Im Geist des Bestands
Die Erneuerung der Zentral- und Hochschulbibliothek in Luzern ist vollendet. Für das denkmalgeschützte Gebäude von 1951 wählte die Architekten-ARGE Lussi Halter Casagrande einen integrativen Ansatz
Das geschichtsträchtige Bibliotheksgebäude im Luzerner Hirschmattquartier hat in den letzten Jahren viel von sich reden gemacht. Nach einem Wettbewerbsboykott vor sieben Jahren gegen einen Neubau und dem Ja der Stadtbevölkerung zur «Rettung der Zentral- und Hochschulbibliothek» ist es seit Ende 2019 nach umfassender Erneuerung wieder zugänglich (vgl. «Die Kunst des Ermöglichens» unten). Nur zwei Interventionen deuten von aussen auf Veränderungen hin: eine geschwungene Rampe zum Park und ein grosses Schaufenster zur Strasse, als wohltuende Störung in der sonst rigide gerasterten Südwestfassade.
Ansonsten steht die Anlage von Otto Dreyer scheinbar da wie seit der Eröffnung 1951. Wohlproportioniert gegliedert und sorgfältig platziert reagiert das Gebäude aus vier Trakten in Ausrichtung und Nutzung unterschiedlich auf das umgebende Stadtgefüge. Der niedrige Eingangs- und Verwaltungstrakt richtet sich zum Vögeligärtli, einem beliebten Stadtpark. Das ehemalige Büchermagazin schirmt mit seiner Höhe derweil die benachbarte Strasse ab. Dazwischen liegen der eingeschossige Katalog- und Ausleihsaal und der Lesesaal, die sich um einen Licht und Ruhe bringenden Innenhof ordnen.
Sprache des Vorgefundenen
Das Sanierungs- und Umbauprojekt ist aus einem selektiven Studienauftrag hervorgegangen, den die ARGE Lussi Halter Casagrande Architekten 2007 für sich entschied. Die Hauptaufgaben waren die Anpassung an einen zeitgemässen Bibliotheksbetrieb und der Einbau einer Freihandbibliothek. Die Architekten bedienten sich hierfür der Sprache des Vorgefundenen und haben die einfache Orientierung als wesentliches Merkmal erhalten. So respektiert der Umbau die ursprüngliche Anordnung der Anlage, die jedem Trakt eine Nutzung zuordnet.
Dem fein detaillierten Bau kein kontrastierendes Entwurfsthema hinzuzufügen sei von Anfang an klar gewesen, sagt Remo Halter Casagrande. Zur Veranschaulichung erwähnt er eine Besichtigung der damals eben sanierten Kantonsbibliothek in Lugano. Diese wurde 1942 von Carlo und Rino Tami erbaut und war Otto Dreyer offensichtlich bekannt.
In Lugano entschied man sich für einen kontrastierenden Ansatz, etwa mit Einbauten und Möbeln in kräftigem Rot. Diese Interventionen hätten sich klar vom Bestand abgesetzt, was die Luzerner Architekten bei der Besichtigung als störend empfunden haben. Es bestärkte ihr Vorhaben, die ZHB mit einem integrativeren Ansatz zu erneuern.
Im Innern des sanierten Bibliotheksgebäudes bedarf es nun oft zweier Blicke, um die Veränderungen zu erkennen. Die fliessenden Übergänge von alt zu neu sorgen für eine erstaunliche Homogenität. Letztere täuscht allerdings über teilweise beträchtliche Eingriffe hinweg; heute erinnern nur noch Baustellenbilder daran.
Mehr Licht und Luft
Die eindrücklichste Änderung ist der Einbau der Freihandbibliothek, architektonisch und bauphysikalisch. Sie wurde als «Haus-im-Haus»- Konzept im ehemaligen Büchermagazin erstellt. Die kleinteilige Schaufassade aus Glas ist unverändert, wurde aber inwendig mit einer zweiten transparenten Schicht ergänzt. Dieser Kraftakt erforderte zum Bedauern der Denkmalpflege den Abbruch der ursprünglichen Tragstruktur, eines sechsgeschossigen Bücherregals.
Stattdessen bilden zwei neue, aussteifende Treppenhauskerne die tragenden Elemente; dazwischen befinden sich sorgfältig gefertigte Bücherregale, wohnliche Sitzgruppen und laufmeterweise Arbeitsplätze. Da die Geschossdecken entlang der Ostfassade zurückspringen, wird beim Eintreten die gesamte Höhe des Gebäudes erlebbar.
Die ebenfalls neu angeordneten Oberlichter sorgen für mehr Licht an den Arbeits- und Leseplätzen, die sich entlang der neuen Galerie befinden. Das präzise platzierte Schaufenster, das einen Durchblick zum gegenüberliegenden Eingangsbereich erlaubt, sowie die grosszügige einläufige Treppe ins Untergeschoss lassen den Raum hell und offen wirken. Der wohlklingende Name des einstigen Wettbewerbsprojekts «Soleil, lumière et l’air» ist kein Versprechen geblieben.
