Es­senz des Woh­nens

Schweizer Pavillon an der Architekturbiennale: Svizzera 240

Ist Architektur ohne soziale Aneignung denkbar? Und wie lässt sie sich darstellen? Das sind Themen des Schweizer Beitrags an der Architekturbiennale 2018 in Venedig. SIA und Pro Helvetia gewährten erste Einblicke.

Data di pubblicazione
11-01-2018
Revision
11-01-2018

Was Alessandro Bosshard, Li Tavor und Matthew van der Ploeg für die diesjährige Architekturbiennale in Venedig planen, ist nah an den Menschen und fern von ihnen zugleich. Das Architektenteam, das den Schweizer Pavillon gestaltet, widmet seinen Beitrag «Svizzera 240» mehr oder weniger standardisierten Wohn­interieurs. Die Zahl 240 bezeichnet dabei eine Raumhöhe von 240 cm, die an vielen Orten der Schweiz als Minimum vorgegeben ist. Das junge Team interessiert sich für den Zeitpunkt, an dem die Wohnung fertiggestellt, aber noch nicht bezogen ist – und erhofft sich so einen neuen Diskurs über die architektonische Beschaffenheit von Wohnungen.

Dieser Ansatz lädt tatsächlich zur Diskussion ein, wie eine von SIA und Pro Helvetia erstmals lancierte Roadshow des Biennale-Beitrags zeigt. Beim Auftakt in Basel sprach Andreas Ruby, Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums, von einer «militanten Leere» und einem «Striptease der Essenz». Architektur funktioniere eben erst durch den Akt sozialer Aneignung. Die Architektin Anna Jessen verwies darauf, dass während ihres Stu­diums bei Alexander Henz Wohnungsbau nie ohne Möbel denkbar gewesen sei. Sie regte an, die für den Pavillon geplante Installation variabel zu bespielen.

Viel Lob gab es für die Absicht, in Venedig eine begehbare Rauminstallation zu schaffen und so zum Nachdenken über die Repräsentation von Architektur anzuregen. Bosshard, Tavor und van der Ploeg wollen weg von der Dominanz des Grundrisses, der den dreidimensionalen Raum als zweidimensionale Fläche darstellt. Durch eine Wohnungstour lenken sie den Blick von der horizontalen Wahrnehmung des Grundrisses zur vertikalen Ansicht auf Augenhöhe und ermöglichen körperliche Erfahrungen wie Geräusche, Gerüche und Licht. So entsteht eine mit allen Sinnen wahrnehmbare Repräsentation von Architektur.

Menschenleere Wohnwelten

Einen wichtigen Ausgangspunkt für das Konzept des Pavillonteams bilden Fotos fertiger, aber noch nicht bezogener Wohnungen von den Websites Schweizer Architekten. Zu einem Bildkatalog zusammengefügt, zeigen sie eine «Faszination für konventionelle Architektur» einerseits, so Bosshard, und eine «feine Ausdifferenzierung des Interieurs» als typisch schweizerische Erscheinung andererseits, so Tavor. Auch dieser Ansatz bewies an der Roadshow sein Diskurspotenzial. Anna Jessen fragte sich, ob gute Architektur zu sehen ist oder eine Karikatur, betonte aber, das fast Gleiche nebeneinander helfe, Unterschiede wahrzunehmen.

Dass es dem Pavillonteam letztlich darum geht, innerhalb des engen vorgegebenen Spielraums die Möglichkeiten für architektonische Qualität auszuloten, ergab eine Diskussion über die Begrenzung der Raumhöhe auf 240 cm und das übergeordnete Biennale-Motto «Free­space». Die Kuratorinnen hätten ihm geraten, so Alessandro Bosshard, die Installation sechs Meter hoch zu machen. Doch das Team wollte zeigen, «was alles mit einer Höhe von 2.40 m möglich ist».

Mit der Roadshow im Vorfeld von Venedig laden Pro Helvetia und der SIA zu einer Debatte über das Konzept des Schweizer Pavillons ein, dessen Bespielung an der Architekturbiennale 2018 erstmals über einen offenen Wettbewerb vergeben worden ist. Auf Lausanne folgt als weitere Station am 27. März ein Abend in Mendrisio. Ab Ende Mai können dann alle Interessierten in Venedig einen eigenen Eindruck von «Svizzera 240» gewinnen.
 

 

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