Direktor der Empa, zehn Parlamentarier durch das SIA-Frühstück, das am 4. Dezember 2018 im Restaurant Galerie des Alpes im Bundeshaus in Bern stattfand. Unter dem Titel «Umsetzung des Klimaabkommens von Paris im Gebäudepark Schweiz» lud der SIA zum Frühstück ein und bot seine Expertise an.
Ständerat Joachim Eder (FDP/ZG) sowie die Nationalräte Bastien Girod (GP/ZH), Jürg Grossen (GLP/BE), Jacques-André Maire (SP/NE), Leo Müller (CVP/LU), Peter Schilliger (FDP/LU), Karl Vogler (CVP/OW), Erich von Siebenthal (SVP/BE), Laurent Wehrli (FDP/VD) und Beat Flach (GLP/AG) waren zu Gast. Am selben Morgen behandelte der Nationalrat das Geschäft der «Totalrevision des CO2-Gesetzes nach 2020».
Der Klimawandel ist da
Der SIA nahm in seiner Einladung Bezug auf den Bericht «Klimaszenarien 2018», der vom Bundesrat in Auftrag gegeben, am 13. November 2018 an der ETH präsentiert und von den Schweizer Medien an prominenter Stelle besprochen worden war. Die wissenschaftlichen Daten machen deutlich: Der Klimawandel ist bereits spürbar. Dämmen wir ihn nicht ein, werden künftige Generationen stark darunter zu leiden haben.
Ein Hitzesommer, wie wir ihn dieses Jahr erlebt haben, wird in ein paar Jahrzehnten der Normalfall sein. Die mittlere Temperatur in der Schweiz erhöht sich im Vergleich zum globalen Mittel im gleichen Zeitraum um das Doppelte. Die Auswirkungen sind gravierend: Tropennächte und Hitzeperioden nehmen zu, Ackerböden dörren im Sommer aus, heftigere und zahlreichere Überschwemmungen suchen uns heim, und Schneefall gibt es fast nur noch im Hochgebirge.
Klimawandel eindämmen
Die Auswirkungen des Klimawandels werden für die Schweiz die grösste Herausforderung des laufenden Jahrhunderts sein, die Kosten in Milliardenhöhe verursachen kann. Das Klimaabkommen von Paris ist der richtige Schritt, um die Klimaerwärmung einzudämmen. Ziel des Abkommens ist es, den globalen Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert deutlich unter 2 °C zu begrenzen, im Vergleich zu vorindustriellen Werten (1850–1900). Der Beitrag der Schweiz: Reduktion der CO2-Emissionen um 50 % bis 2030 gegenüber 1990. Ohne Massnahmen müssen wir mit einem Temperaturanstieg von 3.2 bis 5.4 °C rechnen. Heute sind es schon 0.9 °C weltweit und 2 °C in der Schweiz.
Verantwortung des SIA
Der SIA, der mit seinen 16 000 Mitgliedern die Gestaltung des Gebäudeparks Schweiz massgebend prägt, ist doppelt gefordert. Er sieht sich in der Verantwortung, seinen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels zu leisten, also den CO2-Ausstoss so schnell wie möglich zu reduzieren und langfristig auf null zu senken. Gleichzeitig sind zur Schadenbegrenzung die Bauwerke, die heute geplant werden, auf die prognostizierten klimatischen Bedingungen auszurichten, mit denen sie in ihrer Lebensdauer konfrontiert sein werden. Selbst wenn die Ziele des Klimaabkommens von Paris erreicht werden sollten, braucht es Anpassungen.
Wichtige Einflussgrössen auf CO2-Ausstoss
Über 40 % des Energieverbrauchs und ein Viertel bis ein Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen fallen in der Schweiz im Gebäudebereich an. Deshalb kann der Gebäudesektor viel dazu beitragen, die Ziele der Klima- und Energiepolitik zu erreichen. Richner zeigte in seinem Referat den Parlamentariern im Detail auf, wie die dringend gebotene Dekarbonisierung umgesetzt werden kann.
