Sta­dion von Bul­le – Leer­raum als ord­nen­des Ele­ment

Stade communal de la ville de Bulle; selektiver, einstufiger Wettbewerb

«Interstices sportifs» bedeutet so viel wie «sportliche Zwischenräume». So heisst auch das erstrangierte Projekt zum Umbau des Stadions in Bulle FR. Es untersucht nicht nur die Beziehung zwischen ­Architektur und Landschaft, sondern hinterfragt auch Nutzung und Unterhalt solcher Stätten.

Data di pubblicazione
25-05-2023

Selbst ein Eingriff in die Architektur eines Stadions ist eine Aufgabe, an der sich die Grenzen der Fachdisziplinen aus­loten lassen. Bouleyres, das Stadion von Bulle, grenzt an den gleichnamigen Wald. Grosse Teile der Anlage mit sechs Tartanbahnen, einer überdachten Tribüne, einem Café in einer Ecklage sowie den Fussball- und Tennisplätzen wurden seit den 1980er-Jahren nicht mehr instand gesetzt. Ein Masterplan von 2012 sieht eine 915 m lange Allee vor, die den nördlichen mit dem südlichen Teil des Geländes verbindet. Entsprechend bestand der Wettbewerb nicht nur in der Bearbeitung eines Stadion­baus, sondern vielmehr in der Auseinandersetzung mit einem komplexen System, das sich aus einem ökologischen Netz und weitgehend gut erhaltenen Bestandsbauten zusammensetzt. Diese galt es zu renovieren, um den aktuellen Normen gerecht zu werden und die betriebliche Organisation optimieren zu können.

«Bei einem Sportplatz kommt we­niger dem Volumen als vielmehr dem Leerraum eine ordnende Funktion zu», erklärt der Jurypräsident Manuel Bieler. «Die Sportfelder wirken raumbildend für die Anlage, die Gebäude hingegen dienen nur der Setzung von Akzenten.»

Diese Aufgabe meisterten das Architekturbüro Truwant + Ro­det + und die Landschaftsarchitektin Camille Frechou mit ihrem Projekt «Interstices sportifs» (1. Rang, 1. Preis). Manuel Bieler betont, dass sich das Siegerteam durch sein fundiertes Wissen über die Funktionsweise eines Stadions – also darüber, wie man sich darin orientiert und bewegt – von den Projekten der konkurrierenden Teams unterscheide.

Interstices sportifs

Angesichts der unklaren Zukunft des Stadion-Cafés wendete das Team den gleichen Grundsatz an wie beim Rest des Projekts: Erhalten und Ausgehen vom Bestand – sowohl der Bauten als auch der Landschaft –, um auf diese Weise die erforderlichen Räume zu verorten.

«Die bestehenden Sportfelder zeichnen sich durch ihre Horizontalität aus, die von vertikalen Elementen wie Zäunen, Scheinwerfern oder Toren durchbrochen wird. Die neuen Gebäude fügen sich in diese Umgebung ein und bilden eine Dachlandschaft, die als Metallleicht­bau ausgeführt ist und eine Holzkonstruktion überdeckt», führen die Planenden aus.

Entlang der Nord-Süd-Verbindung plant das Siegerteam ein filigranes Gebäude für die Umkleidekabinen, von dessen überdeckten Galerien die Sportplätze überblickt werden können. Quer dazu, in der Achse zum Nebeneingang des Stadions, entwirft es zwei aneinandergefügte Bogendächer für den Schiessstand sowie für die Mehrzweckhalle. Weiter sieht das Projekt zwei kleine, symmetrische Gebäude auf beiden Seiten der Tribüne vor. Und zu guter Letzt erhält das Café ein neues Dach, um seine Stellung im Gefüge zu stärken.

