Star­ker Wan­del mit we­nig Ei­le

Umnutzung der Industriebrache Bernapark, Stettlen BE

Was gilt es beim Übergang von alt zu neu zu beachten? Im Osten der Hauptstadt Bern demonstriert ein privater Investor, wie ein ehemaliges Industrieareal zur Matrix eines dichten und vielfältig nutzbaren Siedlungsstandorts wird.

Data di pubblicazione
24-09-2020

1876 begann die Karton- und Papierproduktion in der Berner Landgemeinde Stettlen, am Ostrand der heutigen Hauptstadtregion. Nun, fast 150 Jahre später, ist die daraus entstandene Grossfabrik in Deisswil – mit mehreren hundert Arbeitern und einer Tagesproduktion von 500 t Pappe – bereits Geschichte. 8 ha des Industriegeländes befinden sich im Wandel: Aus der ehemaligen Kartonfabrik wird ein Quartier für Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeit. Die Arealtransformation setzt auf eine differenzierte Kombination aus Zwischennutzung, Umbau alter Fabrikhallen und baulicher Ergänzung in mehreren Etappen. Der Entwicklungsrahmen für den ersten Teil ist in ­einer kommunalen «Bestandeszone» definiert, die unter anderem den Erhalt von Baudenkmälern, eine hohe ortsbauliche und architektonische Qualität sowie ein Mobilitätskonzept verlangt. Die prägende, fast 300 m lange, mehrmals erwei­terte Fabrikfront muss deshalb stehen bleiben. Aktuell wird dieser Bestand in Holzbauweise aufgestockt. Das Nutzungsprogramm dafür umfasst 173 Mietwohnungen sowie Dienstleistungs- und Gewerbebereiche.

Die Projektträgerin, die Bernapark AG, erarbeitet die Grundlagen für die Arealentwicklung gemeinsam mit dem Architekturbüro Aebi & Vincent, Fachplanern und einer Soziologin. Das langfristige Richtprojekt entsteht in einem zusätzlichen Workshop-Verfahren, das von einem internationalen Gremium begleitet wird. Neben der Aufwertung des Aussenraums und verkehrsarmer Nutzung ist eine emissionsarme Energieversorgung des Areals geplant. Realisiert werden soll dies mit einer thermischen Nutzung des Grundwassers vor Ort.

Das Areal mit weiteren 10 ha grossen Reserveflächen ist Eigentum des privaten Investors Hans-Ulrich Müller und seiner Familie; er engagiert sich seit Stilllegung der Kartonfabrik finanziell und treibt die Umnutzung zum durchmischten Siedlungsquartier langfristig voran.

TEC21: Hans-Ulrich Müller, Sie wandeln die Kartonfabrik in ein dichtes, urbanes Quartier um. Stehen die Industriebauten da nicht im Weg?

Hans-Ulrich Müller: Ja und nein. Die verschachtelte Bauweise des gewachsenen Industriekomplexes erleichtert die Umwandlung sicher nicht. Allerdings sind es genau diese Fabrikbauten, die dem Areal seinen Charme verschaffen. Eine derartige Symbiose zwischen alt und neu trifft man selten an. Wo sonst finden Sie heute noch solche Raumhöhen oder Raumgestaltungen? Den Fortschritt muss man immer mitberücksichtigen. Dabei darf man jedoch die Werte der Tradition nicht aus den Augen verlieren.

TEC21: Wäre eine Tabula rasa nicht einfacher gewesen, um einen nachhaltigen Standort von Grund auf zu realisieren?

Hans-Ulrich Müller: Aus Sicht von Expertinnen und Experten würde ein solches Vorgehen effektiver und finanziell attraktiver beurteilt werden. Persönlich bin ich aber sehr mit der Tradition verbunden. Deshalb haben wir intern viel darüber diskutiert, ob wir Bausubstanz vernichten wollen und damit in Kauf nehmen, das Ambiente zu verlieren. Der Bestand und seine Geschichte strahlen mehr Wärme aus als elegante und hochmoderne Bauten. Viele Bauten der Kartonfabrik bleiben stehen; wir hoffen auf entsprechende Nachfrage, um diesen Bestand nachhaltig und innovativ nutzen zu können. Mir geht es nicht darum, den Wert zu maximieren, sondern etwas zu schaffen, das die Menschen schätzen.

TEC21: Welche Hürden sind für die endgültige Transformation noch zu meistern?

Hans-Ulrich Müller: Es gibt einiges zu tun, und wir haben viele Ideen. Bis in zwei Jahren soll die erste Etappe abgeschlossen sein und dieser Teil des Areals als eigenes kleines Quartier funktionieren. Die Planung der nächsten Etappe hat bereits begonnen: Beispielsweise möchten wir gern den Mühlebach durch das Areal hindurchlenken; ein Wasserlauf würde dem Quartier eine natürliche Atmosphäre verleihen. Wichtig ist aber der Dialog mit der Bevölkerung, den Behörden und Fachleuten zur geplanten Ortsentwicklung. Deshalb ist besonders erfreulich, dass die Bevölkerung die Umwandlung des Baurechts einstimmig angenommen hat.

TEC21: Und woran könnte das Entwicklungs­vorhaben scheitern?

Hans-Ulrich Müller: An das Scheitern denke ich nicht. Aber mit unerwarteten Verzögerungen ist immer zu rechnen. In den letzten zwei Jahren hatten wir einen Brandfall zu beklagen, und die Pandemie hat das Terminprogramm ebenfalls durchein­andergebracht. Doch wir haben es nicht eilig. Das Engagement als Investor ist langfristig aufgegleist. Meine Familie teilt die Begeisterung für den Bernapark und wirkt aktiv mit. Auch die Nachfolge ist geregelt.

Bernapark, Stettlen BE


Nutzung: 11 Gebäudekomplexe für Wohnen, Arbeiten, Einkauf und Kultur (1. Etappe); 173 Wohneinheiten (Lofts, Maisonette- und Studiowohnungen)

Eigentümer: Bernapark AG, Stettlen

Architektur: GHZ Architekten, Bern/Belp

Energieplanung: ibe Institut bau + energie,
Bern

Realisierung: ab 2015 Entwicklungsplanung; 2018–2022 1. Bauetappe

Areal (1. Etappe): 81 000 m2

Bruttogeschossfläche: 65 000 m2

 

Entwicklung / Planungsverfahren


2010: Erwerb Fabrikareal

2016: Umzonung 1. Etappe durch Gemeinde

ab 2019: Workshops für Entwicklungsplanung

Mit Unterstützung von energieschweiz sind bei espazium –Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»

Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»


Nr. 3/2020 «Immobilien und Energie: Strategien der Transformation»
 

Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

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