Es muss ni­cht im­mer häs­slich sein

Entwurf und Konstruktion

Woran liegt es, dass das solare Bauen so viele ästhetisch unbefriedigende Beispiele hervorbringt? Wieso haben sich bislang so wenige Architekturbüros ernsthaft damit beschäftigt, die neue Technologie in den Entwurf zu integrieren? Und woher kommt die Trendwende, die sich seit einigen Jahren abzeichnet? Eine Spurensuche.

Data di pubblicazione
16-11-2017
Revision
16-11-2017

Solares Bauen kam im architektonischen Diskurs der Schweiz lange Zeit so gut wie nicht vor. Den meisten Büros, die sich national und international profi­lierten, lag das Thema fern; viele betrachteten die Auseinandersetzung mit Solartechnologie als wenig prestigeträchtiges Betätigungsfeld für Berufskollegen, die ihre ästhetischen Ansprüche längst ad acta gelegt hatten.

Selbstverständlich gab es immer auch Gegenbeispiele, die bewiesen, dass hohe architektonische Qualität und die Produktion erneuerbarer Energien sich keineswegs ausschliessen müssen. Beat Kämpfen und Karl Viridén aus Zürich, Peter Dransfeld aus Er­matingen und einige andere demonstrieren immer ­wieder, dass die Integration von Photovoltaik und Solar­thermie in den Entwurf nicht nur möglich ist, sondern auch sehr inspirierend sein kann. Sie nutzen die neuen Solartechnologien als Bereicherung des zeitgenössischen Formenvokabulars.1

Doch solche Projekte sind Ausnahmen. Die gebaute Realität ist in der Regel eine andere: ungeschlachte Elemente, die ohne Rücksicht auf Kontext, Form, Farbe oder Proportion an Gebäude montiert werden. Das mag wohl daran liegen, dass der Markt bisher wenig Schönes hergab und vielen Akteuren die nötige technische und entwerferische Kompetenz fehlt. Pro­blematisch ist aber auch, dass im Zusammenhang mit Solartechnologie ästhetische Kriterien auf ein absolutes Minimum reduziert werden: Eine Photovoltaikanlage gilt im Allgemeinen schon als gut inte­griert, wenn sie halbwegs symmetrisch angeordnet ist und nicht allzu sehr über den Dachrand hinausragt.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Diese Haltung genügt nicht, um das gestalterische Niveau zu heben. Der Branchenverband Swissolar betont zwar zu Recht: «Die ästhetische Einbindung verschiedener solarer Bauteile ist Herausforderung und Chance zugleich» und empfiehlt, sich sorgfältig damit zu beschäftigen.2 Und auch die Solar Agentur Schweiz scheint mittlerweile für das Thema sensibilisiert; bei der Vergabe des diesjährigen Schweizer Solarpreises3 hat sie mehrere aus architektonischer Sicht gelungene Projekte berücksichtigt, denen eine intensive Auseinandersetzung mit dem gestalterischen Potenzial von Photovoltaikelementen zugrunde liegt (vgl. Bilder über diesem Artikel). Doch diese Entwicklung ist neu.

Noch vor Kurzem schien die Solar Agentur ganz andere Massstäbe anzulegen. Ein Blick auf die Bauten, die in den letzten Jahren ausgezeichnet wurden, legt die Vermutung nahe, dass die Energieertragsoptimierung gegenüber allen anderen Bewertungskriterien ein absolutes Primat genoss. Gewürdigt wurden auch Projekte, die man getrost als Vandalismus im Namen der energetischen Korrektheit bezeichnen kann – etwa wenn die rund hundertjährige, fein gegliederte Fassade eines städtischen Baumeisterhauses zerstört und mit dunklen, hell gerahmten Photovoltaikpaneelen beziehungsweise einer babyblauen Kompaktfassade bestückt wird.

