Ver­söh­nung zwi­schen Fri­sch und Dür­ren­matt?

Das Verhältnis der beiden Autoren war nie unproblematisch, aber immer respektvoll. Gelingt nun in Zürich-Albisrieden posthum eine Annäherung? Mit dem Beitrag «Dürrenmatt» von bernath + widmer Architekten und Marco Duarte Architekten entsteht in Nachbarschaft zu Max Frischs ­Freibad Letzigraben ein Ersatzbau für das Schulhaus Utogrund.

Data di pubblicazione
26-01-2024

Ersatzneubau «Schulanlage Utogrund», Zürich-Albisrieden

Einstufiger Projektwettbewerb im offenen Verfahren

Das Schulhaus Utogrund von 1945 gehört nicht zu den gros­sen Würfen des Architekten Robert Landolt, der Zürich mit prägenden Werken wie dem Ver­waltungsgebäude Escher-Wyss, der Badi Enge und dem Waid-Spital bereichert hat. Für die anstehende Vergrösserung und Nutzungserweiterung des Schulhauses ist das Gebäude daher zum Abriss vorgesehen. Auch die umgebenden Bauten sind nicht denkmalgeschützt. Der Umgang damit war den teilnehmenden Büros weitestgehend freigestellt. Der Wettbewerb wurde als einstufiges, offenes Verfahren abgewickelt.

Neben dem notwendigen Neubau war eine erweiterte städtebauliche Analyse gefordert. Das Gebiet hat sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Wohnquartier entwickelt. Grünanlagen und öffentliche Räume sind notwendig, um die Lebensqualität trotz steigender Verdichtung zu erhalten. Für eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung war es wichtig, die Verbindung zwischen den Schulfreiräumen, dem Freibad von Max Frisch im Nord­osten und dem Grünraum um die Wohnbauten von Albert Heinrich Steiner und von Ballmoos Krucker Architekten bis zum Stadion Letzigrund zu definieren.

Vom Grünraum her gedacht

Die Stadt wünschte sich ein Projekt, das ein ökonomisch vorbildliches und ökologisch nachhaltiges Schulhaus mit einer durchlässigen Freiraumgestaltung verbindet. Damit soll «ein Beitrag zur Quartieraufwertung» geleistet werden. Die Jury sieht diese Qualitäten im erstrangierten Projekt «Dürrenmatt» der ARGE bernath + widmer Architekten und Marco Duarte Architekten zusammen mit Krebs und Herde Landschaftsarchitekten. Der Entwurf betrachtet den Städtebau vom Freiraum ausgehend als Negativform und entwickelt hieraus die Bebauung des Areals. Auch wenn man an­zweifeln darf, ob das Spiel zwischen roter Rennbahn und grünem Kunst­rasen so poetisch ist, wie es die Planenden beschreiben, kreieren sie mit ihrem Entwurf eine wichtige und klare Verbindung zwischen den Grünräumen des Quartiers. Die Platzierung des kompakten Volumens in Anlehnung an den Bestand entlang der Dennlerstrasse ist sinnvoll, zumal durch den leichten Rücksprung eine nutzbare Ankunftszone entsteht.

Zur Optimierung des Schallschutzes haben die Architekten die beiden Erschliessungen an die Enden des symmetrisch aufgebauten Körpers gelegt. Vorgelagerte Photovoltaik-Schilde sind zur Klimaop­timierung im Zwischenraum begrünt und sollen durch ihr «bewusst ephemeres» Erscheinungsbild auf die Entwicklungsmöglichkeiten hinsichtlich der Emissionsbelastung hinweisen.

Ein aussen angesetzter Spiel­turm dient gleichzeitig als Lärmschutz für die längsseitig angeord­ne­ten Klas­senräume. Das Erschei­nungsbild zusammen mit der «möbel­artigen» Anmutung der Fassade wird von der Jury allerdings zu Recht hinterfragt. Was in der Zeichnung noch verständ­lich erscheint, wirkt in der Visualisierung unruhig und disharmonisch und reduziert die durch das gestreckte Volumen erzeugte Eleganz. Die an Glasbau­steine erinnernde Struktur der PV-­Schilde und das wenig homogene Material- und Farb­bild der ­Fassade, das dekon­struk­tivistische Tendenzen vergangener Dekaden aufzugreifen scheint, unterstreichen formal nicht die zukunftsweisenden Absichten der technischen Ideen. Einzig die analog anmutende Uhr an der Fassade ist eine erfrischende Referenz auf vergangene Zeiten, die hoffentlich bei einer Überarbeitung erhalten bleibt.

In Sachen ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit weist das Gebäude jedoch in die Zukunft: Minergie P-Eco und SNBS 2.0 können erfüllt werden. Der hohe Holz­an­teil in der Hybridbauweise sorgt für gute Werte bei den Treibhaus­gas­emissionen. Das als Skelettbau konzipierte Schulgebäude erlaubt grösstmögliche Flexibilität in der Bespielbarkeit. Auch die Fassade ist nicht tragend und kann daher bei einer Sanierung mit relativ geringem Aufwand angepasst werden.

Wohin mit dem Raumprogramm?

