Vom Industriestandort zum Wohnquartier
Studienauftrag im Einladungsverfahren Feldmühle-Areal, Rorschach
Die Stadt Rorschach will ihren Bahnhof ausbauen und mit einer Unterführung Norden und Süden barrierefrei verbinden. Das angrenzende Areal der Feldmühle – der einst grössten Stickereifabrik der Welt – will die Immobilienentwicklerin Steiner AG für Wohnen und Gewerbe nutzen.
Im Rahmen des Doppelspurausbaus planen die SBB neue Wartekanten und Perrondächer für den Bahnhof Rorschach Stadt. Der Hochgeschwindigkeitsanschluss sorgt wieder für eine direkte Anbindung an die Städte St. Gallen und Winterthur sowie an den Flughafen Zürich. Eine Strassenunterführung soll den Norden mit dem Süden erstmals barrierefrei verbinden. Zudem plant die Stadtgemeinde einen neuen Busbahnhof mit Unterständen sowie eine neue Gestaltung der beiden Bahnhofsplätze Nord und Süd.
Das Feldmühle-Areal grenzt direkt an den Bahnhofsplatz Süd an und weist eine Fläche von 27.500 m2 auf. Es steigt vom Bodensee im Norden zum Hinterland im Süden an und liegt zwischen dem Stadtzentrum im Westen und der Parklandschaft der reformierten Kirche im Osten. Die Kirche stellt mit ihrer erhöhten Lage eine wichtige Landmarke in Rorschach dar. Im Areal der Kirchgemeinde befinden sich auch das Pfarramt, das Kirchgemeindezentrum und die Unions Chrétiennes Suisses (CEVI).
Pläne und Jurybericht zum Studienauftrag in der Rubrik Wettbewerbe.
Die Blütezeit des Feldmühle-Areals begann 1882 mit der Stickereifabrik Loeb & Schönfeld. 1991 übernahm die Scapa (Schweiz) AG das Areal und produzierte dort bis 2015 technische Spezialklebebänder. Bereits 2014, als sich das Ende des Industriestandorts abzeichnete, nahm die Stadt das Areal in ihr Entwicklungskonzept zur Erweiterung des Stadtzentrums auf. Die Grundsätze für die weitere Planung wurden in den «Leitlinien für die Entwicklung des Raums – Arealentwicklung Scapa und Raum Stadtbahnhof» festgehalten.
Die neue Nutzung auf dem Feldmühle-Areal soll einen Charakter haben, der an die industrielle Vergangenheit anknüpft. Schützenswert sind zwei bestehende Industriebauten: das ehemalige Verwaltungsgebäude im Norden beim Bahnhof und das Fabrikgebäude im Westen entlang der Feldmühlestrasse. Nur erhaltenswert dagegen sind das Feuerwehrdepot und der Fabrikkamin. Im ganzen Entwicklungsgebiet Stadtbahnhof/Feldmühle als neuem urbanem Zentrum sind keine Hochhäuser, sondern nur höhere Häuser zugelassen.
Seit Mitte 2017 ist die Anlagestiftung Steiner Investment Foundation (SIF) Eigentümerin des Feldmühle-Areals. Sie hat die Steiner AG mit der Projektentwicklung und Realisierung des Gebiets beauftragt. In den kommenden Jahren soll dort ein innerstädtisches Quartier mit gemischter Nutzung für Wohnen und Gewerbe entstehen.
Gemäss aktueller Bau- und Zonenordnung der Stadt Rorschach liegt das Feldmühle-Areal in der Gewerbe- und Industriezone. Um die geplante Entwicklung zu ermöglichen, soll das Areal der neu geschaffenen «Schwerpunktzone» zugewiesen werden. Das im Rahmen des Studienauftrags zur Weiterbearbeitung empfohlene Projekt dient somit als Grundlage für ein Teilzonenplanverfahren mit Sondernutzungsplan. Dafür hat die Steiner AG acht Teams mit den Kompetenzen Architektur und Landschaftsarchitektur zu einem Studienauftrag eingeladen.
Grundsätzlich galt für dieses Verfahren die Ordnung für Studienauftrage SIA 143. Im Widerspruch zur Ordnung steht aber leider die Urheberrechtsregelung, die von allen Teilnehmenden verlangt, nach der Abgabe ihre Immaterialgüter-, Nutzungs- sowie Bildrechte ohne zusätzliche Entschädigung und ohne ihr explizites Einverständnis an die Auftraggeberin abzutreten.
Die Teilnehmenden mussten ein BIM-Modell abgeben, das bei der Vorprüfung zur Ermittlung der Baukosten, zur Kontrolle des Raumprogramms und zur Beurteilung der Effizienz der Projektstudien diente. Die Qualität der Eingaben blieb aber trotz technischem Support für die Teilnehmenden unter den Erwartungen. So führte die fehlende Attribuierung der Flächen zu einem grossen Mehraufwand bei der Vorprüfung.
Postindustrielles Ensemble
Das Beurteilungsgremium empfiehlt den Beitrag des Teams von Baumberger & Stegmeier Architekten und Hoffmann & Müller Landschaftsarchitektur zur Weiterbearbeitung. Ausschlaggebend für diesen Entscheid war die gute Einbettung des Projekts in die Umgebung und die hohe Qualität der Wohnungen. Die Werk- und Textilgasse verknüpfen das Stadtzentrum im Westen und den Grünraum der reformierten Kirche im Osten mit Bodenbelägen, die von Hartflächen zu Wegen in mit Bäumen bepflanzten Grünflächen übergehen.
