«Anfangs war es wie eine Schockstarre»
Trotz Pandemie sollen Auftraggeber, Planer und Ausführende ihren Verpflichtungen nachkommen – im Interesse der Baubranche als Ganzem. Urs von Arx, CEO der HHM Gruppe, plädiert für mehr Sorge zur Wertschöpfungskette.
Espazium: Herr von Arx, wie haben Sie reagiert, als der Bundesrat Mitte März einschneidende Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bekannt gab?
Urs von Arx: Als Pragmatiker fühle ich mich auch in einer Krise grundsätzlich wohl, denn es ist lösungsorientiertes Handeln gefragt. Vieles musste innert Tagesfrist geregelt werden und funktionieren. Wir haben ein Pandemie-Team gegründet mit HR, Finanzen, Prozessen, Kommunikation, Recht und mir als CEO. In der ersten Woche trafen wir uns online täglich, jetzt jeden zweiten Tag. Mittlerweile sind wir an unseren sechs Standorten auf die neue Situation eingestellt. Fast alle Mitarbeitenden arbeiten von zu Hause aus; es hat sich eine gewisse Normalität entwickelt.
Sie leiten ein Unternehmen mit über 220 Mitarbeitenden. Wie verlief die Umstellung?
Wir hatten eine steile Lernkurve. Digitale Tools – wie MS-Office 365, das Kollaborationstool Teams, die Cloud – hatten wir bereits vorher im Einsatz, aber nicht konsequent genutzt. Es musste ein «Ruck durch die Schweiz» gehen, wie Simonetta Sommaruga sagte. Dieser Ruck ging auch durch HHM.
In der ersten Woche nach der Pressekonferenz drehte sich alles um die Frage, wie wir unsere Leistungserbringung im Homeoffice sicherstellen. In der zweiten Woche gab es viel Reporting – was läuft, welche Aufträge werden gestoppt oder zurückgestellt, ist Kurzarbeit ein Thema? In dieser Zeit begannen sich die Büros weiter auszudünnen. Heute sind wie gesagt 80 bis 90% der Mitarbeitenden im Homeoffice. Trotzdem läuft der Betrieb unvermindert weiter.
Wie haben die Mitarbeitenden reagiert?
In gewissen Niederlassungen arbeiten wir schon lange mit Outsourcing und digitalen Kommunikationswerkzeugen, dort war die Umstellung einfacher. Andere Standorte bekunden mehr Mühe. Auch manche Führungspersonen mussten sich neu finden: Wie leitet man beispielsweise dezentral verteilte Teams? Oder bei den Mitarbeitenden fehlte im Homeoffice anfangs die Infrastruktur, was einfach zu lösen war.
Bei diesem «riesigen Sozialexperiment» wiegen andere Tatsachen fast schwerer: Es kommt oft zur Mehrfachbelastung durch Arbeit, Kinderbetreuung und Homeschooling etc. Zwar haben wir in der HHM Gruppe flexible Arbeitsmodelle und Jahresarbeitszeit., doch nicht alle haben diese Strukturen für sich zu nutzen begonnen. Das ist jetzt für viele zusätzlich herausfordernd.
Und Sie – sind Sie gern im Homeoffice?
Ja, ich arbeite noch effizienter. Ein Risiko dabei ist allerdings, dass man beliebig viele MS-Teams-Meetings aneinanderhängen kann, ohne Pause, die sich bei klassischen Meetings mit der An- und Abreise automatisch ergibt. Das ist belastend, und wir werden wohl Spielregeln gegen die Beschleunigungsfalle festhalten.
Wie ist die Stimmung im Team?
Neben dem Herausfordernden sehr positiv. In der Krisensituation sind wir näher zusammengewachsen. Die Leute wissen sich zu helfen, auch wenn das Soziale teilweise zu kurz kommt. So haben einige ein virtuelles Feierabendbier eingeführt. Zudem spielt im Unternehmen die Solidarität: Wir haben einen Solidaritätsfonds ins Leben gerufen für den Fall, dass wir Kurzarbeit einführen müssten. Dieser wird nicht nur mit Unternehmensgeld geäufnet, sondern mit freiwilligen Beiträgen von Mitarbeitenden aus der Gruppe. Einzelpersonen wären bereit, auf einen Teil ihres Lohns zu verzichten. Ich selbst würde allen Lernenden die Differenz zum vollen Lohn persönlich bezahlen. Zurzeit sieht es nicht so aus, dass wir den Fonds brauchen, aber wir ziehen die Idee trotzdem weiter.
Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Pandemie für Ihr Büro?
Wir wissen nie, was kommt. Vieles hängt nicht direkt von uns ab. Eine unserer Baustellen wurde gestoppt, weil das Material nicht mehr geliefert wurde. Eine andere musste geschlossen werden, weil Arbeiter positiv getestet wurden. Es gibt gleichzeitig Lichtblicke: Zwei unserer Roche-Baustellen wurden inspiziert und als Vorzeigebaustellen bezeichnet – dank vorbildlichen Bauherren und ausführenden Firmen. Für eine wirtschaftliche Folgenabschätzung ist es zu früh.
Welche Hilfe erwarten Sie von der öffentlichen Hand?