Erwähnenswert ist auch das präzis durchdachte Tragsystem über der dreigeschossigen Doppelsporthalle, die das Planerteam souterrain unter das Schulgebäude geschoben hat. Ein in der Halle und im Erdgeschoss sichtbares Sprengwerk trägt den bewusst gewichtsreduziert geplanten Schulbau. Als Wermutstropfen bezeichnet die Jury die Positionierung der Halle. Aber ermöglicht nicht gerade diese Anordnung die wichtigen Verbindungen der Freiräume, auch wenn sie Minuspunkte bezüglich Treibhausgasemissionen bringt? Zusammen mit dem Abbruch des Baus von Hermann Herter schafft das Ge­winnerteam die notwendige Durch­lässigkeit zum Letzibad. Die bestehende Dreifachsporthalle dient als formales Gegengewicht zum Schulbau und fasst den Sportplatz.

Auch die zweit- und dritt­rangierten Projekte erreichen die Öffnung durch den Rückbau des Herter-Baus. Die Verfassenden des zweit­platzierten Beitrags «Condenser» bringen die Sporthallen gestapelt am Kopf des Schulhauses im zweiten bis fünften Obergeschoss unter. Dadurch wird der Schulbau so gross, dass das Volumen die Rennbahn teilweise überkragt.

Mit «Delorean» schiesst der Beitrag auf dem dritten Rang über den Planungsperimeter hinaus: Die notwendigen Hallen setzt das Team auf die Dreifachturnhalle, womit es sich in der Vorprüfung die Disqualifikation einhandelt.

Die innere Organisation des Siegerprojekts ist logisch aufgebaut: Die zwei Er­schlies­sungskerne an den Gebäudeenden sorgen für kurze Gänge. Mensa und Bibliothek im durchlässigen Erdgeschoss sind ebenso nachvollziehbar angeordnet wie der attraktiv gelegene Bereich für die Schulleitung und Lehrkräfte mit Terrasse im Attikageschoss. Die in Clustern gruppierten Klassenräume sind durch Zonen mit Gruppenräumen getrennt und durch weitere Teilmöglichkeiten flexibel bespielbar. Diese Clusterbildung sorgt für kurze Wege zwischen den Unterrichtsbereichen, ohne die Kommunikation zwischen den Schülerinnen und Schülern zu unterbinden.

Das Projekt «Dürrenmatt» zeigt, wie unaufgeregt und selbstverständlich die zahlreichen Funktionen und städtebaulichen Anforderungen organisiert und verbunden werden können. Dieses Konzept wird später im Gebäude spürbar sein und sich positiv auf das berufliche und schulische Leben vieler Menschen auswirken. Ein Schulgebäude in einem wachsenden Quartier hat auch die Aufgabe, formal und technisch zu zeigen, was die Zukunft bringen kann. Schülerinnen und Schüler werden sich – nicht immer nur mit Freude – noch Jahrzehnte später an «ihre» Schule erinnern. Technisch erfüllt das Projekt diesen Anspruch weitestgehend, formal ist jedoch noch eine umfassende Überarbeitung der Fassade notwendig, um als Wegweiser für zukünftige Generationen bestehen zu können.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 2/2024 «Starbesetzung für L.A.».

-> Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch.

Teilnehmende

1. Rang, 1. Preis: «Dürrenmatt»
ARGE bernath + widmer Architekten, Zürich / Marco Duarte Architekten, Zürich; Krebs und Herde Landschaftsarchitekten, Winterthur; HSSP, Zürich; Dr. Deuring + Oehninger, Winterthur; Hefti. Hess. Martignoni, Zürich; BAKUS Bauphysik & Akustik, Zürich; Mebatech, Baden; Gruner, Zürich; pom + Consulting, Zürich
2. Rang, 2. Preis: «Condenser»
Dürig, Zürich; uas – unternehmen für architektur und städtebau, Zürich; Pilloni landschaft und städtebau, Zürich; Basler & Hofmann, Zürich; Amstein + Walthert, Zürich
3. Rang, 1. Ankauf: «Delorean»
Figi Zumsteg, Zürich; Meta Landschafts­architektur, Basel; Durable Planung und Beratung, Zürich; dsp Ingenieure + Planer, Uster; Böni Gebäudetechnik, Oberentfelden
4. Rang, 3. Preis: «Return to Sender»
Julian C. Fischer Architekten, Zürich; Alexander Hette Landschaftsarchitekt, Fislisbach; Ferrari Gartmann, Chur
5. Rang, 4. Preis: «Simply the Best»
Walter Wäschle und Flavio Häseli, Zürich; 2nd View, Zürich; Hänni Gartenbau-Landschaftsarchitektur, St. Gallen; Henauer Gugler, Zürich; Markus Venetz, Zürich
6. Rang, 5. Preis: «Montauk»
Meyer Dudesek Architekten, Zürich
7. Rang, 6. Preis: «Homo Faber»
Enzmann Fischer Partner, Zürich; Skala Landschaft Stadt Raum, Zürich; zpf Ingenieure, Zürich; Durable Planung und Beratung, Zürich
8. Rang, 7. Preis: «Der Lauf der Dinge»
Manetsch Meyer Architekten, Zürich

Fachjury

Ursula Müller, Amt für Hochbauten (Vorsitz); Lenita Weber, Amt für Städtebau; Tanja Reimer, Architektin, Zürich; Marcel Baumgartner, Architekt, Zürich; Urs Birchmeier, Architekt, Zürich; Tamara Schubiger, Architektin, Zürich; Katja Albiez, Landschaftsarchitektin, Zürich

Sachjury

Ursula Sintzel, Präsidentin Kreisschulbehörde Letzi; Marcel Handler, Schulamt Stadt Zürich; Hermann Schumacher, Sportamt Stadt Zürich; Jennifer Dreyer, Immobilien Stadt Zürich; Benjamin Leimgruber, Immobilien Stadt Zürich; Peter Möbus, Quartiervertretung

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