Stad­thäu­ser Win­ter­thur

Verzahnung von Neu und Alt

An der Jägerstrasse in Winterthur sind zwei Wohnzeilen entstanden, deren Backsteinfassaden von der Geschichte des ehemaligen Industrieareals erzählen und diese zugleich fortschreiben.

Data di pubblicazione
17-09-2024

Die Transformation des Sulzerareals in Winterthur umfasst zahlreiche Projekte, die über einen grossen Zeitraum sukzessive umgesetzt wurden.1 Den Grundstein für den Umwandlungsprozess des Quartiers legte 1991 das Technikum Winterthur (heute ZHAW), das mit dem Departement Architektur und Bauingenieurwesen in die Halle 180 auf dem Lagerplatz einzog. 2014 folgte die Erweiterung und der Umbau der Halle 181 mit der Gartenstadtfassade zu den Gleisen von KilgaPopp Architekten und 2021 stockte das Baubüro in situ die Halle 118 mit gebrauchten Bauteilen auf.2 Gegenüber, auf dem Areal des ehemaligen Werk 1, entsteht zwischen alten Hallen und Gewerbebauten Wohnraum für 1500 Menschen. Der Gestaltungsplan von 2013 stammt von Annette Gigon / Mike Guyer Architekten. 

Geht man heute am Rand des Areals die Jägerstrasse entlang, erinnern die Backstein- und Putzfassaden der angrenzenden Reihenhäuser, der sogenannten «Liverpool-Häuser» aus den Jahren 1872/73 und 1891, an die städtebauliche Entwicklungsgeschichte. Vom Technopark kommend, liegen auf der rechten Strassenseite zwei vier- und fünfgeschossige Zeilen, deren Fassadengliederung mit Gesimsen, Lisenen und in Teilen gemauerten Rundbögen über den Fenstern einen gewissen repräsentativen Charakter und eine tektonische Ordnung vermittelt. Bei genauerem Hinschauen entpuppen sie sich als Verschränkung alter und neuer gemauerter Fassadenteile. Durch die Ergänzung von Balkonen, roten Sonnenstoren und subtil angelegten Vorgärten ist hier Industriegeschichte mit Wohnnutzung verknüpft.

Neue Nutzung hinter identitätsstiftender Bestandsfassade 

Die ARGE KilgaPopp Architekten mit Baumberger Stegmeier Architektur gewann 2016 den Studienauftrag für die beiden Wohnzeilen, die sogenannten Stadthäuser, und einen dahinter liegenden Wohnblock.3 Der Wohnblock Krokodil befindet sich im Innern des Areals.4 Die beiden Zeilen stehen an der Jägerstrasse und bilden den Übergang zum benachbarten Quartier. Im Gestaltungsplan waren für alle Parzellen Neubauten vorgesehen und damit der Ersatz zweier bestehender Lagerhäuser mit Backsteinfassaden. 

Die Architektinnen und Architekten schlugen im Studienauftrag die Transformation der Lagerhäuser und damit ihren Erhalt vor, jedoch scheiterte dies am Gestaltungsplan, an dem geforderten Baustandard und der sogenannten Marktgängigkeit. Da die Lagerhäuser beziehungsweise ihre Fassaden für den eingereichten Entwurf jedoch ausschlaggebend waren, konnte man die identitätsstiftende Fassade der südlichen Zeile zur Jägerstrasse erhalten.

Weitere Beiträge zu Backsteinbauten finden Sie in unserem digitalen Dossier.

Das Konzept orientiert sich an der Strategie des Weiterbauens. Das Sulzerareal war während seiner industriellen Nutzung eine nicht öffentlich zugängliche Stadt in der Stadt. Die Bauten auf dem Areal waren Zweckbauten, optimiert für betriebliche Prozesse. Dies zeigt sich sowohl im jeweiligen strukturellen Aufbau als auch in der Gestaltung ihrer Hüllen und der Morphologie. 

