An das Vo­rhan­de­ne an­k­nü­p­fen – aber nur ideell

Neubau Langfurren/Schürbungert, Zürich

Um die CO2-Emissionen der Baubranche zu senken, ist es unerlässlich,  den Bestand weiterzuentwickeln. Wie einige Projekte für die Zürcher Wohnsiedlung Langfurren/Schürbungert zeigen, haben es entsprechende Vorschläge im Wettbewerb schwer. Eingriffe ins Vorhandene entpuppen sich als komplex und erfordern flexiblere Programme.

Data di pubblicazione
22-04-2025
Daniela Meyer
Architektin ETH, freischaffende Journalistin und Texterin

Neubau Langfurren/Schürbungert, Zürich
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Die Volkart Stiftung besitzt in Zürich-Unterstrass fünf Häuser aus den 1940er- und 1950er-Jahren, die sie ersetzen möchte. Die Bauten liegen in einem ruhigen, stark durchgrünten Wohnquartier in der Nähe von Milchbuck und Bucheggplatz. Der Anlagestiftung Pensimo gehört dort ein weiteres Haus, das ebenfalls zum 5333 m2 grossen Planungsperimeter zählt. Heute enthalten die sechs dreigeschossigen Zeilenbauten 35 Mietwohnungen sowie ein Ladenlokal. An der Ecke Beckhammer/Schürbungert steht eine grosse Platane, die einen Quartierplatz ausbildet.

Ein Neubau, der wenig Veränderungen erzeugt

Während die Anlagestiftung Pensimo über ein grosses Immobilienportfolio verfügt, zu dem neben Neubauten auch zahlreiche Umbauten und Erweiterungen im Bestand zählen, ist es für die Volkart Stiftung das erste grosse Wohnbau­projekt, das sie selbst plant. Die Winter­thurer Stiftung fördert Vorhaben in den Bereichen Ökologie, Soziales, Medien und Dokumentarfilm – unter anderem auch mit den Einnahmen aus ihren Immobilien. Die Voraussetzungen für ein Projekt, das den Bestand weiterentwickelt, scheinen optimal: Der Erhalt von Bausub­stanz ist nicht nur aus ökologischer Sicht vorteilhaft, sondern würde auch im sozialen Bereich punkten.

Umso mehr überrascht das Wettbewerbsresultat: Mit dem Siegerprojekt «Free Hugs» von Haerle Hubacher Partner und Bernhard Zingler Landscape Projects muss der komplette Bestand einem Neubau weichen, der 77 Wohnungen mit 1.5 bis 5.5 Zimmern enthält. Das Projekt überzeugt und überrascht aus demselben Grund: Es besteht aus drei Zeilenbauten, die die beiden Stras­senräume Langfurren und Beckhammer begleiten, und orientiert sich damit stark am vorhandenen Bebauungsmuster.

Auf diese Weise gelingt es, die übergeordnete Struktur, den Quartierplatz im Nordwesten sowie einen bedeutenden Teil des wertvollen Baumbestands zu erhalten. Hofseitig bilden die geschwungenen Fassaden spitz zulaufende Balkone aus, die in den zentralen Grünraum hineingreifen. So wird dieser stellenweise eingeschnürt, um sich anschliessend wieder zu weiten. Die neuen Untergeschosse weisen einen ­beinahe identischen Fussabdruck auf wie die da­rüber liegenden Gebäude und enthalten Kellerabteile, 16 Auto- und 100 Veloparkplätze. 

Seilziehen um den Bestand

«Free Hugs» ist städtebaulich eng verwandt mit der heutigen Siedlung. Umso mehr drängt sich die Frage auf, warum ein Bestandserhalt selbst in Teilen chancenlos blieb. Im Vorfeld des Wettbewerbs liessen die Auftraggeberinnen eine Machbarkeitsstudie erstellen, die zeigte, dass die vorhandene Substanz das Weiterbauen erlaubt. In einem ein­tägigen Workshop wurde dieses Resultat ausführlich diskutiert. Doch letztendlich entschieden sich sowohl die Anlagestiftung Pensimo als auch der Stiftungsrat der Volkart Stiftung dafür, im Wettbewerbsprogramm Ersatzneubauten zu fordern.

