Moderner Holzbau in der Südschweiz
Konstruktive und gestalterische Aspekte, Fragen der Sicherheit und Robustheit von Tragstrukturen, die Dauerhaftigkeit und der Unterhalt von Bauwerken - dies sind Themen, die sich bei Holzbauten stets neu stellen. Ein Fortbildungskurs des Swiss Wood Innovation Network S-WIN im Tessin hat am 22. Mai 2015 diese Aspekte mit Blick auf die Situation der Südschweiz aufgegriffen.
Der Fortbildungskurs fand im Rahmen der Accademia di Architettura Mendrisio statt und hatte zum Ziel aufzuzeigen, wie die zeitgemässen Materialien und Technologien des Holzbaus auch in der Südschweiz hohe Anforderungen erfüllen und zu modernen Lösungen führen. Dies gilt für mehrgeschossige und grosse Bauwerke im urbanen Raum genauso wie für Architekturprojekte mit speziellem Charakter. Vor allem aber zeigte sich, wie auch im Süden der Holzbau eine führende Stellung als die moderne Montagebauweise überhaupt errungen hat.
Holz als Multitalent
Dem Anlass lagen grundsätzliche Überlegungen zum Konstruieren und architektonischen Gestalten mit Holz zugrunde. Dazu gehören auch die entsprechenden Überlegungen von Seite Ingenieure und die Grundsätze des modernen Brandschutzes. Denn auch hier sind die Ansprüche bezüglich Qualitätssicherung und bauliche Sicherheit hoch.
Die am Anlass gezeigten ausgeführten Bauwerke überzeugten denn auch in architektonischer wie in technischer Sicht gleichermassen. Gleich zu Beginn brachte es Architekt Alberto Alessi (Universität Vaduz/Fachhochschule Luzern) auf den Punkt: Was das Holz im Kleinen beispielsweise in landwirtschaftlichen Gebäuden alter Zeit zu leisten vermochte, das vermag es auch heute in neuer Form für anspruchsvolle zeitgenössische Bauwerken zu leisten.
Ungerechtfertigte Vorurteile
Allerdings zeigte noch 2008 eine Umfrage bei italienischen Architekten, dass zu Holz im Bauwesen dort nach wie vor die Vorurteile überwiegen. Holz wird demnach in Italien klar als sympathisch und angenehm eingeschätzt, gleichzeitig gilt es als wenig dauerhaft und schwierig zu pflegen. Seine thermischen Eigenschaften schätzen die Italiener nur bezüglich kühler Temperaturen als positiv ein, glauben aber, es sei für warmes Klima weniger geeignet. Als Leichtbau sei Holz zu wenig robust und es könne damit zwar rasch aber vergleichsweise teuer konstruiert werden. Dass im gleichen Atemzug auch seine Feuerresistenz unterschätzt wird, erstaunt in diesem Zusammenhang wenig.
Möglicherweise haben diese Vorurteile einiges mit der im Süden traditionell verankerten massiven Bauweise zu tun. Gleichzeitig waren bis noch vor wenigen Jahren moderne Holzkonstruktionen in den Publikums- und Fachmedien des Südens kaum publiziert und damit wenig bekannt. Deshalb ist ein Anlass wie aktuell jener von S-WIN umso wertvoller denn er stellte die Eigenschaften von Holz als Baustoff aufgrund aktueller wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse dar.
Mehrgeschossiger Holzbau - ingeniöse und sichere Tragwerke
In einem ersten, mehr technischen Fragen gewidmeten Teil des Kurses kamen die Ingenieure zu Wort. Andrea Bernasconi (Prof. heig Yverdon-les-Bains und SUPSI Lugano) erläuterte anhand konkreter Beispiele den Zusammenhang zeitgemässer Tragstrukturen mit den Intensionen der Architektur. Er zeigte auf, wie die traditionellen Tragstrukturen - so etwa Rahmen- oder Skelettbau - durch neue Möglichkeiten, vor allem durch die neuen grossflächigen und statisch leistungsfähigen mehrschichtigen Holzplatten ersetzt werden. Die damit heute bereits erstellten Bauten überzeugen auch bezüglich Gestaltung - eine Holzbauweise also, die gerade, weil sie äusserlich dem Massivbau ähnelt, sich auch jenseits des Gotthards durchsetzen kann.
