Hermann Herters empfindliches Erbe
Kommentar
Das Tramdepot Elisabethenstrasse ist nun energieeffizient und bietet Komfort für die dort Arbeitenden. Der Charakter des quartierprägenden Bauwerks hat dennoch gelitten. Ein Kommentar von Paul Knüsel, stellvertretender Chefredaktor TEC21.
Wer mit dem Auto von Süd oder Ost durch Zürich fahren will, muss des Öfteren vor einem Lichtsignal stoppen. Als Gegenleistung erhält man spannende Einblicke in das Wirken des früheren Stadtbaumeisters Hermann Herter (1919 –1942). Er legte die linksufrige SBB-Linie tiefer und flankierte die damals kaum motorisierte Einfallsachse mit öffentlichen Bauten. Der Reihe nach realisierte Herter selbst die Sportanlage Sihlhölzli, die Brandwache, den Bahnhof Wiedikon und die Trameinstellhalle Elisabethenstrasse. Seine Leistung war das Verbindende; räumlich gehörten nun City und Aussersihl zusammen, und architektonisch wandte sich der Klassizismus dem Neuen Bauen zu.
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Hermann Herters Infrastrukturbauten sind heute noch städtische Marken mit stattlichem und ausgewogenem Ausdruck. Das Tramdepot in Wiedikon konnte er nicht mehr selbst vollenden; aber es gehört wie das Hallenbad City zu seinem Spätwerk. Modernistisch anmutende Details werden mit industrieller Kraft kombiniert; beiden Bauwerken gemein sind grossflächige und transparente Fassaden sowie eine leichte Hallenkonstruktion. Doch leider gehen die Originalstrukturen mit jedem weiteren Eingriff verloren. Vor fünf Jahren wurde das Stadtbad saniert. Man konzentrierte sich bei der Rekonstruktion der lichten Halle auf das Oblicht, das drei Jahrzehnte zuvor geschlossen wurde (vgl. TEC21 7–8/2013). Die Wandfenster dagegen blieben so, wie sie die Stadt schon früher unsensibel verändert hatte.1
Einen anderen Ansatz verfolgte das städtische Bauamt für die Sanierung des 80-jährigen Tramdepots: Die Fensterbänder waren konstruktiv zu erhalten und erhielten inwendig eine transparente Zusatzschicht. Dies verändert jedoch die Reflexion des Lichts ebenso wie den zuvor fein kontrastierten Gesamteindruck: Die Front dieser Glashalle spiegelt und schimmert neuerdings; die Aufdoppelung hebt das Rahmenraster zudem markanter hervor und erzeugt ein Bild, das weniger einer Orangerie als einer beliebigen Industriefassade gleicht. Das Flachdach musste vollständig ersetzt werden, was ein ebenso unbefriedigendes Sanierungsresultat bewirkt. Der verstärkte und vertiefte Dachrand wirkt nun als unproportionaler Fassadenabschluss. Die bautechnische Umsetzung wird nicht angezweifelt; hingegen scheinen die ausgegebenen Sanierungs- und Energieziele eine Bürde für Herters empfindliches Erbe zu sein.
Anmerkung
1 Hermann Herter, Stadtbaumeister von Zürich, Archithese 2/1995