Die Typologie der Fassaden bestand entweder aus selbsttragenden, massiven Wänden, stabförmigen Strukturen mit Ausfachungen oder einfachen Verkleidungen, die an die Primärstruktur montiert waren. Die Gebäude an den Rändern des Areals und somit an der Schnittstelle zur Stadt erhielten hingegen dezent geschmückte Schaufassaden und vermittelten damit zum Massstab der angrenzenden Stadträume und Quartiere.

Die Logik des Bestands als Referenz 

In dieser Logik hat auch die ARGE KilgaPopp Architekten mit Baumberger Stegmeier Architektur die Bauten des Studienauftrags entwickelt. Der innen liegende Wohnblock Krokodil zitiert in seiner Massstäblichkeit die immensen Volumen der industriellen Hallenbauten und ist mit einer vorgehängten Fassade umgesetzt. Für die beiden Wohnzeilen wurden die bestehenden Backsteinfassaden zur Jägerstrasse erhalten und ergänzt. Dabei wurde die Typologie der Lagergebäude mit der Wohntypologie überschrieben, wobei die Fassadenöffnungen in den Backsteinfassaden der Lagerbauten die Organisation der Wohnnutzung vorgaben. 

Die Zeilen mit 17 Stadthäusern und 57 Wohnungen wurden in zwei Etappen erstellt. Zuerst entstand die südliche Zeile mit den Häusern 1–11. Während die Häuser 1–5 Geschosswohnungen bieten, sind die Häuser 6–11 mit Maisonetten im ersten und zweiten sowie im vierten und fünften Obergeschoss ausgeführt. Die Häuser 12–17 der zweiten Etappe verfügen über weitere Geschosswohnungen. Die zweite Etappe schliesst am nördlichen Ende unmittelbar an einen denkmalgeschützten zweigeschossigen Ziegelbau mit Fachwerk an, dessen Kopf zur Zürcherstrasse verputzt ist. Diese Kombination von verputztem Kopfbau und anschliessender Mauerwerkfassade wird auch bei den zur Emil-Krebs-Gasse gelegenen Kopfbauten am Übergang zum Quartier aufgegriffen. 

Die Wohnzeilen sind bis auf die Bestandsfassaden Neubauten und als Holztragwerk mit dazwischenliegenden gedämmten Holzelementen und massiven Treppenhäusern erstellt. Die Fassaden sind selbsttragend. Die Rückseite der beiden Zeilengebäude zur Ernst-Jung-Gasse wurde über die gesamte Länge um eine Raumschicht erweitert. Deren Fassadengestaltung mit Stahlfenstern und farbigen Putzfeldern bildet nun einen Dialog zum gegenüberliegenden Krokodil. Die Stirnseiten der beiden Zeilen sind je nach Lage unterschiedlich behandelt. Bei der südlichen Zeile läuft an deren Südende die Klinkerfassade um die Gebäudeecke und überzieht die Stirnseite. Hier ist ein Platz mit einem Boskett ausgebildet, der einen Puffer zwischen den Wohnbauten und den öffentlichen Nutzungen im anschliessenden Technopark bildet. 

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 19-20/2024 «Backsteinbauten transformiert».


Anmerkungen
1 vgl. Sonderheft 2022 «Baukultur. Qualität und Kritik», hg. von espazium – Der Verlag für Baukultur.
2 vgl. Sonderheft 2021 «Zirkuläre Architektur», hg. von espazium – Der Verlag für Baukultur.
3 Für den Neubau schrieb die Bauherrschaft, die Pensionskasse Basel-Stadt und Implenia Schweiz, 2016 einen Wettbewerb aus, den KilgaPopp Architekten und Baumberger Stegmeier Architektur gewannen. KilgaPopp haben ihr Büro seit 2001 auf dem Lagerplatz-Areal. 2011–2014 bauten sie das Seitenschiff der Halle 181 mit Büro- und Werkstattnutzung um. 
4 vgl. espazium.ch/de/aktuelles/ein-krokodil-schluckt-1500-menschen

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