«In den Schutzwäldern werden wir Probleme bekommen»
Der Wald auf der Alpensüdseite ist ein anderer als nördlich des Gotthards. Gegenwärtig verändert er sich in atemberaubendem Tempo. Hier zeigt sich heute, was vielleicht morgen oder übermorgen auch in der Nordschweiz geschehen wird. Ein Gespräch über die treibenden Faktoren mit dem Tessiner Forstingenieur Marco Conedera.
Mit einem Anteil von mehr als 50 % an der Kantonsfläche ist das Tessin der Kanton mit dem höchsten Waldanteil in der Schweiz. Seit 1900 hat sich die Waldfläche im Tessin ungefähr verdoppelt. Eine ähnliche Entwicklung fand auch in den Bündner Südtalern statt. Nach verheerenden Unwettern und Überschwemmungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten zuerst zahlreiche Aufforstungen zu einer leichten Zunahme der Waldfläche. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte sich die Ausdehnung des Waldes. Viele nicht mehr bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen wuchsen ein und wurden zu Wald.
Alles gut für den Wald, könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch die Wälder der Südschweiz sind derzeit einem starken Wandel unterworfen. Seit einiger Zeit sterben auffallend viele Kastanienbäume ab. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Eine wichtige Rolle spielen Trockenheit und hohe Temperaturen im Sommer sowie Krankheiten und Schädlinge. Aber auch die fehlende Bewirtschaftung ist ein wesentlicher Faktor. Diese Entwicklungen bringen Herausforderungen mit sich, insbesondere im Schutzwald.
Ein vertiefter Blick auf die Wälder der Südschweiz und wie sie sich verändern, lohnt sich. Auf der Alpensüdseite zeigt sich heute, was vielleicht morgen oder übermorgen auch in der Nordschweiz geschehen wird.
Seit über 35 Jahren beschäftigt sich Marco Conedera mit den Wäldern und Ökosystemen auf der Alpensüdseite. Im Gespräch mit espazium.ch zieht der promovierte Forstingenieur Bilanz und benennt aktuelle Herausforderungen.
Herr Conedera, wie haben Sie den Wald als Kind erlebt? Welche Bedeutung hatte er für Sie?
Mein Vater war Holzhändler und hatte eine Sägerei. Als Kind war der Wald für mich primär ein Holzproduzent. Auch die Kastanienwälder waren vor allem Nutzwälder. Pfähle für die Reben, Streu für das Grossvieh, die Ziegen trieben wir in den Kastanienwald. Mein Grossvater war Steinhauer. Er unterhielt aber auch einen kleinen Bauernbetrieb. Einige Kühe, ein Schwein, 15 Ziegen. Später hatten mein Vater und ich nur noch die Ziegen, und nachdem mein Grossvater gestorben war, hatten wir auch diese nicht mehr. Die klassische Landnutzung im Tessin habe ich in der Schlussphase noch erlebt.
Später haben Sie an der ETH Zürich Forstwissenschaften studiert bzw. Forstwirtschaft, wie es damals noch hiess.
Ich wollte nicht in die Fussstapfen meines Vaters treten. An der ETH hörten wir im ganzen Studium aber kaum etwas über den Wald auf der Alpensüdseite. Über die Kastanie lernten wir gerade einmal, dass es eine Baumart ist. Waldbrand war kein Thema. Das dominierende Thema im Studium in den frühen 1980er-Jahren war das Waldsterben. Indirekt war das auch der Grund, weshalb ich 1988 ins Tessin zurückgekehrt bin. Über die Sanasilva-Waldschadensforschung hat die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL – damals noch Eidg. Anstalt für das Forstliche Versuchswesen – zwei Pilotprojekte in der Süd- und Westschweiz gestartet, um den Nutzen von regionalen Aussenstellen zu testen. Meine erste Aufgabe bestand vor allem darin, Erkenntnisse zum Waldsterben, die an der WSL erarbeitet wurden, in der italienischen Schweiz bekannt zu machen.
Eigentliche Waldforschung gab es in der Südschweiz damals nicht?
