Bekenntnis zum sichtbaren Volumen
Im offenen Wettbewerb zum neuen Schulhaus in Zürich-Unterstrass setzen sich Studio Urbaite und Michel Frey Landschaftsarchitekten mit einem klimagerechten Projekt durch. Direkt neben dem ikonischen Radiostudio entwickelt das Team mit dem Entwurf «Die zwei Türme» eine stimmige Vision und eine klare Antwort auf viele Probleme im Bauwesen.
Ersatzneubau Schulanlage Brunnenhof, Etappe 2, Zürich-Unterstrass
Projektwettbewerb im offenen Verfahren
Unweit des Verkehrshubs Bucheggplatz in Zürich-Unterstrass liegen die vielbefahrenen Achsen Hofwiesen- und Wehntalerstrasse, die die Quartiere Unter- und Oberstrass, Höngg und Oerlikon verbinden. Die städtebauliche Situation ist heterogen. Hier steht auch das ehemalige Radiostudio, dessen erste Etappe von Otto Dürr geplant und 1933 fertiggestellt wurde. In den folgenden Jahrzehnten entstanden Erweiterungstrakte von Max Bill mit Willy Roost. Heute ist das Ensemble teilweise denkmalgeschützt.
Westlich davon ist die Nachbarschaft seit einigen Jahren stark im Umbruch: Auf den Arealen «Guggach I–III» wichen die Schrebergärten nach und nach grossformatigen Wohnüberbauungen, die das restliche Quartier dank Arealbonus und ansteigender Topografie weit überragen. Vis-à-vis des Radiostudios sind im letzten Jahr die Wohnsiedlung «Guggach III» von Donet Schäfer Reimer Architekten und auch die neue Primarschule von Weyell Zipse Architekten fertig geworden. Auf der östlichen Seite stammt die Bausubstanz dagegen aus der Zeit von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts; die Wohn- und Gewerbebauten sind deutlich niedriger. Und so wirkt das Radiostudio wie ein Scharnier, das zwischen den unterschiedlichen städtebaulichen Welten vermittelt.
Unterirdischen Sporthallen gehört ein Ende gesetzt
Zusammen mit den neuen Wohnbauten stieg über die Jahre auch der Bedarf an Schulraum. Um diesem nachzukommen, wird das ehemalige SRF-Radiostudio nun in einem ersten Schritt durch Spillmann Echsle Architekten instand gesetzt und bis 2027 zu einer Sekundar- und Musikschule umgebaut. In einem weiteren Schritt soll ein Neubau die denkmalgeschützten Gebäudeteile ergänzen und den bestehenden Westflügel, den ehemaligen Sendetrakt, ersetzen.
Um ein passendes Projekt zu finden, gaben Immobilien Stadt Zürich, vertreten durch das Amt für Hochbauten, einen offenen Projektwettbewerb in Auftrag, bei dem 47 Teams einen Vorschlag einreichten. Neben neuen Räumlichkeiten für sechs weitere Sekundarschulklassen sollten die Teilnehmenden auch zwei Einfachsporthallen im Ersatzneubau unterbringen. Weiter sollten die Eingaben «die städtebauliche Situation klären und eine attraktive Gesamtsituation schaffen». Kein einfaches Unterfangen an diesem Ort.
Wer den aktuellen Trend für Schulbauten im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich kennt, weiss: Bauliche Erweiterungen sollen nicht zulasten des Grünraums gehen. Um das Raumprogramm unterbringen zu können, wurden daher in den vergangenen Jahren zahlreiche Sporthallen in den Untergrund verbannt. Wer mit einem «quartierverträglichen» Entwurf an den Start ging, verbesserte seine Gewinnchancen um ein Vielfaches. Ein gutes Beispiel dafür ist der Wettbewerb um die Schulanlage Sirius in Zürich-Fluntern (vgl. TEC21 40/2023 «Sind unsere Ansprüche zu hoch?»). Hier schaffte es der Entwurf «Lebensräume», der das Raumprogramm beinahe als Ganzes oberirdisch organisierte, aus ebendiesem Grund nicht unter die rangierten Projekte.
Nun kann man entgegenhalten, dass die Schule Sirius in einer Gegend voller vornehmer Punktbauten liege und ein solch grosses Volumen in diesem Quartier eine andere Diskussion sei. Mag sein.
Doch wer sich für ein derart umfangreiches Raumprogramm entscheidet, sollte sich auch den unbequemen Konsequenzen stellen. Denn in der Zwischenzeit wissen eigentlich alle: Unterirdische Bauten schaden unserer CO²-Bilanz. Soll gleichzeitig kein weiteres Kulturland verbaut werden, müssen die Bauten in die Höhe ausweichen.1 Es ist höchste Zeit, dass sich die Baubranche als Ganzes der Klimaverantwortung stellt – und die Grundlage für klimagerechte Bauten wird nun mal im Wettbewerbsverfahren beziehungsweise im Entwurfsprozess gelegt.
Kommt nun endlich die grosse Trendwende?