Élis und Pentathlon

Auch die Büros LVPH architectes (2. Rang, 2. Preis mit «Élis») und ­Boe­glikramp Architekten (3. Rang, 3. Preis mit «Pentathlon») zeichnen sich durch ihren meisterhaften Umgang mit der Architektur und der Landschaft aus. Das erste entwarf ein höhlenartig anmutendes Ge­bäude, das die gesamte Tartanbahn umschliesst und die Umkleidekabinen und das Café beherbergt. Auch wenn die Nutzenden die Lichtverhältnisse der Räume in der aus Aushub aufgeschütteten künstlichen Topografie infrage stellten, stiess das Projekt bei der Jury aufgrund seiner konzeptionellen Kohärenz doch auf Anklang.1

Das zweite Büro schlug einen Holzbau vor, in dem Umkleidekabinen, Buvette, Mehrzwecksaal und Café untergebracht werden. Die Umsetzung des elegant anmutenden Neubaus erwies sich allerdings in Anbetracht der Grösse des Bauwerks als zu komplexe und zu ehrgeizige Aufgabe für die Bauherrschaft. «Im Gegensatz dazu fand das Siegerteam die richtige Balance zwischen Erhalt und Eingriff», erklärt Manuel Bieler. «Es nahm Probleme vorweg, die in einem gut zehn Jahre andauernden Prozess auftauchen können. Durch seine Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erlaubt das Projekt den Nutzenden, mit den über einen längeren Zeitraum hinweg nötigen Eingriffen umzugehen.»

Zusätzliche Zisternen

«Interstices sportifs» trägt folglich nicht nur dem Raumprogramm Rech­nung, sondern geht noch weiter. Das augenfälligste Bild ist zweifelsohne das der grossen tonnenförmigen Zisternen, die nicht im Programm vorgeschrieben waren und die zusammen mit den grossen, teils konvexen, teils konkaven Dächern Wasser für die Bewässerung der Sportfelder sammeln. Kunstrasenplätze benötigen entgegen der allgemeinen Auffassung während den sommerlichen Hitzewellen teilweise mehr Wasser als Naturrasenplätze. Die runden, glänzenden ­Bäuche dieser Bauten werden zum Emblem des Projekts, gewissermassen zum Symbol für das Klima, und übernehmen nicht nur eine technische Funktion, sondern entwickeln eine geradezu tektonische Sprache. Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass Silos in der Architektur als Gestaltungs­element eingesetzt werden – für Le Corbusier waren es «die prachtvollen Erstgeburten der neuen Zeit».2

Jedoch erinnern die Zisternen in Bulle aufgrund ihrer Grösse eher an eine Ästhetik in der Manier von ­Gurzelen3 als an die in der Moderne bejubelten amerikanischen Stahlbetonkolosse.

Hundert Jahre danach, zu einem Zeitpunkt, wo die Frage im Raum steht, wie Bestand und Energie in Einklang gebracht werden können, sind Bestrebungen dieser Art, die Nutzung und Unterhalt in den Mittelpunkt des architektonischen Projekts stellen, durchaus begrüssenswert.

Anmerkungen
1 Das Projekt erinnert im Übrigen an den Wettbewerbsbeitrag von LVPH für das Stadion Coubertain in Lausanne aus dem Jahr 2016 (2. Preis).
2 Le Corbusier, 1922 – Ausblick auf eine Architektur, Basel: Birkhäuser 2000, S. 40.
3 Stéphanie Sonnette, «Occuper le terrain: l’esprit Gurzelen», in: TRACÉS, Heft 2, 2022.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 17–18/2023 «Raumgestaltung nahe am Menschen».

-> Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «Interstices sportifs»
Truwant+Rodet+, Camille Frechou, Basel
2. Rang, 2. Preis: «Élis»
LVPH architectes, Fribourg
3. Rang, 3. Preis: «Pentathlon»
Boeglikramp Architekten, Fribourg

FachJury

Manuel Bieler, Architekt, Zürich; Christiane von Roten, Architektin, Lausanne; Anne-Marie Wagner, Architektin, Basel; Patrick Aumann, Architekt, Fribourg; Mehmet R. Hikmel, Architekt, Bern (Ersatz)

SachJury

Éric Gobet, Gemeinderat, Bulle; Jérôme Tornare, Gemeinderat, Bulle; Malik Seydoux, Generalrat, Mitglied der Planungskommission, Bulle; Nicolas Pasquier, Gemeinderat, Bulle (Ersatz)

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