Seitens der WSL gab es damals nur drei Forschungsthemen, die alle mit dem Kastanienrindenkrebs zu tun hatten. Diese Krankheit wird durch einen nach dem Zweiten Weltkrieg eingeschleppten Pilz verursacht. Man suchte nach Ersatzbaumarten für die Kastanie, denn man glaubte, diese sei in ihrer Existenz bedroht. In Copera oberhalb von San Antonio entstand eine grosse Versuchsfläche mit fremdländischen Baumarten. Dann gab es Kreuzungsversuche mit pilz-resistenten asiatischen Kastanienarten. Und schliesslich untersuchte man den Pilz, der den Kastanienrindenkrebs verursacht. Es zeigte sich nämlich, dass dieser selber wiederum von einem Virus befallen wurde und deshalb weniger aggressiv war als anfänglich angenommen.
An Herausforderungen mangelte es also nicht.
Herausforderungen gab es sehr wohl. Die Leute hier waren es jedoch gewohnt, keine spezifische Unterstützung von den Forschungsinstitutionen oder der Berner Bundesverwaltung zu erhalten. Zudem blickte man vorwiegend durch die Deutschschweizer Brille auf den Wald auf der Alpensüdseite, auch mit einer gewissen Überheblichkeit. Die Förster haben einiges übernommen, wie zum Beispiel die direkte Umwandlung der Kastanienwälder mit raschwüchsigen Nadelbaumarten – ein Ansatz, der bei der lokalen Bevölkerung nie wirklich angekommen war. Als wir mit dem Revierförster und Kreisförster in Arosio im Malcantone zum ersten Mal ein Projekt für die Wiederherstellung einer eingewachsenen Kastanienselve vorgeschlagen hatte, sagte der Kreisförster zu mir, er habe zum ersten Mal gespürt, dass sich die Bevölkerung dafür interessiere, was wir machen wollten. So entstand das erste Projekt der Wiederherstellung einer Kastanienselve im Tessin. Das Ergebnis waren freigestellte Fruchtbäume weitgehend ohne Zwischenbewuchs auf einer Weide. Vorbilder dazu hatten wir in Italien und Frankreich gesehen.
Man spricht auch von einer Kastanienkultur. Wie hat die Renaissance angefangen?
Auf der Alpensüdseite war uns immer bewusst, dass es bei den Kastanien verschiedene Sorten gibt. Wir wussten auch, dass die Marroni, die man überall an den Ständen kaufen kann, aus Italien kommen. Warum das so ist, war mir aber nicht klar. Und so habe ich begonnen, alte Bücher und Berichte über die Kastanie zu lesen.
Sie wollten wissen, wieso im Tessin keine Marroni angebaut werden?
An den Wochenenden habe ich begonnen, ein Inventar der Sorten zu erstellen. Und habe so begriffen, dass es einen Anbau für das Überleben der Menschen gibt oder gab und einen für den Handel. Überall wo die Kastanie als Nahrungsmittel wichtig war, hatte jede Familie fünf bis sieben Sorten mit unterschiedlichen Eigenschaften angebaut. Wichtig waren vor allem auch Sorten für die Mehlproduktion. Oder solche für die Mast der Nutztiere. Die Sorten unterschieden sich auch im Reifezeitpunkt der Kastanien. Wo hingegen gute Bodenverhältnisse vorlagen, ein günstiges Klima herrschte, was in der Südschweiz eben oft nicht der Fall ist, und es darüber hinaus einen Zugang zu Absatzmärkten gab, wurden und werden heute noch Marroni kultiviert. Die Marroni ist also eine Sorte. Bezüglich Kalorien eigentlich nicht sehr interessant. Für die Vermarktung eignet sie sich aber, weil die Früchte sich gut schälen lassen, rund sind und so in der Pfanne rollen. Für den direkten Konsum erzielen Marroni mehr als doppelt so hohe Preise wie herkömmliche Kastaniensorten.
Wie konnten Sie die in der Südschweiz vorkommenden Sorten lokalisieren?