Sinn oder Unsinn?
Die zusätzlichen Installationen – Lüftungskanäle und Kabelstränge – sind den Räumlichkeiten nicht anzusehen. Dennoch waren die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle und die Erneuerung der Gebäudetechnik grosse Herausforderungen. Weil der Kanton seine Bauten auf Minergie-Standard hieven will, galt es, die Energiekennwerte auch bei dieser Erneuerung einzuhalten. Dies gelang aber nur dank der Energieproduktion vor Ort mit einer Photovoltaikanlage; im Gegenzug konnten die originalen Bauteile an Hülle und Fassade belassen werden.
Der Aufwand, die Technik wo immer möglich zu integrieren und versteckt zu führen, hat sich gelohnt, wie die wohnliche Atmosphäre beweist. Über Sinn oder Unsinn, ein denkmalgeschütztes Gebäude mit Energieeffizienzstandard zu versehen, lässt sich dennoch streiten. Für die beteiligten Fachplaner wäre es auch plausibel gewesen, nur die umfassend sanierte Freihandbibliothek zu zertifizieren. Doch ist eine räumliche Separierung gemäss Minergie-Reglement nicht zulässig.
Die Architekten haben sorgfältige Arbeit geleistet und eine Formensprache im Geist des Bestands gefunden. Der natürliche Lichteinfall, der die Atmosphäre des Ausleih- und des Lesesaals ursprünglich prägte, ist neu auch für die Freihandbibliothek bestimmend. Licht und Offenheit sind nun eine Selbstverständlichkeit und erzeugen einen räumlichen Mehrwert. Die Erneuerung verweist insofern subtil auf die Gegenwart und setzt gleichzeitig die Geschichte des Gebäudes fort. Die Bibliothek bleibt ein authentischer und zeitgemässer Ort.
Die Kunst des Ermöglichens
Unter dem Titel «Die Kunst des Unmöglichen» berichtete TEC21 zum Jahresende 2013 (vgl. TEC21 51-52/2013) über die vom Abbruch gefährdete Zentral- und Hochschulbibliothek in der Stadt Luzern. Der BSA rief damals zum Boykott des Architekturwettbewerbs für einen Ersatz am selben Standort auf, der neu auch das Kantonsgericht aufnehmen sollte. Der nationale SIA-Vorstand drückte zusätzlich in einem offenen Brief sein «Unverständnis» über den Umgang mit einem «Hauptwerk des modernen schweizerischen Bibliothekbaus» aus und verlangte vom Luzerner Kantonsparlament, das Verfahren zu stoppen.
Das endgültige Aus kam nach einem Urnengang in der Stadt Luzern im Herbst 2014, als eine Volksinitiative «zur Rettung der ZHB Luzern» mit Dreiviertelmehrheit angenommen wurde. 13 Monate später ordnete die Kantonsregierung die Instandsetzung und den Umbau des damals noch nicht geschützten Gebäudes an. Seither ging das Vorhaben fast reibungslos über die Bühne: Nur ein halbes Jahr später als in der Vorlage angekündigt konnte die erneuerte und inzwischen unter Denkmalschutz gestellte Bibliothek wieder eröffnet werden. Der beantragte Kredit von 20 Mio. Fr. wurde um 1.5 % überschritten.
Eine Konzession an die nicht erfolgte Standorterweiterung ist jedoch die Auslagerung von Büchern: Ein Bestand von 1.4 Mio. Publikationen lagert inzwischen in einem Hochregallager 30 km ausserhalb der Stadt, in der kollektiven Speicherbibliothek Büron – einem Gemeinschaftswerk der Kantone Luzern, Zürich und Basel.
Paul Knüsel, Redaktor Umwelt/Energie, stv. Chefredaktor TEC21
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft
Kanton Luzern, Dienststelle Immobilien
Architektur
ARGE Lussi Halter Casagrande Architekten, Luzern
Generalplanung
Caretta + Weidmann, Zürich
Landschaftsarchitektur
koepflipartner, Luzern
Tragkonstruktion
Trachsel Bauingenieure, Luzern
Bauphysik
RSP Bauphysik, Luzern
HLK-Planung
Peter Berchtold, Sarnen
Elektroplanung
Jules Häfliger, Luzern
Lichtplanung
d-lite lichtdesign, Zürich
Brandschutz
Balzer Ingenieure, Chur
Bauhistorisches Inventar
Siegfried Moeri, Büro ADB, Burgdorf
Farbanalyse
Wendel Odermatt, Stöckli, Stans
Bauzeit 2017–2019
Kosten 20.3 Mio Fr.