Raum und Dach für die Na­tur­wis­sen­schaf­ten

Neugestaltung Berner Muesmatt-Areal

Der Architekturwettbewerb zur Neugestaltung des Berner Muesmatt-Areals brachte zwei Siegerprojekte hervor: das städtebauliche Konzept der Arbeitsgemeinschaft Grimshaw/Archipel und den Ersatzneubau des Architekturbüros Gunz & Künzle Architekten.

Data di pubblicazione
17-03-2022

Das Areal Muesmatt ist ein Teil des Entwicklungsschwerpunkts «mittlere Länggasse» der «Strategie 3012» der Universität Bern. Diese Strategie will durch verschiedene Massnahmen erreichen, dass die Universität Bern langfristig über genügend und geeignete Gebäude und Infrastrukturen für Lehre und Forschung verfügt. Einige Gebäude auf dem Areal sind stark sanierungsbedürftig und können den Anforderungen der Naturwissenschaften mit ihrem grossen Bedarf an Laborflächen nicht mehr ausreichend Platz und nur mehr veraltete Infrastrukturen bieten. Insbesondere das Gebäude des Departements für Chemie, Biochemie und Pharmazie (DCBP) ist in die Jahre gekommen, zahlreiche Komponenten der technischen In­frastruktur stammen noch aus den 1970er-Jahren.

Auch fehlt es an Räumen für den Unterricht und die Forschung. Das bestehende Depar­tementsgebäude soll daher in einer ersten Bauetappe durch einen Neubau ersetzt werden. Der Neubau soll in der Arealmitte entlang der Gertrud-Woker-Strasse entstehen; die zweite Bauetappe beinhaltet Neubauten entlang der Freiestrasse. Das Amt für Grundstücke und Gebäude hatte für diese Aufgabe im September 2020 einen Architekturwettbewerb lanciert. Im Wettbewerb wurde ein Projekt für den Ersatzneubau der ersten Bauetappe sowie eine überzeugende städtebauliche Gesamtsicht über beide Bauetappen gesucht.

Das Areal liegt in unmittelbarer Nähe zu städtebaulich sehr wertvollen Bauten im Länggassquartier: Die landesweit bekannte Pauluskirche im Jugendstil von Karl Moser (1860–1936) liegt an der Freie­strasse. Die beiden Gebäude Bühlplatz 5 und Bühlstrasse 26 wurden Ende 19. Jahrhundert als erste Bauten der Universität im damals noch wenig bebauten Länggassquartier erstellt. Sie formen zusammen mit einem ersten Institutsgebäude für das chemische Laboratorium die Strassenlinien zur Bühlstrasse und zur Freiestrasse hin. Auch der Bau an der Bühlstrasse 20 von Otto Rudolf Salvisberg und Otto Brechbühl aus den Jahren 1928 bis 1931 ist ein wichtiges Baudenkmal und über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Wettbewerb mit doppelter Fragestellung

Innerhalb des einstufigen Wettbewerbs waren zwei Fragestellungen zu lösen: Zum einen sollte für das Gesamtareal – aber mit Fokus auf die Baubereiche 1 und 2 – eine überzeugende städtebauliche Lösung sowie ein Gesamtkonzept für den Freiraum und den Verkehr gefunden werden (Ideenteil).

Zum anderen war für den Ersatzneubau der Naturwissenschaften im Baubereich 1, also in der ersten Bauetappe, ein konkreter Projektvorschlag auszuarbeiten (Projektteil). Die Wettbewerbsbeiträge zeigten, dass das geforderte Raumprogramm für die Teams herausfordernd war: Um die hohe angestrebte Dichte zu erreichen und gleichzeitig einen passenden Bezug zur Nachbarschaft zu erreichen, ist ein feines Zusammenspiel von Bauten und Freiräumen nötig. Weil das Profil der historischen Freiestrasse sowie auch das stadtbildprägende Gebäude am Bühlplatz 5 wertvolle Baudenkmäler sind, ist unter anderem eine sensible Planung der Höhe und der Baulinie wichtig.

Insgesamt wurden 26 Projekte vom Preisgericht beurteilt. Wie gefordert schuf jedes Team ein städtebauliches Gesamtkonzept sowie einen Projektvorschlag für die erste Bauetappe. Erwähnenswert am Wettbewerbsresultat ist, dass die jeweiligen Siegerprojekte zum Ideen- und zum Projektteil von zwei unterschiedlichen Teams stammen. Der Grund dafür ist, dass die Ausgangslage bezüglich Städtebau und hochmodernem, anspruchsvollem Laborgebäude sehr komplex war und keine Kompromisslösung akzeptiert werden konnte. Die Umsetzung dieser Art von Wettbewerb und das parallele Jurieren waren gleichermassen herausfordernd und interessant und haben sich gemäss ­Aussage des Jurypräsidenten Fritz Schär gelohnt, weil sie sowohl zu einem fantastischen Laborbau als auch zu einem fantastischen Städte­bauprojekt geführt haben.