Von am Dialektwörterbuch der italienischen Schweiz beteiligten Personen erhielt ich noch nicht publizierte Angaben von Sortennamen, die gemäss einer Umfrage Anfang des 20. Jahrhunderts in jeder Gemeinde vorkamen. Auf diese Weise erstellte ich für jede Sorte ein Blatt und vermerkte, wo sie vorkommen sollte. Über die Gemeindekanzleien nahm ich Kontakt auf mit den Präsidenten der Bürgergemeinden, um zu erfahren, welche alten Leute im Dorf noch etwas zu den Kastaniensorten wissen könnten. Dann ging ich vorbei, suchte das Gespräch mit den ihnen und erwähnte die Namen der Sorten. Oft kamen dann die Erinnerungen, und zusammen konnten wir noch stehende Bäume von mehr als 50 Sorten finden. So entstand für jedes Dorf ein Plan. Auf dieser Basis konnten später genetische Untersuchungen durchgeführt und morphologische Beschreibungen der Sorten gemacht werden.
Und dann ging es richtig los mit der Restaurierung der Kastanienselven.
Die Kastanienselve in Arosio war ein grosser Erfolg. Der Förster im Malcantone, Carlo Scheggia, realisierte weitere Projekte. Jede Gemeinde wollte ihre eigene Selve haben. Sowohl der Kanton Tessin wie auch Graubünden und vor allem der Fonds Landschaft Schweiz unterstützten die Projekte. Inzwischen werden in der Südschweiz ungefähr 450 Hektar Kastanienselven wieder bewirtschaftet.
Viele Selven im Malcantone, Misox und Bergell sind wiederhergestellt. Aber werden sie künftig auch gepflegt? Lebt sie, die Kastanienkultur?
Das Bundesamt für Landwirtschaft gewährt für die Pflege der Kastanienselven Direktzahlungen, obwohl diese rechtlich zum Waldareal zählen. Damit können Pächter die Bewirtschaftung dieser Flächen in ihren Betrieb integrieren. Wichtig waren auch touristische Initiativen wie der Sentiero del Castagno im Malcantone sowie die Lancierung von Kastanienprodukten. Wir führten auch Forschung im Bereich der Biodiversität durch und konnten zeigen, dass gepflegte Selven ein Hotspot der Biodiversität sind. Das hat alles sehr geholfen. Eine wichtige Rolle bei der Pflege der Selven sowie der Ernte und Vermarktung der Produkte spielt der Zusammenschluss der Bewirtschafter in der Associazione castanicoltori della Svizzera italiana. Die Kastanienkultur ist inzwischen breit abgestützt.
Ein anderes wichtiges Thema sind Waldbrände. Wie wurde das Feuer zu einem Forschungsthema?
Weil ich mein Büro zuerst bei der Tessiner Kantonsverwaltung hatte, hatte ich direkten Kontakt mit dem Forstdienst des Kantons. Um 1990 gab es nur wenige Personen, die die sich für das Thema interessierten. Der damalige Kantonsförster Ivo Ceschi erstellte aus eigener Initiative anhand verschiedenster Quellen eine Liste mit den Waldbränden, die sich seit 1900 im Tessin ereignet haben. Er vermerkte Ort, Datum und Zeit, Grösse, Ursache. Diese Daten bildeten das Grundmaterial für hundert Jahre Feuergeschichte. Wir stellten beim «Nationalen Forschungsprogramm 31 Klimaänderungen und Naturkatastrophen» ein Gesuch zur Aufbereitung und Analyse der Daten. Das Projekt wurde bewilligt. So entstand die erste Waldbranddatenbank für das Tessin und Misox, die seither vielen Forschungsprojekten als Grundlage dient und inzwischen als nationale Waldbranddatenbank weiterentwickelt worden ist.
Und was waren die ersten Erkenntnisse?
Wir haben wichtige Zusammenhänge erkannt, zum Beispiel, dass der Haupttreiber vieler Brände in den 1960er-Jahren nicht das Klima war, sondern die Änderung respektive die Aufgabe der Landnutzung. Vereinfacht gesagt, hatten wir vor allem so viele Waldbrände, weil viele Flächen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wurden und verwaldeten. Wir erkannten, dass es unterschiedliche Feuerregimes gibt, die sich ändern können. Es gibt Wälder, die öfters brennen, andere weniger. Wir begannen so, einiges zu verstehen.
Dann folgten weitere Projekte.