Zum Thema Holz und Brandverhalten präsentierte Andrea Frangi (Prof. ETH Zürich, Institut für Baukonstruktion und Statik IBK) die neuen, seit Beginn 2015 in Kraft gesetzten Vorschriften. Dem Holz wird demnach derselbe Status zuerkannt wie andern Baustoffen und die neuen Regelungen führen zu einer erneuten Liberalisierung bezüglich seiner Anwendung. Nach wie vor ist nicht wichtig, dass Holz brennen kann, lediglich, wie es sich korrekt verbaut unter Brandlast verhält.
Ergänzend erläuterte Ingenieur Nazzaro Belli und Silvia Montalbano die Sicht von Seite der Brandschutzbehörden und die damit verbundenen gesetzgeberischen Rahmenbedingungen. Klar unterschieden werden nach wie vor die Massnahmen für den Schutz von Personen und jene für den Schutz von Sachwerten, der Gebäudestruktur also. Auch bei den Massnahmen wird unterschieden zwischen baulicher Vorsorge und Technik (z.B. Sprinkler).
Beispielhafte Bauwerke aus Holz
In einem zweiten Teil ging der Anlass auf realisierte Bauten ein, die sich architektonisch wie auch technisch auszeichnen und damit beispielhaft wirken. Andrea Bernasconi erläuterte Konzept und Bau der Siedlung Via Cenni in Mailand, realisiert mit Ingenieurwissen aus der Südschweiz. Bei den vier Baukörpern mit jeweils neun Stockwerken dürfte es sich um den derzeit grössten in Europa realisierten Wohnkomplex handeln.
Er setzt in jeder Hinsicht neue Massstäbe. Konstruiert wurde mit Mehrschichtplatten und zwar für Wände und Decken inklusive Treppen und Liftschächte. Aussen wärmegedämmt und weiss verputzt, wirken die vier Wohntürme und der Sockelbau als überzeugende architektonische Geste und vermitteln ein neues Bild zum Bauen mit Holz im urbanen Raum.
Ähnlich, wenn auch technisch unterschiedlich gelöst, verhält es sich mit der fünfgeschossigen Casa Montarina in Lugano (Lorenzo Felder, Architekt, Lugano) und der sechsgeschossigen Residenza Sirio, ebenfalls in Lugano (Architekt Maurizio Marzi, Taverne). Beide Gebäude tragen die Idee vom modernen Holzbau hinein in den urbanen Raum. Zwar unterschiedlich gestaltet - Sirio mit konventionellen Stockwerkwohnungen, Montarina mit Maisonettes die wie Eigenheime gestapelt sind - vermitteln sie ein neues Bild zum Wohnbau mit Holz.
Dass es nicht allein die schiere Grösse ist die beeindruckt zeigten zwei kleinere Neubauten, einmal ein Laboratorium und einmal ein neuartig konzipierter Wohnbau, beide im Tessin. Dazu gesellte sich die Umnutzung einer grossräumigen ehemaligen Schokoladenfabrik in Lugano und der im Verhältnis kleine Neubau «House of Natural Ressources» der ETH Zürich, ein Prototyp für das Bauen mit Laubholz.
Vom strengen Winzling zum Wohnexperiment...
Der Neubau für ein Analyse-Laboratorium in Olivone im Valle di Blenio (Alpine Foundation for Life Sciences) besticht durch seinen scharf geschnittenen, klaren Baukörper (Architekt Stefano Tibiletti, Lugano). Dass der Bau zwei Geschosse umfasst, ist von aussen nicht auf Anhieb ablesbar, denn die Fassade ist mit horizontal verlegten Holzlamellen verkleidet.
Diese sind mit Druckimprägnierung behandelt, deshalb grünlich verfärbt und damit als Holzstruktur quasi abstrahiert. Das Tageslicht wird bloss gedämpft in die Räume gelenkt, durch die grossen Fenster sind die Räume jedoch ausreichend beleuchtet. Dies trotz der Lamellenfassade aus Holz die 50 % der Fensterfläche abdeckt. Der Architekt bezeichnete diesen ungewohnt streng gestalteten Bau als eine «macchina di legno» (Maschine aus Holz).