Die Laudatio des damaligen Beurteilungsgremiums offenbart einen verblüffenden Willen, baukulturelle Ver­luste zu ignorieren: «Die Transformation des energie­verschwendenden Mehrfamilienhauses […] in einen verfassungskonformen, gut gedämmten Minergie-P-Bau […] erfolgte ohne Eingriffe in die Jugendstilarchi­tektur.»4 Die ­Energieproduktion dient nicht etwa als Rechtfertigung für die Zerstörung der historischen Fassade – die Zerstörung wird schlicht negiert, was zugleich auch die Notwendigkeit einer Güterabwägung zwischen kulturellen und energetischen Anliegen aufhebt.

Bescheidene ästhetische Ansprüche

Von einer ähnlich einseitigen Betrachtung zeugt Artikel 18 a des Eidgenössischen Raumplanungsgesetzes. Diesem zufolge bedürfen «genügend angepasste Solar­anlagen» auf Dächern in Bau- und Landwirtschaftszonen im Allgemeinen keiner Baubewilligung – im Gegensatz zu praktisch allen anderen Eingriffen in die Gebäudehülle. Lediglich Solaranlagen auf Kultur- und Naturdenkmälern von kantonaler oder nationaler Bedeutung sind bewilligungspflichtig. «Ansonsten gehen die Interessen an der Nutzung der Solarenergie […] den ästhetischen Anliegen grundsätzlich vor.»5 Dieser Grundsatz ist bemerkenswert, weil er faktisch einer Bankrotterklärung gleichkommt: Anstatt die Vereinbarung von ökologischer und gestalterischer Qualität einzufordern, wie dies einem baukulturell privilegierten Land wie der Schweiz anstehen würde, beschränkt sich das Gesetz auf ein resigniertes «genügend». Und so – nämlich «genügend» – sieht der Grossteil der gebauten Realität aus; manchmal auch schlimmer.

All dies trägt wenig dazu bei, ambitionierte Architektin­nen und Architekten für das solare Bauen zu gewinnen. Bedauerlich, denn gebaut wird trotzdem. Bis auf einige Ausnahmen – etwa die Supsi, die gemeinsam mit dem Förderprogramm des Bundes Energie­Schweiz eine Website mit Produkten für das solare Bauen betreibt6 – haben die Hochschulen das Thema jahrelang nur zögerlich behandelt. Das erstaunt doppelt: Zum einen sind wichtige Schritte bei der Entwicklung von gebäudeintegrierter Photovoltaik in der Schweiz erfolgt (vgl. TEC21 48/2017 «Photovoltaik II – die Komposition», erscheint am 1. Dezember 2017). Und zum anderen ist die Verbindung zwischen Entwurf, Konstruktion und Ausführung in der Schweizer Architektur­ausbildung sehr eng, was zu einer im internationalen Vergleich hohen Affinität der Architekturschaffenden für technische Finessen, handwerkliche Qualität und innovative Details geführt hat.

Konstruktive Tradition als Chance

Erst in jüngster Zeit zeichnet sich eine Wende ab. Die ETH Zürich sorgte dieses Jahr für Aufsehen: Im ­Frühlingssemester 2017 stellte Professor Miroslav Šik seinen Studierenden die Aufgabe, gehobene Wohneinheiten zu entwerfen, bei denen die Solartechnologie in der Gebäudehülle integriert ist.7 Das technische Grundlagenwissen brachte die Dozentur Daniel Mettler/Daniel Studer ein. In Kooperation mit Prof. Arno Schlüter vom Lehrstuhl für Architektur und Gebäudesysteme sowie mit Swissolar wurde eine Onlinedatenbank aufgebaut, die Konstruktionen und Produkte zur Nutzung von Sonnenenergie in der Architektur versammelt.8 Ausgerechnet Miroslav Šik, der profilierteste Exponent der als traditionsverbunden geltenden analogen Architektur, hat das Experiment gewagt. Auf den ersten Blick etwas unerwartet, doch eigentlich liegt es nahe, dass die Beschäftigung mit konstruktiven Fragen, wie sie die «Analogen» betreiben, früher oder später die ­Neugier auf technische Innovationen weckt.

