«Ei­ne men­schli­che­re Art zu ar­bei­ten»

Das Basler Architekturbüro MET Architects ist seit 2009 auch im Libanon tätig. Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten und darüber, was man voneinander lernen kann, berichten die Architekten in Teil 2 unserer Miniserie «Basel/Beirut – vom Arbeiten in Ost und West».

Data di pubblicazione
18-09-2019

TEC21In der Schweiz erfolgt die Projektakquise junger Architektinnen und Architekten oft über gewonnene Wettbewerbe. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie im Libanon tätig wurden?

Roula Moharram: In Beirut läuft alles über Kontakte. Niemand beauftragt einen Architekten, den man nicht kennt. Ich bin in Beirut geboren und habe dort in einem Büro gearbeitet. Über kleinere Aufträge von Freunden konnte ich mir einen Ruf aufbauen und rutschte so in die Selbstständigkeit. Als schweizerisch-libanesisches Büro haben wir einen Bonus und eine Nische. Der Schweizer Teil steht für Verlässlichkeit und Professionalität, der libanesische kennt sich mit den Bedürfnissen und Gepflogenheiten vor Ort aus. Dazu kommt ein weiteres Kundensegment: Libanesen, die im Ausland leben. Sie haben vielleicht Vorbehalte, mit europäischen Architekten zusammenzuarbeiten, weil sie das Gefühl haben, dass diese ihre Kultur nicht verstehen, gleichzeitig schätzen sie aber den westlichen Lebensstil. 

TEC21: Wie zeigt sich diese persönliche Ebene im Architektenalltag?

Thomas Thalhofer: Es gibt keine Verträge. Denn es existiert keine Rechtsprechung, vor der man die Verbindlichkeit eines Vertrags einklagen könnte. Die Unternehmer sprechen auch keine Garantien aus. In meiner europäischen Orientierung war ich darüber anfangs völlig irritiert. Aber da alles über Weitervermittlung funktioniert, hat jeder ein Interesse daran, einen möglichst guten Job zu machen. Das beinhaltet auch eine gewisse Langfristigkeit, man bleibt über das Projekt hinaus damit verbunden. 
Diese Verbindlichkeit ist enorm lehrreich. So kann man sich als Architekt auch der Realität stellen und erhält Feedback: Eine gute Idee in der Planung muss nicht zwangsläufig im Gebrauch funktionieren. Oder der umgekehrte Fall: Etwas hat sich bewährt und funktioniert auch nach intensiver Benutzung immer noch bestens. 
Wenn in der Schweiz bei einem Projekt nach einiger Zeit ein Umbau ansteht, wird häufig ein neues Büro damit beauftragt, einfach um die Abläufe zu beschleunigen. Das wäre in Beirut undenkbar. Die Kehrseite davon ist – und das gilt vor allem für private Bauherrschaften –, dass diese Verbindlichkeit natürlich auch eine intensive Betreuung mit sich bringt. 

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TEC21: Über den persönlichen Kontakt hinaus: Gibt es auch Unterschiede im Ablauf von Planung und Ausführung?

Thomas Thalhofer: Es gibt viel weniger Bürokratie. Zum Beispiel kommt niemand vorbei, um den Brandschutz abzunehmen oder die Abwasserleitungen. Denn natürlich hat der Besitzer ein Eigeninteresse daran, dass das Abwassersystem funktioniert. Also wird er sich darum kümmern. Nachdem die Baubewilligung erteilt ist, gibt es nahezu keinen Kontakt mehr zu den Behörden. 
Ein Grossteil der Aufwände, die wir bei Projekten in der Schweiz haben – vor allem bei öffentlichen Auftraggebern –, betrifft den Kontakt zur Bauherrschaft. Oft sind viele Parteien beteiligt, und es braucht einen grossen Kommunikationsaufwand. Plus: Die Leute haben zunehmend die Tendenz, eher Gesetzen zu vertrauen als ihrem eigenen Verstand. Jeder möchte sich in alle Richtungen versichern. 