Einstimmig entschied sich das Preisgericht für die folgenden beiden Siegerprojekte: Das Projekt «Symbiosis» der ARGE Grimshaw/Archipel mit Sitz in Bern gewann den städtebaulichen Ideenpart. Das Projekt «Kosmos» des Zürcher Büros Gunz & Künzle Architekten siegte mit dem Projektvorschlag für den Neubau des Departementsgebäudes.

Städtebaulicher Part: «Symbiosis»

Der Ideenbeitrag «Symbiosis» der ARGE Grimshaw/Archipel überzeugte das Preisgericht mit drei gut proportionierten Baukörpern, die auf eine Art und Weise mit dem Aussenraum zusammenspielen, dass dieser zu einem Ort lebendigen Austausches – einer Symbiose – zwischen Universität und Quartier werden könnte. Die Grundüberlegung war wie bei den meisten anderen Wettbewerbsbeiträgen auch, dass die hohe Verdichtung im Areal­innern entlang der Gertrud-Woker-Strasse (also die erste Bauetappe) entsprechend kleinere Bauvolumen entlang den Rändern bedingt.

Die Ausrichtung der drei Gebäude schafft räumlich spannende, trapezförmige Aussenräume, die Aufnahme der Gebäudeflucht des historischen Gebäudes am Bühlplatz 5 entlang der Freiestrasse ­einen quartiertypischen grünen Vorbereich. Die Stärkung des historischen Eckbaus Bühlplatz 5 mit einer Erweiterung sorgt für harmonische Verhältnisse der Baukörper im ganzen Strassengeviert und ermöglicht die Schaffung eines Campusplatzes mit Bezug zur Pauluskirche. Durch die arealintern versetzten Gebäudefluchten wird auf eine spannende Weise Enge und Weite in den Aussenräumen erzeugt. Spannend ist die gestufte Höhenentwicklung der neuen Volumina – sie nimmt direkten Bezug auf ihre Nachbarschaft. Während der höchste Bau in der Mitte liegt, bilden die Gebäude entlang der Freiestrasse ein der Höhe des Quartiers angepasstes Gegenüber. Auf Erdgeschossebene haben die neuen Gebäude mehrere Zugänge und unterstreichen so den starken Bezug zum Quartier.

Weitere Pläne und Bilder auf competitions.espazium.ch

Die Grünflächen nehmen die quartiertypischen Vorgärten auf, und der neue Campusplatz, der das Zentrum des neuen Forschungsstandorts bildet, öffnet sich geschickt auf die inspirierende Pauluskirche und generiert so einen deutlichen Mehrwert für alle Quartierbenutzer.

Die Projektverfasser legten Wert auf attraktive Aussenräume, die Atmosphäre, Stadtklima und biologische Artenvielfalt mitberücksichtigen. Dieser Aspekt ist allerdings in den Plänen noch nicht ausreichend ersichtlich und verdient noch mehr Aufmerksamkeit. Im Projektteil wurde «Symbiosis» auf dem sechsten Rang klassiert. Unter anderem, weil die Grundrissorganisation des Neubaus als zu wenig effizient beurteilt wurde und weil die sehr hohen Anforderungen an ein Laborgebäude auch in anderen Bereichen nicht vollständig erfüllt wurden.

Neubau Naturwissen­schaften: «Kosmos»

Der Projektvorschlag «Kosmos» des Büros Gunz & Künzle Architekten präsentiert sich in Form eines – trotz seines grossen Volumens – leicht wirkenden, mehrschichtigen und transparenten Gebäudes. Die kluge Nutzungsverteilung mit einem öffentlichen Erdgeschoss, viel Tageslicht und Wärme in Farbgebung und Materialisierung schaffen eine angenehme Umgebung. Der Entwurf sieht einen Massivbau vor, umgeben von einer Holz-Beton-Verbundkonstruktion. Das Deckensystem besteht aus Brettschichtholzträgern sowie einer Betondeckenplatte und erfüllt problemlos die gestellten Nutzungsanforderungen. Das Preisgericht sieht diesen Beitrag als die passende Antwort auf die komplexe Aufgabenstellung eines Laborge­bäudes in diesem sensiblen städtischen Umfeld. 

Einige Projektbereiche bedürfen bei der Weiterbearbeitung allerdings spezieller Aufmerksamkeit. Es handelt sich um die Spannweiten der Konstruktion an den Stirnseiten, die Fragen aufwirft und die erwünschte Nutzungsflexibilität im Bereich der Praktikaräume beeinträchtigt. Während der ersten Bauetappe ist die erforderliche Anlieferung an der Freiestrasse 3 wegen der Situierung der unterirdischen Veloeinstellhalle derzeit nicht möglich. Die gewünschten Anfor­derungen bezüglich Nachhaltigkeit sollten erreicht werden, jedoch scheinen sowohl die Technikzentralen als auch die vorgeschlagenen Steigzonen zu knapp bemessen. Eine leichte Verbreiterung der Gebäudetiefe könnte zu einer wünschenswerten Vergrösserung der Nebenräume und der Laborlänge sowie zu einer Entspannung der Installationsdichte der Korridorzonen führen. Dank der Kompaktheit des Volumens und der einfachen Ge­bäudetypologie erfüllt das Projekt die Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit.