«Eine Ergänzung des Bestands hätte viele Kompromisse und Unsicherheiten mit sich gebracht», begründet Marc Reinhart, Stiftungsratspräsident. «Unsere Absicht ist es, für die Bedürfnisse von morgen ein möglichst langlebiges Projekt zu erstellen.» Diesen Entscheid stellten später mehrere Büros infrage: Sieben der neun teilnehmenden Teams unterzeichneten ein Schreiben, in dem sie verlangten, nicht von der Preisverteilung ausgeschlossen zu werden, sollten sie den Bestand einbeziehen.

«Die Frage, ob der Bestand berücksichtigt werden sollte, beschäftigte natürlich auch die Jury», so Mitglied Lisa Ehrensperger. «Die neuen Wohnungen müssen zwar Anforderungen an die Hindernisfreiheit erfüllen, unterscheiden sich in Bezug auf die Raumgrössen aber nicht grundsätzlich von den bestehenden.» Schliesslich besann sich die Bauherrschaft um: Auf Konzeptstufe durfte mit dem Bestand ge­arbeitet werden, wobei die Machbarkeitsstudie nicht zur Verfügung stand.

Die Resultate der ersten Stufe zeigen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, wenn alle Anforderungen erfüllt werden sollen. «Die Eingriffe in die Substanz sind gross, der Gewinn an Wohnqualität und die CO2-Einsparungen aber kleiner als erhofft. Die damit einhergehenden Baukosten sind hoch, zudem besteht das Risiko des Unvorhersehbaren», so Ehrensperger.

Kombination von Alt und Neu verspricht Erfolg

Letztlich qualifizierte sich nur eines von vier Projekten, die den Bestand miteinbezogen, für die zweite Stufe. Das Projekt «Alveole» von Studio Sintzel Architektur und Kolb Landschaftsarchitektur schlägt vor, die Zeile am Beckhammer zu erhalten und hofseitig partiell um eine Raumschicht zu erweitern, während sich auf der Seite von Langfurren vier kleinere Neubauten aneinanderreihen.

Dieser Ansatz reagiert geschickt auf die unterschiedlichen Ausgangslagen: Heute sind sämtliche Häuser von Nordosten erschlossen, was bedeutet, dass die Treppenhäuser mal stras­senseitig, mal hofseitig angeordnet sind. Da eine Erweiterung der bestehenden Volumen nur hof­seitig infrage kommt, eignet sich der westliche Gebäuderiegel deutlich besser dafür – diese Erkenntnis förderten erst die verschiedenen Wettbewerbsresultate zutage.

Doch obwohl dieser Ansatz auf Konzeptstufe vielversprechend erschien, vermochte er die Jury am Ende nicht zu überzeugen. Während das Siegerprojekt 77 neue Wohnungen umfasst, kommt «Alveole» auf deren 71 – und liegt damit noch deutlich über dem im Programm geforderten Minimum von 66. Positiv beurteilt die Jury die hohe Qualität der Wohnungen, sowohl im Bestand als auch in den Neubauten. 

Die Eingriffstiefe ist allerdings erheblich. Die derzeitigen Mietparteien hätten das Haus am Beckhammer während der Bauzeit verlassen müssen und die Mieten hätten sich deutlich erhöht. Gleichzeitig vermochten die verhältnismässig kleinen Neubauten, die von schmalen Durchgängen zum Hof unterbrochen werden, städtebaulich nicht zu überzeugen.

Die Jury hat der Eingliederung der Neubauten in die Umgebung ein hohes Gewicht beige­messen. Es galt, dem ISOS-Ziel des Strukturerhalts Rechnung zu tragen und den Gartenstadtcharakter des Quartiers zu bewahren. Doch die vier Entwürfe auf Projektstufe unterscheiden sich städtebaulich nicht grundlegend voneinander, was auch die Jury überraschte. «Der enge Freiraum, der sich Richtung Norden verjüngt, und der erhaltenswerte Baumbestand stellen anspruchsvolle Rahmenbedingungen dar, um die es herumzuplanen und -bauen gilt», meint Ehrensperger dazu.

