Die Digitalisierung fordert den Tiefbau
Digitale Daten sind der Rohstoff unserer heutigen Wissensgesellschaft. Während im Hochbau schweizweit bereits etliche Projekte digital abgewickelt werden, hinkt der Tiefbau hinterher. Die Gründe liegen unter anderem in der heterogenen Datenqualität und der Vergabepraxis öffentlicher Bauherrschaften.
Im Tiefbau stehen, anders als im Hochbau, in der Regel wenige Fachplanende mehreren Auftraggebenden und Investoren gegenüber: private Bauherren, öffentliche Hand, Vertreter der einzelnen Energie-, Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen. Deren variierende Ansprüche an die Infrastrukturen, die Vielzahl der mitbestimmenden Ansprechpersonen und die zusätzlich entstehenden Schnittstellen machen die Digitalisierung im Tiefbau andersartig komplex als im Hochbau.
Hinzu kommen die unterschiedliche Qualität und Verfügbarkeit der Grundlagendaten. Die Daten zu Strassen, Wasser, Abwasser, Gas, Kunstbauten, Raum und Mobilität sowie Liegenschaften liegen heute in vielerlei Formen vor: Pläne als Kopie, eingescannte PDF-Files, Mikrofilme oder 2-D-/3-D-CAD-Daten. Die Infrastrukturdaten müssen umständlich beschafft und mehrfach erfasst werden. Ein digitaler Austausch findet allenfalls in einigen Teilprozessen statt, in späteren Projektphasen wird wieder zu analogen Daten gewechselt.
Ein weiterer Grund, weshalb die Digitalisierung im Tiefbau womöglich noch stockt, ist die heutige Vergabepraxis. Öffentliche Bauherren unterteilen bereits den Planungs- und Projektierungsprozess in mehrere Phasen und vergeben diese an unterschiedliche Fachplanende, ohne die Schnittstellen speziell zu berücksichtigen. Auch wenn ein Infrastrukturprojekt im BIM als Bauwerksmodell geplant wurde und die Daten digital vorhanden sind, ist es heute noch üblich, dass am Ende des Genehmigungsverfahrens, also bei Verbänden, Fachstellen und der Bevölkerung, die Informationen in Papierform vorliegen müssen. Auch Einsprachen werden weiterhin über den Postweg an die Behörden gesandt. Solche und weitere ähnliche Beispiele lassen sich in allen SIA-Phasen skizzieren. So kann es auch sein, dass Projekte in den Vor- und Bauprojektphasen in BIM geplant werden, die Realisierung aber analog weitergeführt wird.
Von analogen zu digitalen Prozessen
Vor einer Digitalisierung muss der Ablauf der SIA-Phasen 1 bis 6 vom linearen Phasenablauf in einen Kreislauf überführt werden. Im Tiefbau, der sich stark am SIA-Prozessablauf orientiert, beginnt ein Projekt im Grunde bei der letzten SIA-Phase «Nutzung/Bewirtschaftung». Die Infrastruktur ist mehrheitlich als Bestand in Form von Daten vorhanden. Allenfalls liegen Erstellungs- und Sanierungsdaten, die Geometrie oder der Materialbeschrieb vor. Viele Auftraggebende nutzen mittlerweile Geoinformationssysteme (GIS).
Diese Programme verwalten Geodaten, also digitalisierte Karten und Pläne, sodass in Folgeprojekten ein wahrer Fundus an digitalisiertem Wissen verarbeitet werden kann (vgl. TEC21 11/2010). Zwar gibt es diverse Standards betreffend Strukturierung und Qualität der Daten, es fehlen aber zukunftsweisende Normen, die die Geschwindigkeit der Digitalisierung abbilden und dadurch eine einheitliche und durchgängige Datenqualität für die Zukunft ermöglichen.
Für die Projektierung stehen diverse Werkzeuge zur digitalen Bearbeitung zur Verfügung, mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen: CAD ist ein hervorragendes Konstruktionswerkzeug, in der Regel aber zu schwach für den Umgang mit umfangreichen Datenbanken. Geoinformationssysteme können mit den Datenbanken gut umgehen, sind jedoch schwerfällig in konstruktiven Aufgaben. BIM ist ein Prozess beziehungsweise die Sammlung aller Bauwerksdaten in einer Datenbankstruktur, die in einer visuellen wie auch numerischen Weise abgefragt werden können.
Für den Tiefbau ist ein Zusammenrücken aller Systeme unumgänglich. Zudem braucht es einen weiteren Innovationsschritt in Richtung intelligenter Systeme, was bedingt, dass bereits im Bauwerksmodell die Funktionsweise einer Infrastruktur definiert wird. Das heisst, die Kausalzusammenhänge und die zugehörigen Normparameter müssen im Modell definiert sein. Hinterlegt man dem Modell das Wertesystem des nachhaltigen Bauens, so lassen sich Best Practices durch Szenarien und Variantensimulationen nachvollziehbar eruieren.
In der Praxis bedeutet dies eine kontinuierliche Bewertung von Varianten aufgrund zuvor definierter Kriterien, damit die beste Lösung den Weg in die Umsetzung findet. Es sind eine Reihe von Standard- und Spezialsoftwares im Einsatz, die mehr schlecht als recht mit Informationen aus BIM, GIS oder anderen Datenbanken umgehen können. Hier gilt es, die Hürde der ungenügend definierten Schnittstellen zu überwinden, um die Effizienz und Qualität durch eine dynamische Nachführung zu steigern.