Das Projekt «Kosmos» erreichte beim Ideenteil den zweiten Rang. Es basiert auf einer einfachen städtebaulichen Strategie: Das Volumen des Neubaus der ersten Etappe bildet ein neues innenliegendes Zentrum, die zwei Gebäude der zweiten Etappe ergänzen die Ränder des Areals entlang der Freiestrasse. Diese beiden Volumen der zweiten Bauetappe vermochten die Jury insbesondere bezüglich ihrer Massstäblichkeit und der postulierten städtebaulichen Strategie einer massvollen Ergänzung der Ränder nicht vollumfänglich zu überzeugen. Gelungen hingegen wirkt der Aussenraum, der sich in der Mitte dieser drei Neubauten befindet sowie die grosszügige platzartige Durchwegung des Areals.

Wie weiter?

Die Ergebnissicherung mit den beiden Teams und dem Juryausschuss findet diesen Frühling statt. Dort wird es unter anderem darum gehen, die beiden siegreichen Projekte aufeinander abzustimmen und gut zu synchronisieren. Aus Sicht der Jury sind die beiden Projekte kompatibel – einige Punkte werden jedoch ausführlicher diskutiert werden müssen, insbesondere bezüglich Landschaftsarchitektur und Umgebungsgestaltung. Während dieses Prozesses  werden die beiden Teams weiterhin von einer Jurydelegation begleitet.

Die Projektverfasser von «Kosmos» haben sich von Anfang an stärker für das zu entwerfende Gebäude interessiert als für die eher abstrakten und noch nicht mit Programm gefüllten Volumen entlang der Freiestrasse, können sich aber gut auf das zweiteilige Verfahren einlassen. Im Rahmen der erforderlichen ­Prio­risierung der Nettoinvestitionen für Hochbauten hat der Regierungsrat entschieden, dass die Realisierung des Projekts um fünf Jahre verschoben werden muss. Aus diesem Grund wird der Start der ersten Bauetappe erst ab ca. 2031 erfolgen. Die Wettbewerbsergebnisse werden entsprechend finalisiert und gesichert.

Bern, Uni Muesmatt, M1
Einstufiger, anonymer Projektwettbewerb im offenen Verfahren

 

Rangierung – Projektteil
1. Rang / 1. Preis: «Kosmos»
Gunz & Künzle Architekten, Zürich; Heinrich Landschaftsarchitektur, Winterthur

 

2. Rang / Ankauf: «Angelica»
Architekturbüro Andrea Roost, Bern; Klötzli Friedli Landschaftsarchitekten, Bern

 

3. Rang / 2. Preis: «Agora»
Nissen Wentzlaff Architekten, Basel; Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart (DE)

 

4. Rang / 3. Preis: «Rezeptor»
Ruprecht Architekten, Zürich; Hager Partner, Zürich

 

5. Rang / 4. Preis: «Connect»
SAM Architekten, Zürich; Andreas Geser Landschaftsarchitekten, Zürich

 

6. Rang / 5. Preis: «Symbiosis»
ARGE Grimshaw/Archipel, c/o Archipel Generalplanung, Bern; Land Suisse, Lugano

 

Rangierung – Ideenteil
1. Rang / 1. Preis: «Symbiosis»
ARGE Grimshaw/Archipel, c/o Archipel Generalplanung, Bern; Land Suisse, Lugano

 

2. Rang / 2. Preis: «Kosmos»
Gunz & Künzle Architekten, Zürich; Heinrich Landschaftsarchitektur, Winterthur

 

Fachpreisgericht
Fritz Schär
Architekt (Vorsitz)

 

Mark Werren
Stadtplaner Stadt Bern

 

Markus Kreienbühl
Immobilien­entwicklung Universität Bern

 

Maria Zurbuchen-Henz
Architektin

 

Markus Stockar
Projektmanager/Gebäudetechniker

 

Yassir Osman
Architekt

 

Sibylle Aubort Raderschall
Landschaftsarchitektin

 

Sachpreisgericht
Beat Keller
Abteilungsleiter Immo­bilienmanagement Bildung Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern

 

Achim Steffen
Abteilungsleiter Bauplanung und -koordination Bildungs- und Kulturdirektion Kanton Bern

 

Markus Brönnimann
Verwaltungsdirektor Universität Bern

 

Susanna Krähenbühl
Abteilungsleiterin Bau und Raum Universität Bern

 

Norbert Polacek
Direktor DCBP Universität Bern

 

Jean-Daniel Gross
Denkmalpfleger Stadt Bern

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