Auch in der Praxis lassen sich vergleichbare Ansätze beobachten. Die Basler Architekten Anna Jessen und Ingemar Vollenweider, ehemalige Studierende des ebenfalls konservativen Hans Kollhoff, gewannen 2013 den Wettbewerb für das Amt für Umwelt und ­Energie in Basel mit einem Entwurf, der nicht nur ­städtebaulich und architektonisch, sondern auch mit einem ausgefeilten Energiekonzept überzeugt. Der ­Neubau, der allseitig goldglänzende Photovoltaikfas­saden aufweist, soll 2021 in Betrieb gehen. Und auch huggenbergerfries Architekten, die diesen Sommer ein Haus mit einer All-over-Photovoltaikhülle fertig­gestellt haben (vgl. «Seismograf des Himmels»), greifen auf einen soliden konstruktiven Hintergrund zurück: Adrian Berger hat ursprünglich Hochbauzeichner gelernt, während Lukas Huggenberger und Erika Fries bei Hans Kollhoff studiert haben.

Offensichtlich interessiert das solare Bauen vermehrt auch Architekturbüros, die sich weder mit gebauten Öko-Manifesten noch mit einer didaktischen Techno-Ästhetik hervortun möchten. Der Umgang mit der Solartechnologie sickert langsam ins klassische architektonische Repertoire ein. So ist zu hoffen, dass die Energieproduktion sich allmählich als eine unter den vielen Aufgaben etablieren kann, die eine Fassade oder ein Dach zu erfüllen hat – und die je nach Situa­tion unterschiedlich zu gewichten sind. Dass die Industrie heute eine grössere Vielfalt an Produkten anbietet, kommt als günstiger Umstand hinzu (vgl. TEC21 24/2015 «Gebäudeintegrierte Photovoltaik»). Die Farbenpalette der Photovoltaikelemente umfasst mittlerweile matte Rot- und Brauntöne, die Formate und Kombinationsmöglichkeiten sind flexibler geworden; das erweitert den Gestaltungsspielraum der Entwerfenden erheb­lich. Doch gerade der Neubau von huggenbergerfries zeigt: Auch mit Standardprodukten ist vieles möglich.

Neugier und Kompetenz

Für den baukulturellen Gewinn, der entstehen kann, wenn begabte Entwerferinnen und Entwerfer sich von neuen Technologien beflügeln lassen, gibt es in der Architekturgeschichte viele Beispiele. Insbesondere in der fortschrittsgläubigen Neuzeit haben Baukünstler materialtechnische und konstruktive Innovationen freudig aufgegriffen, um sie für ihre Zwecke zu adaptie­ren. So ermöglichten die breite Verfüg­barkeit von Stahl und die Erfindung des Lifts den Bau von ersten Hochhäusern; die industrielle Produktion von Float­glas war eine Vor­aussetzung für die Vorhang­fassaden der 1960er-Jahre; Alison und Peter Smithson nutzten die Wucht des Stahlbetons für ihre brutalistischen Bauten, Le Corbusier dessen Plastizität für seine Kapelle in Ronchamp; ­Marcel Breuer und Charlotte Perriand experimentierten mit verchromten Stahlrohren, Willy Guhl mit Eternit. Frank O. Gehry griff auf eine ursprüng­lich für die Raumfahrtindustrie entwickelte Software zurück, um die dekonstruktivistischen Formen des Guggenheim Museum Bilbao zu realisieren. In neuester Zeit sind es Innovationen im Holzbau – Leimbinder, CNC-Vorfabrikation, BIM und Robotik –, die der Architektur neue Impulse verleihen. Nur in der Solararchitek­tur schien bisher etwas blockiert zu sein. Höchste Zeit, dass sich das ändert.

Abzuwarten bleibt, ob die solaren Technologien zu einer neuen, spezifischen architektonischen Formensprache führen werden. Idealerweise verlangt ihre ­Nutzung Ost-West-orientierte Bauten mit kompakten Volumen, um ein günstiges Verhältnis zwischen Inhalt und Oberfläche zu erreichen, und geometrisch einfache Dach- und Fassa­denflächen, die sich für das Anbringen von modularen Elementen eignen. Ein eigener Stil ist allerdings nicht absehbar. Im Gegenteil: Die wachsende Vielfalt an Farben, Oberflächen, Formaten und Anwendungsmöglichkeiten macht es immer einfacher, die Solartechnologie in den bestehenden Formenkanon unterschiedlichster Architekturbüros zu integrieren. Die Zukunft wird uns wohl diverse Interpretationen des Themas bescheren.

