Der nä­ch­ste Nach­hal­ti­g­kei­tshy­pe?

Strom an Gebäuden zu produzieren und möglichst viel davon vor Ort selbst zu konsumieren ist ein häufig geäusserter Bauherrenwunsch. Die Planung solcher Projekte bietet Gelegenheiten zu flexiblen Lösungsansätzen. Doch das Eigenverbrauchsmodell birgt auch Risiken.

Data di pubblicazione
08-11-2018
Revision
08-11-2018

Seit Anfang Jahr hat der Bund einen System­wechsel zur Förderung von Solar­­strom vorgenommen: Die Energie soll lokal erzeugt und zu einem mög­lichst hohen Anteil auch vor Ort konsumiert werden. Der Eigenverbrauch ist als nächster Schritt zum dezentralen Energiesystem gedacht und funktioniert am besten im Siedlungsraum. Mit öffentlichen Subven­tionen darf nurmehr rechnen, wer den Ertrag seiner Solar­anlagen selbst konsumiert oder ihn den unmittelbaren Nachbarn zum Bezug zur Verfügung stellen kann.

Was im Heer der Einfamilienhäuser seinen Anfang nahm, will der Staat verstärkt auf Wohnareale oder ganze Stadtquartiere übertragen. Die  Bewohnerschaft und auch Gewerbemieter von ­Neu­bausiedlungen organisieren sich dafür zu Eigenverbrauchsgemeinschaften, aus eigenem Antrieb oder auf Ver­anlassung der Eigentümerschaft. Als Anreiz winkt nicht nur Fördergeld vom Staat, sondern auch ein lukratives Nebengeschäft: Der Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) ­bezahlt weniger für den eigenen Solarstrom als für den Bezug aus dem öffentlichen Netz.

Im Umkehrschluss ist dies die Grundvoraussetzung ­für den Erfolg der ZEV-Offensive: Nur wer auf den ­eigenen Dächern oder auch Fassaden Strom billiger produzieren kann als die Produkte von Stadt- und ­Regionalwerken, kommt mit den Mietenden ins Ge­schäft. Gewissermassen wird so das Geschäftsmodell «Eigenverbrauch» zu­ einer lokalen Konkurrenz für ­kommunale Energie­­versor­gungs­unternehmen.

Testfeld für dezentrales Energiesystem

Eine wichtige Frage ist, ob die Spiesse im neuen Markt um den Hausanschluss gleich lang sind. Denn ein ­Eigenverbrauchsanbieter muss kein Entgelt für die ­Netznutzung verlangen; im Vergleich dazu besteht der offizielle Stromtarif eines öffentlichen Versorgungsunternehmens aus gut einem Drittel Energiekosten und einem fast doppelt so hohen Netzanteil. Derzeit schätzen Branchenkenner, dass die Preislimite für den eigenen Solarstrom bei 15 Rp./kWh liegt. In der Schweiz liefern die lokalen Energiewerke den Haushaltsstrom aktuell für 18 bis 25 Rp./kWh an die Netzbezüger. Die Initianten junger ZEV-Projekte rechnen mit Amortisationszeiten von rund 20 Jahren.1 Viel hängt davon ab, wie hoch der Eigenverbrauch effektiv ausfallen wird.

Auch hierzu gibt es erst Prognosen: Eine Mindestquote von 40 % dürfte in vielen Regionen ausreichen. Der Verband unabhängiger Energieerzeuger warnt aber davor, dass selbst ein 60%iger Eigenverbrauch nicht überall einen wirtschaftlichen ZEV-Betrieb garantiert. Ebenso wirken sich die Entwicklung der Strompreise und Tarifsysteme sowie die bevorstehende Marktliberalisierung auf die Wirtschaftlichkeit aus. Die staat­liche Förderung des Eigenverbrauchsmodells soll diese Unsicherheiten jedoch überwinden helfen. Deshalb ist mit einer steigenden Zahl von ZEV-Gemeinschaften zu rechnen, vor allem im Zusammenhang mit grösseren Neubauvorhaben. Einige sind nun ein Testfeld für dezentrale Energiesysteme; auf Ebene Quartier, Gemeinde oder Stadt hat sich das Modell aber noch zu beweisen.

Höhere Gebäudevielfalt, flexible Bebauung

Wo immer ein derart lokal vernetzter Beitrag an die CO2-arme Stromversorgung gewünscht ist, werden sich auch die Bebauungs- und Planungsinhalte verändern. Zuallererst benötigt man Flächen für Photovoltaikmodule, nun aber auch eine interne Verteilnetz- und Speicherinfrastruktur, bestehend aus kleinen oder grossen Batterien. Weitere Zusatzkomponenten sind digitale Stromzähler, eventuell eine Trafostation und allfällige Ladestationen für E-Fahrzeuge. Demzufolge werden Elektro- und Energieingenieure, die sich mit solchen Schnittstellen auskennen, für jedes Planungsteam unverzichtbar.

Doch das Eigenverbrauchsthema kann auch die architektonische Entwurfsstrategie prägen: Energetisch vernetzte Areale vergrössern den Spielraum ­für die Gebäudevielfalt und erhöhen die Flexibilität. Anstatt jedes einzelne Haus für die Energieproduktion zu optimieren respektive zur Energiemaschine zu trimmen, können die jeweiligen Möglichkeiten nutzungs- und standortbezogen sowie gestalterisch abgewogen werden. Auch städtebaulich darf das Gemeinschaftsthema inspirierend wirken. Ob das Geschäftsmodell «Eigenverbrauchsgemeinschaft» eventuell sogar den sozialen Zusammenhalt in einem vernetzten Energiequartier oder -dorf stärken wird?

Den ökologischen und unternehmerischen Chancen stehen allerdings Risiken gegenüber. Der ­Eigenverbrauchsmarkt lockt neue Anbieter und Dienstleister an, die sich noch zu bewähren haben. Ebenso müssen die verfügbaren technischen Systeme erst den Dauerhaftigkeitsbeweis erbringen. Einheitliche Standards oder austauschbare Schnittstellen sind ­daher zwingend zu beachten. Und bei der Speicher­technologie interessiert ebenfalls, was die Anfangs­euphorie hervorbringen kann.

Damit Eigenverbrauchs­areale nachhaltig funktionieren, dürfen sie den Lebenszyklus neuer Komponenten nicht ignorieren. Marktübliche Batterien und Akkus leben, abhängig von der Lade­häufigkeit, bisher 10 bis 15 Jahre. Was danach mit den schädlichen Wertstoffen geschieht, ist ungeklärt. Ein Recyclingkonzept für Lithium wäre aber zwingend erforderlich. Denn der wachsende Abbau der endlichen Ressource belastet die Umwelt in Ländern wie Chile heute schon massiv. Insofern gilt: Das Eigenverbrauchskonzept ist ein Einstieg in die klimafreundliche, elektrisch be­triebene Smart City. Zu dieser Intelligenz gehört aber auch, die nachhaltigen Prozesse zu definieren, bevor dem Hype ein Durchbruch gelingt.

Anmerkung

  1. Eigenverbrauch von Solarstrom in der Wirtschaft, Hintergrundbericht als Grundlage zur Erarbeitung eines Leitfadens, Bundesamt für Energie 2017.

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