Wir gingen auf Kongresse und lernten die internationale Szene und neue Methoden kennen. Ich beantragte weitere Projekte, zum Beispiel eines über Waldplanung nach Waldbrand sowie ein Nationalfondsprojekt über Erosion nach Waldbrandereignissen. Wir konnten auch bei EU-Forschungsprojekten mitwirken. Am Anfang wusste in Europa kaum jemand, dass es in der Schweiz auch brennen kann. Doch plötzlich war es ein Thema. Die Zusammenarbeit mit Willy Tinner, einem Paläoökologen der Universität Bern, brachte weiteren Schub. Anhand von Pollenuntersuchungen erforschten wir langfristige Zusammenhänge zwischen der Vegetation und Waldbränden, die noch heute als Basis zum Verständnis der Feuerökologie unserer Waldbaumarten dienen.
Was sind die grössten Unterschiede zwischen der Waldbewirtschaftung und der Waldentwicklung auf der Alpensüd- und Alpennordseite?
Auf der Alpensüdseite haben wir bei der Waldpflege keine Tradition. In den unteren Lagen waren die Kastanienwälder oft Teil der Landwirtschaftsbetriebe. Man liess den Wald wachsen und nutzte einfach das Holz. Früher gab es verbreitet auch Köhlerei. Die Nutzung war auf Masse ausgerichtet, nicht auf Qualität. Oft liegen auch topografisch schwierige Verhältnisse vor, flachgründige Böden, viele Felsen.
In der Südschweiz sterben auch viele Bäume ab, zum Teil auf grösserer Fläche. Was sind die Gründe dafür?
Die Probleme zeigen sich vor allem in den unteren Lagen im sogenannten Kastaniengürtel. Dort sind die Kastanienbäume aufgrund der menschlichen Nutzung viel stärker verbreitet, als sie es von Natur aus eigentlich wären. Oft wurden der Wald als Niederwald für Pfähle oder zur Brennholzgewinnung genutzt. Die Niederwaldausschläge wurden nach wenigen Jahren geschlagen, aus den verbliebenen Stöcken bildeten sich neue Generation von Ausschlägen. Diese Waldbestände sind eigentlich Monokulturen mit sehr kurzen Umtriebszeiten. Wenn nicht genutzt, werden die sehr schnell alt. Zum Teil kippen dann ganze Stöcke mit ihren gross gewordenen Ausschlägen um. Der Schutzwald wird so selber zu einem Risiko.
Inwiefern machen die Trockenheit und Krankheiten den Bäumen zu schaffen?
Die zunehmenden Sommerdürren sind vor allem für die Kastanie ein Problem. Im extremen Jahr 2003 litten die Bäume vor allem im Mitteltessin, während 2022 die Trockenheit ihre Spuren im Südtessin hinterliess. Hinzu kommt die hohe Anfälligkeit der Kastanie gegenüber eingeschleppten Krankheiten und Schädlingen. Die Kastaniengallwespe stellten wir erstmals 2007 fest. Sie richtete beträchtliche Schäden an, weil es einige Jahre dauerte, bis ein Gegenspieler ebenfalls einwanderte. In Italien wurde dieser Antagonist, der die Larven der Kastaniengallwespe befällt, aktiv freigesetzt, während die Bundesbehörden dies in der Schweiz nicht erlaubten. Dies alles führt zu einer Schwächung der Kastanienbäume, die nun hektarenweise absterben. In siedlungsnahen Wäldern kommen auf diesen Flächen oft Neophyten wie etwa der Götterbaum oder die Chinesische Hanfpalmen auf.
Wann wurden die Neophyten im Wald zu einem Thema?
Die Robinie bereits um 1970. Sie war eine Pionierin auf aufgegebenen Landwirtschaftsflächen. Dass immer mehr Neophyten im Wald Fuss fassen, stellen wir ungefähr seit 2000 fest. Naturschutzfachleute bemerkten damals, dass Götterbäume in Auenwäldern und auf Magerwiesen aufkommen.
Sind diese neuen invasiven Arten eine echte Bedrohung?
In Naturschutzgebieten oder auch Auenwäldern werden Massnahmen ergriffen. Das Problem sind meiner Meinung nach aber nicht die neuen Arten selber, sondern unsere mangelnden Kenntnisse über ihre Ökologie und Eigenschaften, insbesondere betreffend der verschiedenen Schutzwirkungen wie Bodenstabilisierung oder Schutz gegen Steinschlag. Viele dieser Arten werden sich mit der Zeit aber einpassen und schwächer werden. Langfristig dürfte sich das also einpendeln. In den Schutzwäldern werden wir aber Probleme bekommen.