Ausschreibung und Bewilligungsprozess
Für Auftraggebende und Unternehmen wird es interessant, wenn das digitale Modell für die Kostenberechnung und Angebotserarbeitung genutzt wird. Dank der Schnittstelle SIA 451 werden bereits heute Leistungsverzeichnis und Angebote digital ausgetauscht. Wenn der Prozess mit dem digitalen Modell unkomplizierte und rasch geführte Interaktionen zulässt, werden sich sowohl die Projekte als auch die Angebote der Bauunternehmungen verbessern. Fehler können lang vor der Bauausführung erkannt und korrigiert werden.
Arbeitsabläufe und Baumethoden sind im Projekt und der Kostenkalkulation realistisch berücksichtigt. Erste Ansätze der digitalen Kostenberechnung gehen bereits viel weiter. Aus dem Modell lassen sich Bestellmengen für Rohre, Kabel oder Schachtbauteile ableiten. Aus dem Bauzeitenplan wird das spätestmögliche Lieferdatum übernommen, das ermöglicht eine Just-in-Time-Lieferung und senkt die Lagerkosten.
Ferngesteuerte Baumaschinen
Dank GPS-unterstützter Maschinensteuerung lässt sich das virtuelle Modell bereits heute auf die Produktions- und Baumaschinen vor Ort übertragen. Die Bauleitung führt Kontrollen und Abnahmen künftig nur noch mit Tablets durch, dokumentiert Änderungswünsche vor Ort und lässt sie unmittelbar in das Modell einfliessen.
Das digitale Modell ermöglicht eine schnelle Ausmasserstellung und zeitnahe Rechnungsstellung, was Wettbewerbsvorteile bringt. Gleichzeitig können alle Zulieferer auf die vorhandenen Daten zugreifen, miteinander kommunizieren und die aktuelle Ausgangslage in ihre Lieferung einfliessen lassen. Nach der Realisierung erhält die Bauherrschaft für den Betrieb ein aktualisiertes 3-D-Modell.
Ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung im Tiefbau sind Web-Applikationen für den laufenden Betrieb und Unterhalt.1 Die Infrastrukturdaten sind systemübergreifend inventarisiert. So können dank digitalem Arbeiten Synergien bestmöglich genutzt und verschiedene Massnahmen, wie die Sanierung des Deckbelags, der Ersatz des Glasfasernetzes oder die Inspektion von Ver- und Entsorgungsleitungen, gebündelt umgesetzt werden. Besser strukturierte und normierte Daten sowie ein optimierter Informationsaustausch führen unmittelbar zu Kostenreduktionen und Effizienzsteigerungen.
Schlüssel zum Erfolg
Die Förderung der Digitalisierung erfordert eine starke Mitarbeit von Verwaltung und Politik. Der Bundesrat hat dies erkannt und Anfang September 2018 seine Strategie «Digitale Schweiz» verabschiedet. Darin werden unter anderem die «hochwertige, effiziente und sichere Kommunikationsstruktur» und die «intelligente, vernetzte und effiziente Mobilität» als Aktionsfelder identifiziert. Der Bund möchte die Vernetzung und höhere Innovationsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft mittels Geodaten fördern.
Die Chancen, die der digitale Wandel eröffnet, sind mindestens genauso gross wie die Herausforderungen. Sicherlich verbessert die kontinuierliche Anwendung von BIM längerfristig die Qualität und Verfügbarkeit von Informationen und ermöglicht Entscheide auf Grundlage präziserer Fakten. Durchgängige Informationsflüsse ohne Medienbrüche nützen schlussendlich auch dem Auftraggebenden, dem Projektierenden und dem Unternehmer. Eine «One size fits all»-Lösung kann es in diesem Bereich jedoch nicht geben. Damit die Digitalisierung im Tiefbau eine Chance hat, müssen Geschäftsmodelle von Kundinnen und Kunden her gedacht werden. Im Vordergrund stehen dabei das Kostenmanagement und die Life-Cycle-Optimierung, ausgerichtet an den SIA-Phasen.
Anmerkung
1 INVERS (http://invers.ewp.ch), eine Dienstleistung von ewp, bietet ein umfassendes Angebot über alle Infrastrukturen an und deckt den gesamten Prozess des Werterhaltungsmanagements integral ab.
«Digitale Schweiz»
Am 5. September 2018 hat der Bundesrat seine Strategie «Digitale Schweiz» für die nächsten zwei Jahre verabschiedet. Die Schweiz verfügt mit ihrem stabilen politischen System und ihrer hohen Innovationsfähigkeit über eine gute Ausgangslage, um das Erfolgsmodell einer lebenswerten, offenen und modernen Schweiz auch in die digitale Zukunft zu tragen.
Vor diesem Hintergrund gibt die Strategie «Digitale Schweiz» die Leitlinien für das staatliche Handeln vor und zeigt auf, wo und wie Behörden, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusammenarbeiten müssen, damit wir diesen Transformationsprozess gemeinsam zum Nutzen unseres Gemeinwesens gestalten können. (Bundesamt für Kommunikation)
Weitere Informationen:
Strategie «Digitale Schweiz», Bundesamt für Kommunikation BAKOM, Geschäftstelle Digitale Schweiz des Bundes (GDS), September 2018.
www.bakom.admin.ch/infosociety