Anmerkungen
1 Vgl. TEC21-Sonderheft «Solares Bauen», 2013.
2 www.swissolar.ch/ueber-solarenergie/solares-bauen/aesthetik/
3 www.solaragentur.ch/node/775
4 Das Projekt wurde 2016 mit einem PlusEnergieBau®-Diplom gewürdigt. www.solaragentur.ch/sites/default/files/g-16-09-21_jugendstil_peb_sanierung_culmannstrasse_zuerich_def_0.pdf
5 Bundesgesetz über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, Stand vom 1. Januar 2016. Art. 18a RPG ist am 1. Mai 2014 in Kraft getreten.
6www.bipv.ch
7 www.systems.arch.ethz.ch/de/news/2017/06/solar-design-studio--rueckblick.html
8www.buk.arch.ethz.ch/Solardatenbank


Norman Foster Solar Award 2017: Einfa­milienhaus, Tamins GR

Das neue Wohnhaus steht im weitgehend intakten Ortsbild von Tamins und fügt sich mit seinem klaren, schlichten Ausdruck in den Kontext ein. Die geschosshohen, gespreng­ten Holzschiebeläden sind aus sägerohen Tannenbrettern gefertigt, das stili­sierte Satteldach ist mit Photovoltaikpaneelen und Eternitplatten gedeckt. Die Photovoltaikanlage erzeugt 22 750 kWh/a – das ist 44 % mehr als der Eigenenergiebedarf des Hauses. Der Überschuss wird ins Netz eingespiesen.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft: privat


Architektur: Bearth & Deplazes, Chur


Holzbau: Gebr. Möhr, Maienfeld


Elektroanlagen: Alpiq InTec Schweiz, Chur


Photovoltaikanlage: Helion Solar, St. Gallen


Schweizer Solarpreis 2017: Grosspeter Tower, Basel

Alle Fassaden des 21-stöckigen Hochhauses sind mit Photovoltaik bestückt, wobei die dunklen Elemente zu einer tektonisch anmutenden Hülle gefügt sind (vgl. «Durchdachte Gestaltung», TEC21 24–25/2017). Die 440-kW-Anlage und weitere Photovoltaikpaneele auf dem Dach produzieren total ca. 252 000 kWh/a. Daraus resultiert eine Eigenenergieversorgung von 28 %.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft: PSP Real Estate, Zürich


Architektur: Burckhardt + Partner, Basel


Baumanagement: Dietziker Partner, Basel


Solarplanung: energiebüro, Zürich


Solarunternehmung: Planeco, Münchenstein BL


Fassadenbau: Hevron, Courtételle JU


Komponentenlieferant: KACO new energy, Neckarsulm (D)


Schweizer Solarpreis 2017: Sanierung MFH, Zürich

Das Apartmenthaus von 1970 war ursprünglich eine quasi ungedämmte Betonkonstruktion. 2017 wurde es aufgestockt und energetisch saniert. Die fensterlosen Fassadenflächen sind mit 181 m2 solarthermischen Kollektoren bestückt, die ca. 24 200 kWh/a produzieren. Ein 19 m hoher Wasserspeicher, eingebaut in einen nicht mehr benötigten Abluftschacht der Tiefgarage, speichert die überschüssige Wärme. Eine 36 kW starke Photovoltaikanlage auf dem Dach, die ca. 42 100 kWh/a erzeugt, und eine Wärmepumpe mit zwei Erdsonden ergänzen das System. Der Gesamtenergiebedarf ist um 74 % gesunken.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft: privat


Architektur: kämpfen für architektur, Zürich


HLK-Planung: Naef Energietechnik, Zürich


Energiespezialist: Edelmann Energie, Zürich

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