Anders der Neubau Temporary Living in Mendrisio (Architekt Axel Middeke, Agno): Das Raumprogramm entspricht einem eigentlichen Wohnexperiment. Auf einer Bruttogeschossfläche von 1664 m2 finden sich 36 verhältnismässig kleine Wohneinheiten, je Stockwerk 18 Studios. Im Erdgeschoss sind die allgemein nutzbaren Räume - eine Lounge mit Fitnessbereich, Waschräume und Ateliers angeordnet.
Die drei Stockwerke über dem betonierten Untergeschoss sind als reine Holzkonstruktion ausgeführt. In den Wohnräumen ist die Holzstruktur sichtbar belassen, der Brandwiderstand wird durch das Brettsperrholz erbracht, die Erschliessungen sind feuerhemmend verkleidet. Investor und Architekt wollen mit diesem Bau auf sich verändernde Lebensweisen eingehen und die vorzügliche Erschliessung des Orts nutzen.
... bis hin zur gigantischen Holzhalle
In Lugano hat Architekt Jachen Könz zwei Hallen der ehemaligen Schokoladenfabrik Tobler umgenutzt - das Lagerhaus mit innen liegendem Hof und die Verladehalle. Sie enthalten nun ein Architekturbüro und werden als Ausstellungsraum für eine Privatkollektion genutzt. Die ursprüngliche Baustruktur ist vom damaligen Willen des Unternehmers geprägt, rein funktionale, unterhaltsarme Räume zu besitzen.
Die Betonstruktur des Lagerhauses wurde von Verkleidungen befreit und tritt heute als grossräumiges Volumen (31 x 28 m im Grundriss, Fassadenhöhe 12 m) auf. Das Sprengwerk des Dachstuhls hat eine Spannweite von 11 m, Scheitelhöhe 3.90 m). Um den Dachstock umzunutzen wurde die Holzkonstruktion angehoben und so abgestützt. dass an beiden Längsseiten ein 1,60 m hohes Fensterband den Raum mit Tageslicht ausleuchtet.
Die Binderkonstruktion der Verladehalle (16,80 x 30,50 m, Scheitelhöhe innen 8,60 m), ein Hetzerträger der ersten Generation wurde mittels bis zu 160 mm starken mit Pressklebung aufgebrachten Lamellen ertüchtigt. Eine Zugstange aus Stahl je Binder vermindert die Schubkräfte in den Auflagern. Die transluziden Elemente in der Dachfläche wurden erneuert und sorgen hier für Tageslicht wie damals um 1910 beim Neubau. Die gigantisch gossen Raumstrukturen wurden so zu neuem Leben wachgeküsst.
Laubholz für Höchstleistung
Weil in der Südschweiz noch wenig bekannt, präsentierte Andrea Frangi die Forschungsarbeiten des IBK an der ETH Zürich zum Thema «Konstruieren mit hochfesten Hölzern (Laubholz)». Vor dem Hintergrund des zunehmend grösser werdenden Anteils an Laubholz und im Blick auf die hohen technischen Leistungen, die es erbringt, macht dies Sinn.
Entsprechend wurden an der ETH neuartige Tragwerke unter Einsatz auch von Buchenholz entwickelt. Es handelt sich dabei um vorgespannte Rahmen aus Laubholz, eine Holz-Beton Verbunddecke aus Buchenholz, eine Hohlkastendecke aus Buchenholz und eine bi-axiale Laubholzdecke. Das «House of Natural Ressources» soll im Juni 2015 eingeweiht werden (http://www.honr.ethz.ch/).
Archittetura di legno moderna
Der Fortbildungskurs S-WIN in Mendrisio trug den etwas sperrigen Titel «La costruzione in legno moderna - soluzione interessante per una architettura di qualita e strutture portanti esigenti». Er lockte gegen hundert Teilnehmende an und dies lässt sich in der überschaubaren Szene im Tessin als vergleichsweise grossen Erfolg werten. «Architettura di legno moderna» hätte den Inhalt ebenfalls treffend umschrieben. Dies als Vorschlag für eine hoffentlich neuerliche Durchführung eines solchen Fachanlasses in vielleicht zwei bis drei Jahren.