Roula Moharram: Diese «Rückversicherungen», die einen vor allfälligen zukünftigen Problemen schützen sollen, entfallen im Libanon. Es ist eine menschlichere Art zu arbeiten.

Thomas Thalhofer: Die Akzeptanz, dass Fehler passieren, ist höher. Es herrscht die Maxime: Es werden auch in Zukunft Probleme auftauchen. Je einfacher wir sie lösen, desto schneller können wir den nächsten Schritt machen. 

Roula Moharram: Ein schönes Beispiel dafür sind die Teppiche für das Ferienhaus in Ras el Maten. Es sind sehr symmetrische Muster, aber auf allen Teppichen gibt es an der Seite einen kleinen Fehler. Das war Absicht. Ein perfekter Teppich wäre Gotteslästerung – nur Gott ist perfekt. 

«Rückversicherungen, die einen vor allfälligen zukünftigen Problemen schützen sollen, entfallen im Libanon.»
Roula Moharram

TEC21: So, wie Sie das darstellen, ist das eine sehr positive Sicht der Dinge. Es gibt sicher auch Nachteile dieses Systems oder schwarze Schafe, die es ausnutzen.

Thomas Thalhofer: Dazu eine Anekdote: Auf der Baustelle des Projekts zur Erweiterung und Sanierung des Van-Dick-Apartments in Beiruttraf ich den Arbeiter, der eine Metalltür für uns machen sollte. Die Tür sollte rechteckig sein, war aber ein Parallelogramm. Niemand fand das bemerkenswert – ausser mir. Ich sagte dem Arbeiter also, er müsse die Tür zurück in die Werkstatt nehmen und anpassen. Er war überhaupt nicht irritiert, und meinte, er würde das direkt hier auf der Baustelle erledigen. Er zerschnitt also die Tür, verschweisste die Nähte und brachte das Ganze in eine rechteckige Form. Er brauchte einen halben Tag dafür, war bestens gelaunt, und das Resultat ist gut. 
Was wir im Libanon für unsere Arbeit gelernt haben, ist, dass wir nicht für ein absolutes architektonisches Ideal entwerfen, sondern für ein Resultat, das die herrschenden Bedingungen berücksichtigt. Arbeite ich also mit einem Unternehmen, von dem ich weiss, dass es keine perfekte Betonbearbeitung liefern kann, passe ich den Entwurf entsprechend an.
Natürlich gibt es auch Dinge, mit denen man nicht zufrieden ist. Aber vor allem hier in der Schweiz erwarten die Architekten eine Qualität der Ausführung, die im Rest der Welt nahezu unmöglich zu erreichen ist. Wir schätzen das, denken aber auch, dass es schön wäre, diese Qualität wieder mit mehr Leben zu füllen. Hier in der Schweiz arbeiten wir oft mit Umbauten denkmalgeschützter Gebäude. Diese Dinge im Hinterkopf zu behalten, heisst auch zu bedenken, wie die Leute Dinge früher gelöst haben, als es weniger Maschinen gab, aber eine konstruktive Logik. Mit den heutigen Methoden versucht man oft, das Unmögliche zu realisieren. 

«Vor allem hier in der Schweiz erwarten die Architekten eine Qualität der Ausführung, die im Rest der Welt nahezu unmöglich zu erreichen ist.»
Thomas Thalhofer

TEC21: Wie fühlen sich die lokalen Architekten, wenn die Konkurrenz aus der Schweiz kommt?

Thomas Thalhofer: Es gibt zwei Arten lokaler Architekten. Mit dem durchschnittlichen libanesischen Architekten haben wir in der Regel nichts zu tun. Er baut das Haus für seine Familie und Freunde und nimmt ein so tiefes Honorar, dass wir gar nicht in der Lage wären, mit ihm zu konkurrieren. Die andere Sorte sind die Kosmopoliten, die offen sind für Einflüsse aus Europa oder den USA. Manche sind auch international tätig, vor allem im arabischen Raum. Davon gibt es etwa sechs oder sieben Büros. Mit einigen sind wir befreundet und pflegen einen Austausch; Konkurrenz ist kein Thema. 