Statt auf den Bestand zu setzen, verlangte das Wettbewerbsprogramm andere Massnahmen, um die ökologische Nachhaltigkeit zu fördern: Ein Mobilitätskonzept senkt die Parkplatzzahl, wodurch ein grosser Teil des Freiraums unbebaut bleibt und das Versickern von Regenwasser sowie das Pflanzen grosser Bäume möglich wird. Zudem waren kompakte Wohnungen gefordert, um den Wohnflächenverbrauch tief zu halten – angestrebt werden 35 m2 pro Kopf.

Flexiblere Wettbewerbs­programme gefragt

Fakt bleibt, dass das Weiternutzen des Bestands das grösste Einsparpotenzial grauer Treibhausgasemissionen birgt. Seraina Jenal von Planpartner hat das Projekt begleitet und sagt dazu: «Das vorgegebene Raumprogramm war auf einen Neubau ausgelegt. Um mit dem Bestand arbeiten und die Vorgaben erfüllen zu können, hätte es ein flexibleres Programm benötigt.» Macht dieses nebst den komplexen Rahmenbedingungen auch noch genaue Vorgaben bezüglich Wohnungstypen, -grössen und -zahl, haben es Vorschläge, die den Bestand miteinbeziehen, im Vergleich mit Ersatzneubauten schwer.

«Am besten überlässt man es im Rahmen eines mehrstufigen Wettbewerbs den Teams, das Potenzial des Weiterbauens im Bestand zu eruieren», ist Jenal nach Abschluss des Verfahrens überzeugt. Denn erst eine gewisse Bearbeitungstiefe, die bei einer Machbarkeitsstudie häufig noch nicht gegeben ist, kann aufzeigen, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten tatsächlich bestehen.

Klar ist, dass es kein allgemeingültiges Rezept zur Nachverdichtung im Bestand gibt. Vielmehr muss jeder Planungsperimeter genau analysiert werden. Damit Architekturbüros, die sich mit viel Enthusiasmus und Einfallsreichtum für den Bestandserhalt engagieren, eine Chance auf einen Sieg haben, müssen die Wettbewerbsprogramme offener formuliert sein. Keine leichte Aufgabe, aber eine mit bedeutenden Auswirkungen, worauf in erster Linie die Bauherrschaften Einfluss nehmen können.

Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Auf Projektstufe zugelassene Teams

 

Siegerteam: «Free Hugs»
Haerle Hubacher Partner Architekten (neu: SOPA – Studio Oesch Papalo Architektur), Zürich; Bernhard Zingler Landscape Projects, St. Gallen; Architekturbüro K. Pfäffli, Zürich; Archipel, Zürich; WaltGalmarini, Zürich

 

Team 2: «Alveole» 
Studio Sintzel Architektur, Zürich; Kolb Landschafts­architektur, Zürich; Icccon, Zürich; dsp Ingenieure + 
Planer, Uster; Bogenschütz, Schlieren

 

Team 3: «Rango»
Darlington Meier Architekten, Zürich; Skala Landschaft Stadt Raum, Zürich; Energiekonzepte, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich

 

Team 4: «Papillon» (ausgeschieden)
Studio Sito Architekten, Zürich; Maerz Architekten, Zürich; Laboratorium KLG, Zürich; Transsolar Energietechnik, Stuttgart; Olos, Baar

 

Auftraggeberin

Volkart Stiftung, Winterthur; Anlagestiftung Pensimo, Zürich

 

Verfahrensbegleitung

Planpartner, Zürich

 

Fachjury

Franziska Schneider, Architektin, Zürich; Lisa Ehrensperger, Architektin, Zürich; Christine Enzmann, Amt für Städtebau, Zürich; Daniel Ganz, Landschaftsarchitekt, Zürich

 

Sachjury

Marc Reinhart, Volkart Stiftung, Präsident; Judith Schläpfer, Volkart Stiftung, Geschäftsführerin; Giuliano Bruhin, Setimmo Immobilien, Verwaltung Immobilien Volkart Stiftung; Marc Derron, Pensimo Management

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