In Nord-Süd-Richtung überwinden Steige das Gefälle, die durch Höfe und über den Kaminplatz führen. Die geschickten Verbindungen und fliessenden Übergänge machen das Areal durchlässig oder, wie es im Jurybericht heisst, «porös und intim durchwegt». Zum bestehenden grossen Fabrikgebäude (Halle 6) gesellt sich ein parallel stehender Neubau mit Sheddach. Zusammen definieren sie den neuen, erhöhten «Stickereihof». Daneben folgt der «Weberhof» und der «Kaminplatz», der den Übergang zum Grünraum im Osten bildet.
Zwischen der Werk- und der Textilgasse liegt das ehemalige Verwaltungsgebäude, das durch das «Textilhaus» und einen kleinen Neubau mit Bistro und Portiersloge, das das ehemaligen Feuerwehrgebäude ersetzt, flankiert wird. Den Abschluss Richtung See bildet das «Haus zum Stadtbahnhof» mit drei Kuben auf einem gemeinsamen Sockel die den «Mülihof» umschliessen. Viele Wohnungen weisen durchgehende Wohnräume auf. Die Erschliessung variiert von Laubengangtyp bis zum Zwei- oder Vierspänner.
Industriewelt und Grünraum
Schwabe Suter Architekten und Planikum teilen das Grundstück in einen westlichen Bereich, der den Bestand von Industriebauten mit neuen Gebäuden ergänzt, und in einen östlichen Bereich als Erweiterung des Parks der evangelischen Kirche. Die Aussenräume folgen dem vorhandenen Geländeverlauf und bilden eine Kaskade von gut proportionierten Siedlungsräumen. Das bestehende Fabrikgebäude im Westen wird Teil einer Hofbebauung mit zwei neuen Gebäuden und einem neuen Gewerbegebäude im Innenhof.
Die Verzahnung mit dem Park der Kirchgemeinde gelingt mit zwei länglichen Gebäuden, die sich von Westen nach Osten schlängeln. Vom Bahnhofsplatz im Norden bildet ein markanter Kubus den Auftakt, während im Süden ein Lärmriegel zur Pestalozzistrasse hin das Areal abschliesst. Diese Disposition bietet viel Wohnqualität, überzeugte aber in städtebaulicher Hinsicht nicht alle Jurymitglieder. Der Beitrag besticht durch das klare Konzept, das schlüssig aus den unterschiedlichen Nachbarschaften im Westen und Osten entwickelt wurde und mit der Terrassierung respektvoll mit der bestehenden Topografie umgeht.
Zu grosszügig
Das Projekt vom Team Bollhalder Eberle und Hager Partner ist robust. Ein langes Gebäude entlang der Pestalozzistrasse im Süden schirmt das Areal vom Lärm ab. Zwei einseitig geöffnete Blockränder mit grossen begrünten Innenhöfen besetzen die Mitte des Areals. Der Bahnhofplatz ist über den zentralen Feldmühleplatz direkt angebunden und über zwei Durchgänge im Osten und Westen der Pestalozzistrasse mit dem Süden der Stadt verbunden. Das ehemalige Verwaltungsgebäude ist freigestellt und mit viel Abstand zur übrigen Bebauung in Szene gesetzt.
Die Vorzüge des Beitrags liegen in den grosszügigen Aussenräumen sowie den effizienten und attraktiven Wohnungen. Die Jury hätte sich ein kleinteiligeres Konzept mit weniger grossen Etappen gewünscht. Zudem bemängelt sie den Wohnungsmix mit zu vielen 2.5-Zimmer-Wohnungen und den harten architektonischen Ausdruck der Fassaden.
Vielfältige Durchlässigkeit
Baumberger & Stegmeier überzeugen mit einem variablen Konzept, das das industrielle Bebauungsmuster im Süden konsequent weiterentwickelt und mit eigenständigen Typologien im Norden ergänzt. Der Ansatz besticht nicht nur mit qualitativ hochwertigem Wohnraum, sondern auch mit vielfältigen Aussenräumen, die in alle Himmelsrichtungen mit der Umgebung verknüpft sind. Das Feldmühle-Areal wird zu einem auf alle Seiten durchlässigen Vermittler im heterogenen Stadtgefüge.
Weiterbearbeitung
Team 1: Baumberger & Stegmeier, Zürich; Hoffmann & Müller Landschaftsarchitektur, Zürich
Weitere Teilnehmende
Team 2: Bollhalder + Eberle, St. Gallen; Hager Partner, Zürich
Team 3: Dietrich Untertrifaller Architekten, St. Gallen / Bregenz; Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich
Team 4: HHF Architekten, Basel; Westpol Landschaftsarchiteken, Basel
Team 5: Knorr & Pürckhauer Architekten, Zürich; Gersbach Landschaftsarchitektur, Zürich
Team 6: Schwabe Suter Architekten, Zürich; planikum, Zürich
Team 7: wild bär heule architekten, Zürich; Cadrage Landschaftsarchitekten, Zürich
Team 8: Hauenstein La Roche Schedler Architekten, Zürich; Vetschpartner Landschaftsarchitekten, Zürich (Verzicht auf Weiterbearbeitung nach der Zwischenbesprechung)
Jury
Markus Schaefer, Architekt, Zürich und Kyoto (Vorsitz); Lukas Huggenberger, Architekt, Zürich; Lukas Schweingruber, Landschaftsarchitekt, Zürich und München; Ronnie Ambauen, Architekt, Stadtrat und Mitglied Stadtbildkommission, Stadt Rorschach; Ralf Labrenz, CEO SIF, Steiner Investment Foundation; Luzius Hitz, Architekt, Bauherrenvertretung SIF; Michael Schiltknecht, Architekt, Steiner AG, Leiter Immobilienentwicklung, GL; Othmar Ulrich, Architekt; Steiner AG, Bereichsleiter Immobilienentwicklung Region Ost; Angela Deuber, Architektin, Chur (Ersatz)