TEC21: Lohnen sich die Projekte im Libanon finanziell?

Roula Moharram: Wir sind dort wählerisch. Ein Projekt soll interessant sein und zumindest unsere Kosten decken. Wir setzen zwar Schweizer Löhne in Prozent an, aber durch die tieferen Baukosten sind automatisch auch die Honorare tiefer. 
Jetzt, wo wir damit Erfahrung haben, arbeiten wir aber auch anders. Zum Beispiel gibt es Pläne, die dort niemand anschaut – also zeichnen wir keine Detailpläne, die ohnehin nicht gebraucht werden. Stattdessen klärt man diese Dinge vor Ort oder macht eine Handskizze. Wir arbeiten effizienter, allein schon wegen der Entfernung. 

TEC21Bemühen Sie sich auch aktiv um Aufträge?

Roula Moharram: Nein, die Anfragen kommen zu uns. Die Bauherrschaften beauftragen uns, weil sie genau wissen, was sie bekommen. Und sie haben den entsprechenden finanziellen Hintergrund, denn natürlich sind wir teurer als ein lokaler Architekt. Für uns ist das spannend, weil es in der Regel aussergewöhnliche Projekte sind. Es ist sehr erfrischend, dort zu arbeiten. Einer unserer aktuellen Aufträge ist zum Beispiel ein Mausoleum für eine Familie – wer würde hier in Europa heutzutage einen Architekten mit einer solchen Bauaufgabe betreuen? 

Thomas Thalhofer: Das ist schon eine spezielle Situation: Man trifft den Kunden, der später in diesem Grab liegen wird. Ungewöhnliche Anfragen sind typisch für Aufträge im Libanon. Kürzlich haben wir ein WhatsApp der Auftraggeberin des Mausoleums bekommen mit einem Bild vom Rohbau und dem Text: «J’ai absolument hâte d’y être» – «ich freue mich schon sehr darauf, dort zu sein». Wir empfanden das als schönes Kompliment.

Weitere Artikel aus der Serie «Basel/Beirut» finden Sie hier.

Roula Moharram wurde 1968 in Beirut, Libanon, geboren. Sie schloss ihr Studium 1994 an der UP9 Paris–La Seine als Architecte DPLG ab. Von 1994 bis 1999 arbeitete sie als Architektin für Pierre El Khoury & Partners in Beirut. 2000 eröffnete sie das Büro Roula Moharram Architects in Beirut, das sie bis 2009 führte. In Partnerschaft mit Thomas Thalhofer gründete sie 2009 MET Architects in Basel. Im selben Jahr war sie Gastkritikerin am ETH Studio Basel für ein Forschungsprojekt in Beirut. Sie ist weiterhin stark in die Architekturszene Beiruts eingebunden und wird regelmässig zu Jurys eingeladen, hält Vorträge und leitet Workshops. Seit 2018 ist sie Mitglied des Arab Center for Architecture ACA.

 

Thomas Thalhofer wurde 1969 in Augsburg, Deutschland, geboren. 1998 schloss er sein Studium an der FH Augsburg als Dipl. Ing. Architekt ab. Von 1998 bis 2002 arbeitete er als Architekt für Hild und K Architekten in München. Von 2003 bis 2007 war er Projektleiter und Associate bei Christ & Gantenbein Architekten in Basel, von 2007 bis 2009 Projektleiter für Christian Kerez Architekt in Zürich. 2009 gründete er in Partnerschaft mit Roula Moharram MET Architects. Von 2009 bis 2011 war er an der Hochschule Luzern Dozent im Masterstudiengang und 2013 Gastkritiker im Bachelorstudiengang Architektur. Seit 2018 ist er Mitglied des Arab Center for Architecture ACA.

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