Anhand der modifizierten «Kaya-Identität», einer Formel, die die Haupttreiber der gebäudebezogenen CO2-Emissionen aufzeigt, schlüsselte Richner die wichtigen Einflussgrössen der CO2-Emissionen des Gebäudeparks auf. Es sind zum einen die technologischen Faktoren (CO2-Anteil am Energiemix und Energieverbrauch pro m2 Energiebezugsfläche, das heisst Effizienz) und zum anderen die sozioökonomischen Faktoren (Energiebezugsflächen pro Person und Bevölkerung, die das Wirtschaftswachstum und das Bevölkerungswachstum widerspiegeln) – siehe «Mit Energie intelligent umgehen», TEC21 23/2018).
Dekarbonisierung konkret
Ein Land wie die Schweiz, das auf technologische Innovation setzt, kann – gemäss Kaya-Gleichung – durch den technologischen Fortschritt den CO2-Ausstoss selbst bei wachsender Bevölkerung als Ganzes reduzieren. Richner nannte konkret folgende Punkte, die die technologischen Faktoren betreffen und zur Dekarbonisierung beitragen:
- Mit CO2-Abgaben können technologische Verbesserungen positiv beeinflusst werden, weil Energieeffizienz bzw. Alternativen finanziell attraktiver sind.
- Die verschärften kantonalen Effizienzvorschriften bewirken, dass Neubauten Minergie-Anforderungen weitgehend erfüllen.
- Aus Anreizsystemen – etwa dem Gebäudeprogramm, das energetische Sanierungen von Gebäuden finanziell unterstützt – resultiert ein Gebäudepark mit weniger CO2-Emissionen.
- Lenkungsabgaben, die auf fossile Brennstoffe erhoben werden, reduzieren den Verbrauch dieser Brennstoffe und somit den CO2-Ausstoss.
Was kann die Legislative tun?
Was können Politikerinnen und Politiker tun, um die Dekarbonisierung voranzutreiben und die Klimaerwärmung zu bremsen? Richner forderte die Parlamentarier im Namen des SIA auf, in der Revision des CO2-Gesetzes Folgendes zu berücksichtigen:
- ambitionierte Ziele setzen (mindestens –50 % bis 2030 mit hohem Anteil im Inland)
- möglichst hohe Verminderungsziele
- möglichst hohe CO2-Kompensation im Inland
- hohe Reduktionsziele für den Gebäudepark
- griffige Massnahmen bei Zielverfehlung
- Einführung einer allgemeinen CO2-Lenkungsabgabe und Erhöhung der CO2-Abgabe auf die Brennstoffe
- Weiterführung des Anreizsystems Gebäudeprogramm bis zur Einführung einer greifenden Lenkungsabgabe, jedoch mindestens bis 2030
- Weiterführung Technologieförderung bis mindestens 2030
- Weiterführung der Aktivitäten zur Aus- und Weiterbildung
Eine Frage der Zeit
Jürg Grossen (GLP/BE) stellte in der anschliessenden Diskussion fest, im Grunde seien sich alle einig, dass die Zeit reif sei für den Umstieg auf die erneuerbaren Energien. Wärmepumpen seien gut und wirtschaftlich und hätten sich bewährt. Trotzdem passiere zu wenig – seit Jahren würde derselbe Zustand beklagt. Als Liberaler ziehe er den Schluss, dass irgendwann die Zeit komme, um veraltete und umweltschädliche Technologien per Gesetz aus dem Verkehr zu nehmen.
Dem entgegnete Peter Schilliger (FDP/LU), man könne sich nicht erlauben, das CO2-Gesetz zu überfrachten, sonst würde es vom Volk nicht getragen und in einem möglichen Referendum scheitern.
Wie sich am Ende des Morgens nach der Debatte im Nationalrat zeigte, sollte eine Reduktion des CO2-Ausstosses mit dem Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland ausgelagert werden. In der Gesamtabstimmung lehnte der Nationalrat die Vorlage ab. Griffigere Gesetze zur Erreichung von Inlandzielen sind wohl eine Frage der Zeit.