Inwiefern?
Von den neuen invasiven Arten kennen wir das Schutzpotenzial noch nicht im Detail und wegen der hohen Wildbestände wird es für die meisten einheimischen Baumarten immer schwieriger hochzukommen. In Schutzwäldern müssen jedoch junge Bäume aufwachsen können, damit die Schutzwirkung gewährleistet bleibt. Gerade in den geschwächten, gleichförmigen und labilen Kastanienwäldern sind die Verjüngung und das Aufwachsen von anderen Baumarten zentral. Es sind vor allem Rothirsche und zum Teil auch Rehe, die an den Trieben der Bäumchen fressen und die Rinde abschälen. Das Problem ist schon länger bekannt. Nun spitzt es sich aber dramatisch zu, auch weil die milden und schneearmen Winter der letzten Jahre kaum mehr selektiv auf den Wildbestand gewirkt haben. Wenn wir nicht massiv Gegensteuer geben, geraten wir in grosse Probleme.
Was müsste getan werden?
Es gibt eben viele Interessen. Und die Waldfachleute können ihre Anliegen oft nicht durchsetzen. Es braucht einen breit abgestützten politischen Willen, dann ist sehr viel möglich. Das geschieht erfahrungsgemäss aber erst nach einer Katastrophe. 1868 bewirkten die schlimmen Unwetter und Hochwasser ein Umdenken bei der schweizerischen Waldpolitik. Nach den dramatischen Waldbränden im Jahr 1973 reagierte die Tessiner Politik und investierte sehr viel in die Prävention und Bekämpfung von Waldbränden. Heute ist der Kanton Tessin beim Waldbrandmanagement in der Schweiz führend.
Sie sind vor mehr als 35 Jahren ins Tessin zurückgekommen. Wie hat sich seither dein Blick auf den Wald und die Ökosysteme in der Südschweiz verändert?
Früher war ich hoffnungsvoller. Ich dachte, wir könnten eingreifen und die Wälder überführen und anpassen, mit der Natur arbeiten. Da bin ich heute viel skeptischer. Der Spielraum ist eng geworden. Für die Försterinnen und Förster stellt sich die Frage, ob und wie sie überhaupt eingreifen sollen. Gelingt es uns nicht, die Wild-Problematik zu lösen, so werden wir mittelfristig grosse Probleme mit der Schutzwirkung der Wälder bekommen. Im Extremfall ist die Sicherheit der Alpentäler in Frage gestellt.
Gesprächspartner
Dr. Marco Condera studierte Forstwirtschaft an der ETH Zürich und begann 1985 für die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL zu arbeiten, seit 1988 im Tessin. Conedera doktorierte über Feuerökologie, Waldbrandgeschichte und Waldbrandrisiko in der Südschweiz. Ende Jahr gibt er die Leitung der WSL-Forschungsgruppe auf der Alpensüdseite an die jüngere Generation weiter.
WSL-Forschung über Wald und insubrische Ökosysteme in Cadenazzo
Ein Team der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL im Tessin gibt es zwar schon länger. Zunächst mit der Umsetzung von Forschungsergebnissen beauftragt, betreibt die Gruppe erst seit 2006 offiziell Forschung. Damit dies möglich wurde, musste zusammen mit Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschung des Bundes, ein gemeinsamer Forschungsstandort in Cadenazzo aufgebaut werden. Dieser wurde 2016 eröffnet.
Die Mitarbeitenden der WSL forschen über den Wald auf der Alpensüdseite sowie über insubrische Ökosysteme. Als Insubrien wird heute eine grenzübergreifende Region zischen dem Po, den norditalienischen Seen und dem Kanton Tessin bezeichnet. Das Gebiet zeichnet sich durch ein feuchtes und mildes Klima aus. Die wichtigsten Themen der Forschungsgruppe sind die Kastanie und ihre Kultur, Feuerökologie und Waldbrandmanagement, invasive Organismen und Veränderungen der traditionellen Landschaft.
Webseite der Forschungsgruppe: wsl.ch
Weitere Informationen:
Kastanienkultur allgemein
dortige Biodiversität