Studio Urbaite und Michel Frey Landschaftsarchitekten siegen mit ihrem radikalen Vorschlag «Die zwei Türme» und ergänzen das Radiostudio mit einem weiteren vertikalen Bau. Das Volumen liegt knapp unter der Hochhausgrenze von 25 m und dreht sich gegenüber dem Bestand um 90 º ab. Das Gewinnerteam dekliniert mit seinem Entwurf das klimagerechte Bauen regelrecht durch: So gibt es keine unterirdischen Bauten und damit kaum Aushub, und der Fussabdruck ist kleinstmöglich gehalten. Dadurch gewinnt das Team für die Aussenraumgestaltung grosse Freiheiten. Bestehende Bäume werden erhalten und neue gepflanzt. Maximal viel Fläche soll entsiegelt, bepflanzt und als Regenwasserspeicher genutzt werden.
Und der Anteil Beton an der Gesamtkonstruktion? Minimal – hier wird einzig die Bodenplatte betoniert. Die Tragstruktur besteht aus einer Holzkonstruktion und die Fassade setzt sich aus rezyklierten Materialien zusammen. Die Bauteile sind entweder erneuerbar oder bereits wiederverwendet und «ein Statement gegen den enthemmten Energie- und Materialverbrauch im Baugewerbe». Die beiden Einfachsporthallen befinden sich oberirdisch in der zweiten und vierten Etage, die Schulnutzungen sind im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss situiert. Erschlossen ist das Schulhaus über zwei stirnseitig positionierte, nicht klimatisierte Treppenhäuser und nimmt damit die Erschliessungstypologie des Bestands auf.
Die guten Absichten schlagen sich auch in blanken Zahlen nieder: Der CO²-Bedarf ist für die Erstellung und den Betrieb im Vergleich zu den rangierten Beiträgen zwischen 40 und 150 % tiefer. Doch auch hinsichtlich Geschossfläche und Gebäudevolumen brilliert das Siegerprojekt – das Stichwort «Suffizienz» schrieben die Architektinnen und Landschaftsarchitekten in diesem Projekt eindeutig gross.
Magna cum laude
Zwischen 1900 und 1960 breitete sich die Stadt Zürich flächig aus – mit einer rasanten Zunahme nach der zweiten Eingemeindung von 1934. Ab 1976 wuchs die Stadt auch in die Höhe; heute sind Zürcher Bauten mehr als doppelt so hoch wie noch vor 100 Jahren. Und man scheint sich daran gewöhnt zu haben.
Hier, an diesem sich wandelnden Ort, tut ein weiterer baulicher Riese dem Städtebau keinen Abbruch. Der Entwurf «Die zwei Türme» orientiert sich mit seinem Volumen am Massstab der Gegenwart und nicht an der kleinteiligen Bebauung aus vergangenen Zeiten. Das gewählte Projekt ist nicht nur ein mutiger Vorschlag des Siegerteams, das durch die Volumetrie ein Risiko eingegangen ist, sondern auch das Resultat einer weitsichtigen Juryzusammensetzung. Und ganz vorsichtig gesagt: die wohl einzig mögliche Wahl in der heutigen Zeit.
Anmerkung
1 Vgl. Gedankenexperiment in TEC21 26/2024 «Wir sind an einem Punkt, an dem es neue Lösungen braucht».
Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch
Rangierte Projekte
1. Rang / 1. Preis: «Die zwei Türme»
Studio Urbaite, Zürich; Michel Frey Landschaftsarchitekten, Zürich
2. Rang / 2. Preis: «Binia»
Franziska / Sebastian Müller Architekten, Zürich
3. Rang / 3. Preis: «Linnea»
Zita Cotti Architekten, Zürich; Kolb Landschaftsarchitektur, Zürich
4. Rang / 4. Preis: «Symploke»
Furrer Jud Architekten, Zürich; Studio Erde, Zürich
5. Rang / 5. Preis: «Kuckuck»
BUR Architekten, Zürich; Mettler Landschaftsarchitektur, Gossau
6. Rang / 6. Preis: «Crescendo»
Burkard Meyer Architekten, Baden; asp Landschaftsarchitekten, Zürich
7. Rang / 7. Preis: «Viertiefeinshoch»
bernath+widmer Architekten, Zürich; Janine Schneider, Landschaftsarchitektin, St. Gallen
8. Rang / 8. Preis: «Kontinuität»
Brandenberger Kloter Architekten, Basel; André Campos I Joana Mendes Arquitectos, Porto (PT)
Bauherrschaft
Immobilien Stadt Zürich
Bauherrenvertretung und Auslobung
Amt für Hochbauten
Fachjury
Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten (Vorsitz); Christine Enzmann, Amt für Städtebau; Pascale Guignard, Architektin, Zürich; Annette Spillmann, Architektin, Zürich; Kai Zipse, Architekt, Basel; Jürg Zollinger, Landschaftsarchitekt, Zürich
Sachjury
Gabriela Rothenfluh, Präsidentin Kreisschulbehörde Waidberg; Marcel Handler, Schulamt Stadt Zürich; Jennifer Dreyer, Immobilien Stadt Zürich; Benjamin Leimgruber, Immobilien Stadt Zürich; Andreas Aeschlimann, Quartierverein Unterstrass