Die öffentliche Hand hat mustergültig Stellung bezogen, zumindest im Wort. Die KBOB etwa mit ihrer Stellungnahme, die Projekte und Baustellen sollen weiterlaufen; neue Projekte sollen forciert werden; Zahlungen würden entrichtet und es fänden sich auch Lösung für den Mehraufwand. Der Bund hilft Firmen mit Überbrückungskrediten, das ist existenziell. Es ist sehr gut, dass das umsichtige Handeln des Bundesrats keinen kompletten Lockdown nötig gemacht hat. Wer dagegen bedenklich reagiert, ist die Wirtschaft, respektive die Branche selbst.
Inwiefern?
Anfangs war es eine Schockstarre, es floss kein Geld mehr. Dabei spreche ich nicht nur von ausbleibenden Investitionen: Manche Auftraggeber zahlten nicht mehr für Leistungen, die bereits erbracht und geschuldet waren. Professionelle Bauherren wie die Migros kommen ihrer Verpflichtung nach, bei anderen Grossen herrscht dagegen Funkstille. Jetzt braucht es dringend Gespräche zwischen den Verbänden von Auftraggebern, Planern und ausführenden Unternehmungen, damit man sich gegenseitig wieder vertraut. Verbleiben wir in der misstrauischen Starre, dann kommt alles viel schlimmer. Das Geld muss weiterhin durch die gesamte Wertschöpfungskette fliessen; erbrachte Leistungen müssen bezahlt werden.
Und die Berufsverbände?
Sie sind sehr hilfreich, bieten Informationen und Rechtsberatung. Jetzt müssten sie die Marktteilnehmer auffordern, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.
Inwiefern können digitale Tools die klassischen physische Arbeitswerkzeuge (Skizzen und Modelle) ersetzen?
Das ist keine Frage von Entweder-oder: Es braucht weiterhin physische Arbeitswerkzeuge. Im Zusammenhang mit BIM finde ich ohnehin, dass man meist zu früh mit der digitalen Modellierung beginnt. Es wäre oft besser, mehr Zeit in die Konzeptphase zu investieren. Ein digitales Modell zu bauen ist aufwendig, es lohnt sich deshalb, für eine gute Ausgangslage zu sorgen. Ansonsten sehe ich kein Problem: Auch Online-Sitzungen leben sehr gut von und mit Skizzen, man kann gemeinsam an virtuellen Whiteboards arbeiten und Inhalte teilen. Physische Treffen braucht es für Workshops, Jurierungen und dergleichen, wo Kreativität und interaktiver Austausch im Zentrum stehen. Und natürlich für Events, wo der soziale Kontakt wichtig ist.
Welche Chancen bietet die aktuelle Situation für Ihr Unternehmen?
Die forcierte Digitalisierung ist eine Chance für das ganze Bauwesen: Ihre Arbeitsproduktivität und ihr Digitalisierungsgrad sind im Vergleich zu anderen Branchen sehr tief, jetzt muss und kann sie aufholen. Was unser Unternehmen betrifft, so haben wir sehr schnell sehr viel gelernt, und wir werden weiter aus unseren Erfahrungen Schlüsse ziehen. Wir werden uns überlegen, wie wir nach der Pandemie effizient, effektiv und gleichzeitig entschleunigend zusammenarbeiten wollen.
Es stellen sich Fragen: Muss der Grossteil der Belegschaft im Büro sein? Braucht es die Pendelwege? Ich plädiere dafür, dass wir künftig viel mehr Treffen online abhalten. Die Sitzungen sind nach eigener Erfahrung besser vorbereitet und laufen disziplinierter ab. Das funktioniert hervorragend! Die Branche hat die einmalige Chance, ihre Wertschöpfungsdefizite im Vergleich mit anderen Branchen aufzuholen. Dafür wesentlich ist, wie wir künftig digital zusammenarbeiten.
Zur Person:
Urs von Arx ist CEO der HHM Gruppe und Präsident der Stiftung bilding
Zum Büro:Die HHM Gruppe (HEFTI. HESS. MARTIGNONI.) bietet umfassende Engineering- und BIM-Leistungen in der Gebäudetechnik an sechs Deutschschweizer Standorten mit über 220 Mitarbeitenden.
Langjährige HHM-Mitarbeitende bilden die Führungscrew der HHM Gruppe mit ihren selbstständigen, eng miteinander vernetzten Standortgesellschaften.
Auf Stufe der HHM Holding stellen die drei Partner Urs von Arx, René Hert und Werner Muntwyler als Mehrheitsaktionäre das Führungsgremium der HHM Gruppe.
Die Aktien befinden sich vollständig im Besitz von Kadermitarbeitenden.
Projektauswahl:Polizei und Justizzentrum PJZ, Zürich, 2016–2021; Roche New Office Building Hochhaus Bau2 und Pharma research and early development center pRED, Basel, 2014–2022; Kompetenzzentrum für Spitzenathletik und Forschung COC OYM, Cham, 2016–2020
Baukultur in Zeiten von Covid-19
Die Krise, die wir derzeit erleben, trifft alle Planerinnen und Planer. Wie bewältigen sie die wirtschaftlichen und juristischen Schwierigkeiten, die die Pandemie mit sich bringt? Was sind die Auswirkungen auf die Schweizer Baukultur? Antworten von Baufachleuten, Links und Informationen versammeln wir im E-Dossier «Covid-19» – als Austauschplattform und als Hilfe in unsicheren Zeiten.